Grenada | Nummer 358 - April 2004

Nur eine Fußnote der Geschichte?

Zum 25. Jahrestag dder Revolution in Grenada

In der Nacht zum 13. März 1979 überfielen einige Dutzend Mitglieder des linken New Jewel Movement (NJM) den Rundfunksender sowie die einzige Kaserne der Karibikinsel Grenada. Im Radio verkündete Maurice Bishop, der Anführer der revolutionären Bewegung, den Sturz des Diktators Eric Gairy und die Bildung einer Revolutionären Volksregierung. Gleichzeitig rief er die Bevölkerung auf, auf die Straße zu gehen und die Macht zu übernehmen. Und tatsächlich: Mehr als zehntausend der knapp 100.000 EinwohnerInnen demonstrierten am 13. März 1979 für die neue Regierung. Die Nacht- und Nebelaktion der NJM wurde zur „People’s Revolution“. Das revolutionäre Projekt wurde durch einen Militärputsch am 19. Oktober 1983 jäh gestoppt. Anlass für die anschließende US-Invasion und Besatzung, die der Revolution vollends den Garaus machte.

Gert Eisenbürger

Die Ursprünge der Revolution in Grenada liegen bereits in den sechziger Jahren. Damals begannen sich die Schwarzen in den USA organisiert gegen ihre Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Sie forderten volle Bürgerrechte, einen angemessenen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand und ihre Anerkennung als gleichwertige Menschen. Die „Black-Power-Bewegung“ wirkte bis in die Karibik. Die gemeinsame Universität der ehemaligen britischen Kolonien, die University of the West Indies, wurde zum Ort, an dem Konzepte einer demokratischen und sozialistischen Umgestaltung der Region diskutiert wurden. Die Karibikinseln wurden zwar nach und nach von der Kolonialmacht in eine formale Unabhängigkeit entlassen, doch die neuen Regierungen waren koloniale Geschöpfe und das jeweilige politische System eine Kopie des britischen. Wirtschaftlich bestand die Abhängigkeit ohnehin fort, die Kleinstaaten blieben Agrarproduzenten. Als neuer Wirtschaftsfaktor kam der Tourismus hinzu. Doch auch hier spiegelten die Hautfarben von Dienern und Bedienten die alte koloniale Hierarchie wider.

Revolutionärer Neubeginn
Diese alten Strukturen wollten die StudentInnen und ProfessorInnen der University of the West Indies überwinden. Natürlich planten sie auch ihre persönliche Zukunft. Sie sahen sich als neue Elite und forderten ihren Anteil an der Macht. Viele wurden MarxistInnen und begannen in den Studentenwohnheimen und Cafeterias über den Aufbau linker Organisationen in ihren Heimatländern zu debattieren. Das galt auch für die StudentInnen aus Grenada. Die Insel wurde von Premierminister Eric Gairy diktatorisch regiert. Durch Scheinwahlen hielt er sich sowohl unter britischer Verwaltung als auch nach der Unabhängigkeit 1973 an der Macht.
Als sich 1974 aus zwei linken Zirkeln das New Jewel Movement (NJM) bildete, wuchs die oppositionelle Bewegung rasch. Dazu trug von Anfang an auch die Popularität ihres Führers Maurice Bishop bei. Nach dem Studium hatte er sich als Anwalt niedergelassen. Hier erwarb er große Sympathien, weil er kleinen Leuten zu ihrem Recht verhalf, was man von Juristen nicht gewohnt war. 1976 schloss die NJM ein Wahlbündnis mit der konservativen Grenada National Party (GNP) und stellte Bishop als Präsidentschaftskandidaten auf. Er hätte diese Wahlen gewonnen, hätte Gairy die Wahlergebnisse nicht manipuliert. Auf die Stärkung der Opposition reagierte der Diktator mit Gewalt. Als Gairy im März 1979 bei der UN in New York weilte ging das Gerücht um, in seiner Abwesenheit würde mit der Opposition aufgeräumt. Doch genau zu diesem Zeitpunkt wagte diese den Aufstand.
Aus den AktivistInnen der NJM wurden Regierungsmitglieder. Alle waren sehr jung und unerfahren: Premierminister Maurice Bishop war 35 Jahre alt, Landwirtschaftsminister George Louison gerade mal 27. Sie wollten ein modernes Grenada schaffen, was nichts Geringeres bedeutete, als die Überwindung der Plantagenökonomie, die das Leben auf der Insel seit Jahrhunderten prägte. Die Wirtschaft sollte drei Säulen haben: eine öffentliche, eine private und eine kooperative.

Direkte Demokratie
An Stelle von Wahlen und Parteien trat ein System der „People’s Participation“ (Beteiligung der Bevölkerung). Volksversammlungen – zunächst auf Gemeindeebene, später auf Kreis- und schließlich auf Landesebene – sollten ein System direkter Demokratie schaffen. Damit wollte man verhindern, dass sich konkurrierende, von außen gelenkte, Parteien konstituieren und zu Sammelbecken der Revolutionsgegner entwickeln konnten.
Auf den Gemeindeversammlungen brachten die Leute ihre Probleme vor: Diese reichten vom schlechten Zustand einer Straße, über die zu große Entfernung zum nächsten Gesundheitsposten bis hin zum erbärmlichen Zustand einer öffentlichen Toilette. Die anwesenden Regierungsfunktionäre stellten Lösungsvorschläge zur Diskussion, in deren Zentrum immer stand, die Menschen zur Mitarbeit zu gewinnen. Bis 1983 war das Partizipationssystem nur auf Gemeindeebene und teilweise auf Kreisebene installiert. Von offizieller Seite hieß es, es bedürfte noch mehr Zeit, um es vollständig umzusetzen.
Das New Jewel Movement spielte als Partei im Alltag keine große Rolle. Die Identifikation mit der Revolution – oder auch deren Ablehnung – lief über die Regierung, vor allem über Maurice Bishop. Er war der geniale Kommunikator, der wusste, wie er die Leute ansprechen und begeistern konnte. Er schaffte es, auch komplexe Sachverhalte allgemein verständlich darzustellen. Seine Popularität war immens, auch bei vielen, die der Revolution eher kritisch gegenüberstanden. Manche jedoch beklagten fehlende Demokratie. Andere störte die Anwesenheit kubanischer Arbeiter und Ärzte, weil sie kein Englisch sprachen und als Atheisten galten. Wieder andere mokierten sich über die Arroganz und die Privilegien einzelner Regierungsvertreter, obwohl sich letztere durchaus im Rahmen hielten. Aber ein Dienstwagen, der auch genutzt wurde, um am Wochende mit der Familie zum Strand zu fahren, weckte eben Neid.
Große Errungenschaften im sozialen Bereich bei Gesundheits- und Grundversorgung und Bildung kann man der Revolution jedoch nicht absprechen.

Militärputsch und US-Intervention
Den US-Regierungen war das revolutionäre Grenada von Beginn an ein Dorn im Auge. Nach Amtsantritt Ronald Reagans im Januar 1980 setzten offene Feindseligkeiten ein. Kredithähne wurden zugedreht, US-Bürger vor Reisen nach Grenada gewarnt und Militär-Manöver abgehalten, die die Einnahme einer Karibikinsel mit einer feindseligen Regierung simulierten. Der Bau des neuen internationalen Flughafens wurde als Errichtung eines kubanischen Stützpunktes denunziert. Dabei war er schon lange vor der Revolution geplant worden. Grenada hatte bis dahin nur eine Landebahn für kleine Maschinen. Der Bau eines größeren Flughafens, über den die Nachbarinseln Barbados oder St. Lucia längst verfügten, war die Voraussetzung für jeglichen Ausbau des Tourismus, auf den auch die Revolutionsregierung setzte.
Am 19. Oktober 1983 kam es dann zum Militärputsch. Angehörige der Streitkräfte ermordeten Maurice Bishop, mehrere Regierungsmitglieder und zahlreiche DemonstrantInnen. In den Tagen zuvor hatte eine Fraktion im New Jewel Movement versucht, den populären Ministerpräsidenten wegen seiner angeblich zu großen Nachgiebigkeit gegenüber den lokalen Unternehmern zu entmachten und ihn unter Hausarrest gestellt. Danach war ein Sturm der Entrüstung in der Bevölkerung ausgebrochen. Tausende gingen auf die Straße und befreiten Bishop aus dem Hausarrest. In der Hauptstadt St. George’s herrschte Volksfeststimmung.
Kurz bevor der Premierminister zu der Menge sprechen sollte, griffen aber die Militärs zu den Waffen. Die Reagan-Regierung nutzte die Gunst der Stunde – wobei bis heute nicht klar ist, ob und wieweit sie die Eskalation mit herbeigeführt hat. Am 25. Oktober landeten Marines auf der nur 344 Quadratkilometer großen Insel. In den folgenden zwölf Monaten zerstörte die Besatzungsmacht alles, was die revolutionäre Regierung seit 1979 an Projekten initiiert und zusammen mit großen Teilen der Bevölkerung realisiert hatte.

Der Autor ist Redaktionsmitglied der Lateinamerikazeitschrift ila (www.ila-web.de). Er war von Juli bis Ende Oktober 1983 in Grenada.

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