Mexiko | Nummer 406 - April 2008

Plötzlich kamen sie zurück

Der 2. Oktober. Auszüge aus La noche de Tlatelolco von Elena Poniatowska

Zusammengestellt von Sherin Abu Chouka, Übersetzung Katharina Wieland

„Als ich bemerkte, dass der Hubschrauber sich der Plaza de las Tres Culturas gefährlich von oben näherte und als sie auf die Leute ballerten – man konnte graue Streifen am Himmel erkennen – war ich so überrascht, dass mir entfuhr: „Nein, das ist nicht wahr, das ist ein Film, das habe ich nur im Kino gesehen. Das sind keine echten Kugeln!“ Ich ging weiter, immer weiter, wie eine Verrückte, bis mich die Leute festhielten.“
// Elvira B. de Concheiro, Mutter

„Die Plaza de las Tres Culturas war die Hölle. Pausenlos gingen Schüsse und Salven von Maschinenpistolen oder -gewehren los und schwirrten in alle Richtungen.“
// Miguel Salinas López, Student an der Fakultät für Handel und Verwaltung der UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México – Autonome Nationaluniversität von Mexiko).

„Ich habe nicht kapiert, warum die Leute dorthin rannten, von wo die Typen mit den weißen Handschuhen schossen. Meche und ich – hinter die Säule gedrängt – sahen zu, wie die Menschenmasse schreiend, kreischend auf uns zu lief, während auf sie geschossen wurde und sie davon rannten, und plötzlich kamen sie zurück, fielen hin, rannten weg, kamen wieder zurück und fielen wieder hin. Das konnte nicht sein, warum? Es war eine große Menschenmasse, die von hier nach dort lief, hinfiel, von dort nach hier lief, dann wieder auf uns zu lief, dann wieder hinfiel. Ich dachte, dass es das Logischste wäre, dorthin zu rennen, woher keine Kugeln kämen; sie aber kamen darauf zu. Heute weiß ich, dass man auch von der anderen Seite auf sie schoss.“
// Margarita Nolasco, Anthropologin

„Ich zog meinen Bruder am Arm: „Julio, was ist los?“ Ich rüttelte ihn noch einmal, seine Augen blickten traurig und waren halbgeöffnet und ich konnte ihn hören: „…es ist, weil…“
Ich konnte an nichts denken. Inmitten der riesigen Menschenmassen konnte man kaum etwas verstehen. Später dachte ich, dass, wenn ich es gewusst hätte, wenn ich bemerkt hätte, dass Julio im Sterben lag, ich irgendetwas Unüberlegtes genau in diesem Moment und an diesem Ort gemacht hätte.
Später kamen einige der Soldaten, die auf die Gebäude rund um den Platz geschossen hatten, zu uns. Der Pulvergestank war unerträglich. Die Leute wichen langsam zurück, damit ich zu Julio konnte: „Bruder, sag was zu mir.“ —Er ist bestimmt verletzt—sagte eine Frau—. Mach seinen Gürtel auf. Als ich den Gürtel öffnete, verlor sich meine Hand in einer Wunde. Später im Krankenhaus sagte man mir, dass er drei Mal getroffen worden war, einmal in den Magen, einmal in den Hals und einmal ins Bein. Er lag im Sterben.“
// Diana Salmerón de Contreras

„Die meisten Leichen lagen auf dem Bauch und waren vom Regen aufgedunsen, aber manche lagen auch mit dem Gesicht nach oben. Sie waren wie zertrampelte Blumen, wie die von Schlamm bespritzten, welken Blumen, in den Gärten des Chihuahua-Gebäudes.“
// Pilar Marín de Zepeda, Grundschullehrerin

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