Film | Nummer 380 - Februar 2006

Pablo und der Berggeist

Im Kurzfilm Chicle wird ein kleiner Kaugummiverkäufer in Cusco vor eine wichtige Entscheidung gestellt

Dinah Stratenwerth

Kaufen Sie doch ein Kaugummi, ja? Manno, Fräulein, kaufen Sie doch. Manno, Fräulein!“ Jeden Tag verbringt Pablo mit seinem großen Bruder in den Straßen Cuscos, einer Großstadt in Peru, und versucht ein paar Kaugummis loszuwerden, um Geld für sein Essen zu verdienen. Die Mutter verkauft Fleisch auf dem Markt, einen Vater gibt es nicht. Und sein Bruder Mano? Der steht vor der Entscheidung, ehrlich zu bleiben oder kriminell zu werden. Auch Pablo ist von dieser Frage nicht mehr weit entfernt. Doch er ist „etwas Besonderes“. Das sagt ein Wahrsager der besorgten Mutter. Der Berggeist wird Pablo herausfordern, so lautet die Ankündigung des Hellsehers. Die Herausforderung taucht im Leben des Jungen dann aber in Gestalt eines kleinen Mädchens mit einer Puppe auf.

Kultureller Austausch

„Eine universelle Botschaft“ will der US-amerikanische Regisseur Josh Hyde mit seinem zwölfminütigen Film erzählen. Über verschiedene Kulturen, die in der globalisierten Welt aufeinander treffen. Denn das kleine Mädchen mit der Puppe ist blond und spricht Englisch. Pablo wird sich trotzdem mit ihr verständigen. Er kann „white“ und „blue“ sagen, und sie bringt ein „gracias“ zustande. Der Rest funktioniert mit Gesten: Er weist mit der Hand, sie schüttelt den Kopf. Mit den Händen eine Kugel formen: Baum. Oder Springbrunnen? Mit Geduld üben sich die beiden im Kommunizieren.
Der Perunaer Javier Ramos, der Pablo spielt, weiß genau, in was für einer Geschichte er mitspielt: Er kam alleine nach Cusco, als er sechs Jahre alt war, und sprach nur Quechua. Vom Schuhputzer arbeitete er sich bis zum Postkartenverkäufer hoch und geht inzwischen sogar zur Schule. Wie sein Charakter Pablo kann er inzwischen nicht nur Spanisch, sondern auch ein bisschen Englisch. Mit seinem trotteligen Gang mit gebeugtem Rücken und leicht nach außen gedrehten Füßen wirkt er schicksalsergeben, ohne anrührend zu sein. Die kindliche Unschuld wird von den harten Bedingungen, in denen die Brüder leben, in Frage gestellt.
Die Kamera folgt ihren Wegen durch Cusco auf Augenhöhe und leicht schwankend. Die beiden bewegen sich im Labyrinth der Stadt so sicher wie andere Leute in ihrem Wohnzimmer. Und am Ende des Films finden sie sich ohne viel Aufhebens wieder, als habe Cusco nur drei Straßen. Ein Tag und ein Ort beherrschen den Film, und obwohl er insofern dem Prinzip der griechischen Tragödie folgt, ist er dennoch nicht tragisch, denn beiden Brüder bleibt die freie Entscheidung.
Was machen sie mit der Herausforderung des Berggeistes, von dem der Wahrsager ihrer Mutter erzählte? Nur soviel sei verraten: Kaugummis eignen sich nicht nur zum Verkaufen, sondern auch, dazu Vertrauen zu gewinnen.

Chicle Regie und Drehbuch: Josh Hyde USA/PERU, 12 Minuten. Der Kurzfilm läuft auf der Berlinale vom 9.-19. Februar im Kinderfilmfest.

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