Literatur | Nummer 454 - April 2012

Ode an einen Dichter

Mein Freund Neruda von Antonio Skármeta

Katharina Wieland

Biographie, Sachbuch oder eine Anthologie der Gedichte Nerudas, ausgewählt nach einem subjektiven Kriterium, nämlich ihrer Bedeutung für den Autor? Warum sollte uns interessieren, welche Neruda-Gedichte von Skármeta geschätzt werden? Wessen Biographie wird hier eigentlich erzählt?
Das ist schwer zu sagen, handelt es sich doch im ersten Teil des Buches einerseits um einen leicht lesbaren, biographischen Abriss der wichtigsten Stationen im Leben von Pablo Neruda, verwoben mit seinen Gedichten. Andererseits sind es auch autobiographische Anekdoten Skármetas, welche von den Phasen und vor allem Schlüsselstellen seines Lebens berichten, die durch Neruda selbst, und natürlich sein politisches wie literarisches Schaffen in Chile, geprägt wurden. Und vor allem durch seine Gedichte, allen voran die zahlreichen Liebesgedichte.
Bei der Lektüre dieses in weiten Teilen literarisch-romanesken Sachbuchs stellt sich schnell die Frage, ob der Titel der deutschen Übersetzung vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen ist. Denn die dargestellte Freundschaft geht auf einige wenige Begegnungen zwischen beiden Männern zurück und passt, von außen betrachtet, damit zwar gut in die heutige, oftmals überstrapazierte Verwendung des Begriffs. Neruda por Skármeta, so der Originaltitel, macht aber wesentlich deutlicher, worum es in diesem Buch geht: um die Sicht auf Neruda durch die Augen Skármetas, um einen personalisierten Einblick in Nerudas Dichtung, Erinnerungen an gemeinsame und durch Neruda geprägte Erlebnisse im Leben des Autors und ihre Einbettung in die jüngere chilenische Geschichte.
Dreh- und Angelpunkt des ersten Teils ist Skármetas Bestseller Mit brennender Geduld sowie die italienische Verfilmung als Il Postino. Dessen Hauptfigur Pablo Neruda hilft einem schüchternen Postboten mittels Gedichten, die angebetete Frau zu erobern. Dieser Roman Skármetas ist unangefochten die sichtbarste Verbindung mit Neruda; darüber hinaus beschreibt der Autor aber auch persönliche, unbekanntere Momente seiner Beziehung zu Neruda. Hierzu zählen beispielsweise die Erinnerung an seine erste Liebe, mit der er gemeinsam Nerudas Gedichte las, die Eindrücke von einer politischen Rede Nerudas als Präsidentschaftskandidat, an deren Ende das Publikum „Gedichte, Gedichte“ forderte, die kritische Auseinandersetzung Nerudas mit Skármetas Erstwerk oder eine Einladung in Nerudas Haus in Isla Negra anlässlich eines Schriftstellerkongresses.
Zurück zur Genrefrage: Das Buch ist alles in einem: Biographie, Sachbuch und Anthologie, und letztere vor allem im zweiten Teil, mit Interpretationen und Anmerkungen zu 20 ausgewählten Gedichten Nerudas. Die Auswahl ist nicht systematisch, ihr liegen eher weniger literaturwissenschaftliche oder literaturkritische Gesichtspunkte zu Grunde. Bekannte wie unbekanntere, auch kritisierte Spätwerke finden sich dort versammelt. Auch dieser Teil ist vermischt mit biographischen und anekdotischen Elementen. Er liest sich leicht und überrascht stilistisch durch seine Skizzenhaftigkeit und eingestreute Satzfragmente, welche aus Skármetas Perspektive Inhalt und Bedeutung des Gedichts auf den Punkt bringen.
Man mag dem Buch besonders im biographischen Teil, der bisweilen in nettem Plauderton daher kommt, und natürlich auch bei der subjektiven Gedichtinterpretation fehlende Tiefe vorwerfen. Es mag irritieren, dass es hier eigentlich um zwei Biographien geht und Skármeta sich vielleicht zu sehr selbst in Szene setzt. Und ganz sicher darf man keine kritische Auseinandersetzung mit dem Dichter und Politiker Neruda erwarten. Aber hierum geht es Skármeta auch nicht. Sein Buch versteht sich als Hommage und als Aufforderung, Nerudas Gedichte (wieder einmal) zu lesen. Und bei der Gelegenheit auch gleich Mit brennender Geduld.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren