Nummer 407 - Mai 2008 | Regionale Integration

Partizipation oder CAFTA plus?

Die Verhandlungen zu einem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika gehen in die dritte Runde

Kurz vor Beginn der dritten Verhandlungsrunde zu einem Assoziierungsabkommen zwischen Europäischer Union (EU) und dem zentralamerikanischen Staatenblock aus Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama vom 14. bis 18. April in San Salvador, haben zentralamerikanische ZivilgesellschaftsvertreterInnen ihren Regierungen ein bisher beispielloses Partizipationsverfahren abgetrotzt. Die EU versucht zwar, sich formell von der US-Handelspolitik abzugrenzen. In der Einbeziehung der regionalen Zivilgesellschaft hinkt sie den zentralamerikanischen Partnern und ihren eigenen schönen Worten jetzt jedoch einen großen Schritt hinterher.

Jonas Rüger

Im Oktober 2007 begann die erste Verhandlungsrunde für das geplante Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den zentralamerikanischen Staaten. Dieses soll unter anderem einen Freihandelsvertrag enthalten. Im Vorfeld hatte das Zivilgesellschaftliche Konsultivkomitee (CC-SICA) von EU und zentralamerikanischen Regierungen in einem offenen Brief die Umsetzung ihrer Versprechen zur Einrichtung von substantiellen Partizipationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft gefordert. Nach einem halben Jahr zäher Verhandlungen wurde am 3. April, auf zentralamerikanischer Ebene schließlich ein entsprechender Mechanismus vereinbart. Zumindest auf dem Papier mutet dieser im Vergleich zu bisherigen internationalen Verhandlungsprozessen geradezu revolutionär an.

Im internationalen Vergleich muten die Partizipationsmöglichkeiten fast revolutionär an – zumindest auf dem Papier.

Neben indirekten Informationskanälen wie Internetseite, Pressemitteilungen und den so genannten Cuartos Adjuntos („Nebenzimmern“) sollen die regionalen Netzwerke, welche das CC-SICA bilden, die Möglichkeit erhalten, direkte Anfragen an den jeweiligen Vocero Único („Ausschließlichen Sprecher“) für Zentralamerika zu richten. Dieser wird im turnusmäßigen Wechsel von VertreterInnen der beteiligten Regierungen Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama gestellt. Vor allem aber können CC-SICA und einzelne regionale Netzwerke und Organisationen konkrete Vorschläge und Forderungen an die Verhandlungsteams einreichen. Ein Weg führt dabei über die Institutionen des SICA (System zur zentralamerikanischen Integration): das Generalsekretariat SG-SICA für die Bereiche „Politischer Dialog“ und „Entwicklungszusammenarbeit“ und das Sekretariat für ökonomische Integration in Zentralamerika (Sieca) für den handels- und investitionstechnischen Teil. Des Weiteren können die Organisationen für die zentralamerikanischen Vorbereitungsrunden direkte Gespräche mit den Verhandlungsteams beantragen. „Dieser Konsultationskanal ist insofern besonders interessant, als die Regierungen verpflichtet sind, Rechenschaft darüber abzulegen, was mit den Vorschlägen weiter passiert ist. Sie müssen erklären, ob die Beiträge ganz, teilweise oder garnicht einbezogen wurden, und das auch begründen“, führt Carlos Molina, Präsident des CC-SICA aus.
Die EU hat zu diesem Erfolg laut Denis Cabezas, Präsident des costaricanischen Gewerkschaftsdachverbandes CMTC, allerdings wenig beigetragen: „Mit Blick auf die Sicherheit von Investitionen übt die EU ständig Druck zur Stärkung des Zentralamerikanischen Gerichtshofes aus, und die Zollunion wurde zunächst sogar zur Bedingung gemacht, um überhaupt erst Verhandlungen aufzunehmen. In Bezug auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung hieß es trotz anfänglicher Versprechen immer nur, man könne die zentralamerikanischen Regierungen zu nichts zwingen.“ Die angeblich dem Handelsabkommen gleichgestellten Säulen „Politischer Dialog“ und „Entwicklungszusammenarbeit“ waren für Cabezas bisher „reine Kosmetik“. Paradox scheint in diesem Zusammenhang auch, dass, obwohl die EU die wichtigste internationale Geldgeberin für die Stärkung des CC-SICA im zentralamerikansichen Institutionengefüge ist, ein ähnlicher Partizipationsmechanismus wie in Zentralamerika auf europäischer Ebene bisher völlig fehlt.
In Zusammenarbeit mit der Stiftung für Frieden und Demokratie (FUNPADEM) bereitet das CC-SICA derweil schon konkrete Vorschläge, eine Reihe von Diskussionsforen sowie eine Konferenz vor, an der auch die Verhandlungsteams teilnehmen werden. Nach Auffassung von Ricardo Sol, Direktor der Abteilung für Zivilgesellschaft und Partizipation bei FUNPADEM, sind es dabei vor allem die bisher vernachlässigten Bereiche „Politischer Dialog“ und „Entwicklungszusammenarbeit“, die – wenn sie ernstgenommen würden – tatsächlich nachhaltige Fortschritte für demokratische Entwicklung in Zentralamerika bringen könnten: „Die Einbeziehung von konkreten Zusagen zur Stärkung demokratischer Institutionen, der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Entscheidungen, regionaler Integration, sozialer Gerechtigkeit und der Menschenrechte verwandeln sich gegenüber Freihandels-Verhandlungen, deren Bedingungen bereits durch bestehende Verträge abgesteckt sind, in die wichtigsten Bereiche für substanzielle Beiträge aus der Zivilgesellschaft.“ Denn bezüglich des Handels mit Waren und Dienstleistungen hatten EU-VertreterInnen frühzeitig klar gemacht, dass sie das viel kritisierte CAFTA als Grundlage der Verhandlungen sehen.
Die Verhandlungsspielräume abseits einer Totalopposition beschränken sich in diesem Feld also größtenteils auf Übergangsregelungen und Exportquoten für einzelne Produkte wie zum Beispiel Bananen und Zucker. Obwohl sich bisher für alle Mitgliedsstaaten des CAFTA bis auf Nicaragua und ironischerweise Costa Rica, das den Vertrag noch garnicht in Kraft gesetzt hat, die Handelsbilanz mit den USA verschlechtert hat, stand ein kritisches Überdenken von Handels- und Investitionsabkommen dieser Art im Hinblick auf die Kohärenz mit den anderen beiden Komponenten des Assoziierungsabkommen bisher nicht auf der Tagesordnung. Ob das neue Konsultationsverfahren dies ändern kann, bleibt abzuwarten. Denn bezüglich der von der EU mit ihrer Außenhandelsstrategie hauptsächlich verfolgten Ziele lässt EU-Handelskommissar Peter Mandelson wenig Raum für Interpretationen: „Es geht darum, den europäischen Unternehmen […] Zugang zu weltweiten Märkten und das sichere Operieren auf selbigen zu ermöglichen.“
Was bloße Handelsstatistiken angeht, scheint die Bedeutung Zentralamerikas für die EU zwar minimal: Nach Daten von WTO, EU und SIECA exportierte die EU 2006 Waren um Wert von 1,48 Billionen US-Dollar. Davon gingen 3,3 Milliarden US-Dollar oder 0,22 Prozent nach Zentralamerika (ohne Panama und Belize). Im Gegenzug schickten diese Länder Waren für 2,8 Milliarden US-Dollar nach Europa, was einem Anteil von 17 Prozent am Gesamt-Exportvolumen von 16,5 Milliarden US-Dollar entspricht und die EU zum zweitwichtigsten Außenhandelspartner der Region nach den USA macht. Mit 14,5 Billionen US-Dollar beträgt das Bruttoinlandsprodukt der EU-Staaten das 165,5-fache der in den Staaten des Zentralamerikanischen Gemeinsamen Marktes (MCCA) erwirtschafteten 87,6 Milliarden US-Dollar.
Dennoch ist der Stellenwert des Assoziierungsabkommens für die EU weitaus höher, als diese Zahlen vermuten lassen. Denn das Abkommen ist in die Rolle eines Präzedenzfalls für den Erfolg der aktuellen EU-Außenhandelsstrategie gerutscht: Die Anstrengungen zu regionalen Abkommen mit dem MERCOSUR (Gemeinsamer Markt des Südens), den Andenstaaten oder der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN) stagnieren seit Jahren ebenso wie die sowohl von der EU als auch den USA zu Hauptinteressen erklärten sogenannten „Singapur-Themen“ (Investitionen, öffentliches Auftragswesen und Wettbewerbsregeln) auf WTO-Ebene. Auch direkte ökonomische Interessen könnten angesichts der enormen biologischen Vielfalt der Region und neuerdings in zentralamerikanischen Gewässern vermuteten submarinen Bodenschätzen größer sein, als auf den ersten Blick erkennbar. Zumal neben Handelsbestimmungen auch Regelungen zur Investitionssicherheit und zum intelektuellen Eigentum Bestandteil der Gespräche sind. Auch in Zentralamerika erwecken diese Punkte neben den Überlebenschancen kleiner, von lokalen und regionalen Märkten abhängigen ProduzentInnen dementsprechend große Bedenken.
„Was sollen wir denn dann überhaupt noch machen? Welcher zentralamerikanische Produzent kann sich schon gegen solche Konkurrenz behaupten?“, fragt Denis Cabezas ratlos angesichts von CAFTA, Assoziierungsabkommen und ersten Schritten zur Öffnung auch gegenüber der neuen Wirtschaftsmacht China. „Und wir wissen doch alle, dass es vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind, die tatsächliche Beschäftigung bringen, die transnationalen Konzerne und Großexporteure hingegen höchstens von Mal zu Mal prekärere Arbeitsplätze.“ Sorgen bereiten ihm auch die Ermüdung und Resignation vieler kritischer Akteure nach dem vor allem in Costa Rica langen und zähen, letztlich aber erfolglosen Kampf gegen CAFTA. „Wir brauchen dringend Unterstützung und eine stärkere Vernetzung mit der europäischen Zivilgesellschaft.“

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