Literatur | Nummer 417 - März 2009

Nur schmutziger und verbeulter

Timo Bergers Gedichte führen in „Ferne Quartiere“ und nicht wieder zurück

Valentin Schönherr

Rio de Janeiro, Buenos Aires, Barcelona, Berlin. Für die einen sind es Reiseziele, für die anderen literarische Orte. In den Gedichten des 1974 geborenen Lyrikers Timo Berger sind jene Städte gerade noch erkennbar an Namen wie Zuckerhut, Pampa, Kreuzberg. Im Übrigen aber verschmelzen sie zu einem einzigen Moloch, einem Ort des Konflikts, des Hungers, des Abfalls, der Gewalt. Die Touristen zeigen ihr hässliches Gesicht, und im Lokal gibt es statt der Bedienung eine Fernbedienung, mit deren Hilfe auf dem Fernseher in der Ecke ein Verkehrsunfall eingeblendet wird.
„Das Beben der Busse / das ständige Kommen und Gehen / der Container bedeutet Haarrisse // Über dem Spülspiegel“: Hier, in den „fernen Quartieren“, gibt es keine Vertrautheit mit dem Alltäglichen, hier muss das Bleiben erkämpft werden. Sei es, dass man sich, wie im Eingangsgedicht „Botanischer Garten“, hinter einer „weiß gelackten Schranke“ in den „ersten Sicherheitsring“ einer bewachten Siedlung flüchtet. Oder sei es, dass in den Außenbezirken, wo noch nie Gegenwartskunst zu sehen war, die Werbeständer zu „Pop-Art-Skulpturen“ umdefiniert werden, „nur schmutziger und verbeulter“.
Auch die Liebe, wie könnte es anders sein, gibt es nur anonym und von fern, oder als Trennung. Selbst als man in größter Hitze verschwitzt aufwacht (in „Spätes Frühstück“), ist der Kühlschrank leer, und das Gedicht, das man ersatzweise zu sich nimmt, sättigt nicht. Das muss konsequenterweise auch für Timo Bergers Poetik gelten. Denn wie könnte hier aus der Sprache Trost kommen? Aus dem unsentimentalen Benennen, dem Aufeinanderschlagen der Gegensätze, dem Verwandeln von Gedanken in gebrochene Verse und Strophen gewinnt Berger Funken, die diese Unbehaustheit sehr genau vermitteln. Und wenn sich in manchen Gedichten Alliterationen finden („man wartet, bis der Wind dreht // der Regen das Rot der Straßen / die Reste der Schlachtplatte von gestern / in den Rinnstein spült“), steckt darin mehr Wohlklang, als man hätte ertragen können.

// Valentin Schönherr

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren