Ecuador | Nummer 273 - März 1997

Präsidentenpoker

Wer ist hier eigentlich “verrückt”?

Nicht einmal sechs Monate war der im Juli letzten Jahres gewählte Präsident Abdalá Bucaram im Amt, als das Parlament ihn am 5. Februar seines Amtes wegen “geistiger Unfähigkeit” gemäß Artikel 100 der Verfassung enthob. Kurios genug sollte diese Begebenheit am Tag darauf noch in den Schatten gestellt werden, als gleich drei Präsidenten sich auf ihren rechtmäßigen Vertretungsanspruch beriefen: die gewählte Vize-Präsidentin Rosalía Arteaga, der vom Parlament bestimmte Interimspräsident Fabian Alarcón und Bucaram selbst, der seine Amtsenthebung nach wie vor als nichtig betrachtet. Die grotesk anmutende, schwere innenpolitische Krise scheint mit der zweiten, verfassungsgemäßen Wahl Fabián Alarcóns durch das Parlament am Faschingsdienstag bis zu vorgezogenen Wahlen 1998 vorerst behoben. Oder tanzen auch nach Aschermittwoch noch die Puppen?

Elisabeth Schumann

Am 5. Februar gingen über zwei Millionen EcuadorianerInnen auf die Straße, um gegen das von Präsident Abdalá Bucaram durchgeboxte Reformpaket und seine Person selbst zu demonstrieren. Ihre Botschaft war eindeutig: “¡Que se vaya! Weg mit Bucaram!” Die harten wirtschaftlichen Anpassungsstrategien der Regierung Bucaram waren zweifelsohne ein Grund für diese Forderung. Aber vor allem die zunehmende Unglaubwürdigkeit des Präsidenten durch Korruptionsvorwürfe, Vetternwirtschaft und Mißbrauch öffentlicher Gelder sowie die immer neuen Peinlichkeiten Bucarams, der mit seinem Image als el loco – der Verrückte – spielt, hatten bereits Anfang des Jahres zu landesweiten Protestdemonstrationen geführt, die im Generalstreik am 5. Februar gipfelten. Der Streik, an dem mehr als ein Sechstel der Gesamtbevölkerung Ecuadors teilnahm, wurde von den Gewerkschaften, StudentInnen, LehrerInnen, indigenen Gruppierungen und anderen sozialen Bewegungen getragen, aber auch von der katholischen Kirche und dem privaten Sektor befürwortet.

Amtsenthebung wegen “geistiger Unfähigkeit”

In einer Sondersitzung beriet das Parlament das weitere Vorgehen. Bereits seit einigen Wochen standen seitens der Opposition Forderungen nach der Amtsenthebung Bucarams im Raum, und nun mußte eine schnelle Lösung zur Stabilisierung der innenpolitischen Situation auf den Tisch. Politische Amtsenthebungsverfahren sind in Ecuador durchaus verbreitet, sie sind jedoch langwierig und bedürfen der Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten. Eine Abkürzung des Verfahrens nach Artikel 100 der Verfassung, der eine Amtsenthebung bei “physischer oder mentaler Unfähigkeit” mit einer einfachen Mehrheit vorsieht, schien da ein probates Mittel. Mit 44 Stimmen bei 34 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wurde Bucaram am 6. Februar seines Amtes enthoben. Parlamentspräsident Fabián Alarcón wurde im gleichen Zug mit einfacher Mehrheit zum Interimspräsidenten bestimmt.

Drei Möchte-gern-Präsidenten über Nacht

Daß sie die Stimme des Volkes nicht vernommen hätten, kann den Abgeordneten der Opposition wohl kaum vorgeworfen werden, dennoch ist ihr Vorgehen juristisch sehr umstritten und die Uneigennützigkeit fraglich. Die Entscheidung des Parlamentes fiel in eine verfassungsrechtliche Grauzone und verhalf Ecuador über Nacht zu drei Möchte-gern-Präsidenten. Am 8. Februar 1997 meldete neben dem Ex-Präsidenten Bucaram, der seine Amtsenthebung nicht anerkennt und sich zeternd im Präsidentensitz verbarrikadierte, sowie dem frischgewählten Fabián Alarcón, nun auch Vizepräsidentin Rosalía Arteaga ihren Anspruch auf das höchste Amt an.
Das Militär bleibt neutral
Unerwartet vermochten vermittelnde Impulse seitens des Militärs die Situation zu entschärfen. Mit der Erklärung des Ausnahmezustands am Tag nach der Amtsenthebung durch den Verteidigungsminister Bayas im Namen Bucarams, war dem Militär Tür und Tor geöffnet, die Situation nach ihrem Gutdünken zu beenden. Der “Rat der Admiräle” betonte jedoch, das Militär werde neutral bleiben: Es sei Aufgabe des Parlaments, einen rechtmäßigen Nachfolger zu ermitteln. Bucaram wurde zwar militärischer Geleitschutz gewährt, aber gleichzeitig signalisiert, man sehe ihn nicht mehr als Präsidenten an. Zwischen Arteaga und Alarcón wurde unter Vermittlung des Militärobersten General Paco Moncayo ein Kompromiß vereinbart, der Arteaga als Vizepräsidentin zur rechtmäßigen Nachfolgerin Bucarams auf strikt begrenzte Zeit machte. Und zwar solange, bis das Parlament die verfassungsrechtlichen Unklarheiten beseitigt und einen Interimspräsidenten per Wahl bestimmt hat.

Arteagas Tage im Amt sind gezählt

Allem Anschein nach hatte Arteaga jedoch nicht damit gerechnet, so schnell die gerade eingenommene Position zu verlieren. Am Montag, den 10. Februar, hielt sie eine Antrittsrede und begann mit der Ernennung von Kabinettsmitgliedern. Sie protestierte heftig gegen das Vorgehen der Abgeordneten hinsichtlich der Amtsnachfolge und forderte eine Volksabstimmung, signalisierte aber letztendlich, das sie sich der “Diktatur des Kongresses” beugen werde. Nach nur zwei Tagen Arteagas im Amt wurde per Resolution mit Zwei-Drittel-Mehrheit der Weg frei für eine zweite Wahl im Parlament, in der Fabián Alarcón nunmehr verfassungskonform mit 57 von 82 Stimmen zum Interimspräsidenten bestimmt wurde. Die Partei Bucarams, die PRE, nahm nicht an der Abstimmung teil.
Die Verfassung sieht vor, daß ein neugewählter Präsident sein Amt am 10. August, dem Tag der Unabhängigkeitserklärung, antritt. Dieser Termin und die Einhaltung bestimmter Fristen für Wahlankündigung, Wahlkampf, Vorwahl und Stichwahl determinierten das Datum für 1998, da in diesem Jahr die Fristen bereits verstrichen sind.

Unpopulärer Populist

Wie aber konnte es dazu kommen, daß der erst im Juli vergangenen Jahres gewählte Populist Abdalá Bucaram seinen Rückhalt in der Bevölkerung dermaßen verspielt hat? Nach der Stichwahl am 7. Juli 1996, in der sich Bucaram eindeutig gegen seinen Kontrahenten, den Konservativen Jaime Saadi Nebot, behaupten konnte, verkündete er souverän den “Sieg der Armen”. Seine theatralischen Auftritte, wirren Äußerungen zu wirtschaftlichen Zielen, sein unberechenbares Temperament und die wüsten Beschimpfungen politischer Gegner klassifizierten das neue Staatsoberhaupt als einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor, der sich in nervösen Kursschwankungen an der Börse und angespannter Marktlage manifestierte. Er werde “die Oligarchie und die Korruption bekämpfen” und “für die Armen regieren”, so das Leitmotiv seiner Wahlveranstaltungen, zu denen der 45jährige Anwalt aus der Küstenstadt Guayaquil auch gerne mal im Batman-Kostüm aufkreuzte.

Bucaram als das “kleinere Übel”

Nach Schätzungen des Ökonomen Jaime Zeas würde es fast zwei Drittel des Haushaltsbudgets ausmachen, wolle Bucaram seine blumigen Wahlversprechen – unter anderem Lohnerhöhungen, Straßenbau, erweiterte Sozialversicherung, Subventionierung von Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Häuserbau – einlösen. Zwar ist Bucaram für seine Irrationalität bekannt und seine schwammigen Regierungsperspektiven wenig ernstzunehmen, dennoch gelang es ihm, sich nach dem Ausscheiden der beiden Hochlandkandidaten Freddy Ehlers des neugegründeten links-indigenistischen Movimiento Nuevo País-Pachakutik und Rodrígo Paz der Zentrums-Partei Democrácia Popular gegenüber dem Rechtsaußen Jaime Nebot als das “kleinere Übel” zu profilieren und vor allem WählerInnenstimmen der ärmeren Bevölkerung zu mobilisieren. Nebot galt eher als Kandidat der Geschäftsleute und oberen Schicht. Die Furcht vor einem autoritären, menschenrechtsverachtenden Regime und der harte neoliberale Kurs, mit dem Nebot ins Feld zog, hatten zu einer breiten Stop Nebot!-Koalition unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen geführt.

Kehrtwende nach dem Wahlsieg

Kaum hatte er die Wahlen gewonnen, versicherte Bucaram eifrig, den eingeschlagenen neoliberalen Kurs seines Amtsvorgängers Sixto Durán-Balléns fortzuführen, das Land für ausländische Investitionen zu öffnen und die Auslandsschulden zu verringern. Die Privatisierung von Staatsbetrieben werde fortgesetzt und öffentliche Ausgaben radikal eingeschränkt. Seinem Beraterteam für Wirtschaftsfragen gehörten drei Banker an, was Seriösität per se vermitteln sollte, genau wie Bucarams Zugeständnis, ein Ministerium für Indígenas einzurichten, einen multikulturellen Anstrich suggerierte. Wie die meisten seiner Wahlversprechen entpuppten sich auch diese als reine Augenwischerei und bewirkten einen starken Popularitätsabfall wenige Wochen nach der Wahl. Der private Sektor, um dessen Kooperation das neue Staatsoberhaupt sich redlich bemühte, drängte auf Fakten statt Beteuerungen. Bucaram hatte sich kurz nach seinem Amtsantritt mit einer Runde illustrer Wirtschaftsgrößen anderer lateinamerikanischer Staaten umgeben, dessen prominentester Vertreter der inzwischen in seiner Heimat in Ungnade gefallene argentinische Ex-Wirtschaftsminister und Architekt des Konvertibilitätsprogramms Domingo Cavallo war.

Cavallo-Plan für Ecuador

Trotz der prominenten Berater ließ das angekündigte Wirtschaftskonzept der Regierung Bucaram auf sich warten. Der Termin wurde mehrfach verschoben, so daß es zu einer nervösen Anspannung, Spekulationen und scharfer Kritik seitens der Opposition kam. Die uneinheitlichen Aussagen der Regierung zum neuen Wirtschaftsplan trugen nicht gerade zur Vertrauensbildung bei potentiellen Investoren bei: während Finanzminister Pablo Concha Mitte Oktober von harten aber notwendigen Anpassungsmaßnahmen sprach, entwarf Bucaram die Vision eines Currency Boards nach argentinischem Vorbild, das die bei 25 Prozent liegende Inflation mit einem Schlag beenden und auch alle anderen Probleme aus der Welt schaffen würde. Zum ersten Juli sollten drei Nullen weggestrichen und der Sucre in einem Verhältnis von 4:1 an den US-Dollar gekoppelt werden.
Der ehemalige Zentralbankchef Eduardo Valencia bezeichnete Bucarams Pläne als absurd, für Ecuador seien andere Instrumente von Nöten als für Argentinien. Eine neue Währung würde nur die heimische Industrie zerstören und zunehmende Arbeitslosigkeit bewirken. Der Herausgeber der Tageszeitung HOY, Ben Ortiz, kommentierte, ein Konvertibilitätsprogramm setze absolute Disziplin und politische Ethik voraus, und die Regierung Bucaram verfüge weder über das eine noch das andere. Mehrfach mußte der Finanzminister die Versprechen seines Präsidenten im nachhinein revidieren: die Subventionierung von Kochgas werde abgeschafft, auch wenn Bucaram das Gegenteil verkünde. Auf Zigarretten und Alkohol sollten Steuererhöhungen von bis zu 300 Prozent entfallen. Weitere Erhöhungen von grundlegenden Ausgaben wie Transport und Telefon waren geplant, um das staatliche Haushaltsdefizit von vier Prozent auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Neben Privatisierung und Finanzmarktliberalisierung gehört auch die “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes zu den Pfeilern des Plans.
Im Dezember kam es nach scharfer Kritik an den wirtschaftlichen Plänen der Regierung zu einem Sozialpakt von Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften, die Lohnerhöhungen von zehn Prozent im öffentlichen Sektor durchsetzen konnten. Angesichts der brutalen Preiserhöhungen durch den Wegfall von Subventionen wirkt die zehnprozentige Lohnerhöhung jedoch lächerlich.
Zum ersten Januar traten weitreichende Preiserhöhungen in Kraft: 550 Prozent für Elektrizität und 270 Prozent für Kochgas, die Ende Dezember nach drei abgelehnten noch drastischeren Vorlagen vom Kongreß verabschiedet worden waren.

Korruption und Vetternwirtschaft

Parallel zu immer neuen preislichen Belastungen der Bevölkerung erhärtete sich der Korruptionsverdacht gegen das Staatsoberhaupt, der sich allem Anschein nach noch skrupelloser aus den staatlichen Töpfen bediente als seine Vorgänger. Bucarams Sohn Jacobo wurde der Beteiligung an Zollbetrug größeren Ausmaßes verdächtigt. Abdalá Bucaram hatte mit einer seiner ersten Amtshandlungen das Zollverfahren dem Militär unterstellt, um die dort vermutete Korruption “in den Griff zu bekommen”.
Seinem Kabinett gehörten sein Bruder Adolfo Bucaram und sein Schwager Pablo Concha als Finanzminister an, der bereits in früheren Regierungen im Finanzressort tätig war. Auch andere Verwandte und enge Freunde Bucarams wurden mit wichtigen Positionen bedacht, von denen Energieminister Alfredo Adum besonders umstritten war. Zumindest schien er der einzige, der dem Präsidenten im Punkte unflätige Beschimpfungen das Wasser reichen konnte. Bucarams Schwester Elsa, die seit einiger Zeit in Panamá lebt, um den Korruptionsvorwürfen aus der Zeit als Bürgermeisterin von Guayaquil zu entgehen, wurde von Bucaram rehabilitiert. In der Bevölkerung machte sich zunehmend der Eindruck breit, Preiserhöhungen fänden nur statt, um die Extravaganzen der Bucaram-Sippe zu finanzieren.
Am 8. Januar und an den folgenden Tagen kam es zu zunächst friedlich verlaufenden Demonstrationen, schließlich aber zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen StudentInnen und der Polizei, die zahlreiche Leute festnahm. Seit Mitte Januar streikten landesweit die LehrerInnen und StudentInnen, die Gewerkschaften verkündeten den Generalstreik für Anfang Februar. Längst hatte die scharfe Kritik am autoritären und unverantwortlichen Regierungstil Bucarams an soviel Eigendynamik gewonnen, daß dessen versöhnlicher Tonfall Ende Januar unbeachtet blieb: Die monatlichen Erhöhungen der Benzinpreise sollten eingestellt werden und Abhilfe für die besonders von der Erhöhung der Kochgaspreise betroffenen armen Familien in Form von speziellen Rabattmarken geschaffen werden. Bucaram kündete Kabinettsumbildungen für Februar an, erklärte aber, in jedem Fall an seiner Währungsreform festzuhalten.

Besuch bei Fujimori

Im April sollte in einer Volksabstimmung über die Währungsreform befunden werden. Ein mögliches “Nein” kam dabei für ihn nicht in Betracht, so daß die Tageszeitungen spekulierten, er werde notfalls der Entscheidung à la Fujimori nachhelfen.
Der ganz und gar autoritäre Regierungsstil Bucarams hatte von Anfang an deutlich gemacht, daß er von Kompromissen überhaupt nichts halte, sondern seine Entscheidungen durchsetzen werde. In anderen Bereichen wiederum wurde seine Dialogbereitschaft heftig kritisiert, so seine Offenheit gegenüber dem peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori, den Abdalá Bucaram als erstes ecuadorianisches Staatsoberhaupt in Lima besuchte. Seine Verhandlungsbereitschaft gegenüber dem starken Nachbarn Peru, mit dem Ecuador einen lange schwelenden Grenzkonflikt hat, war vielen suspekt und das Gespenst des Vaterlandsverrats trieb wieder sein Unwesen. Während Bucaram und Fujimori in Lima Einigkeit demonstrierten und Bucaram tröstende Worte für seinen “amigo Alberto” anläßlich der MRTA-Geiselnahme in der japanischen Botschaft fand, drohte der Unmut auf den Straßen Quitos, Guayaquils und Cuencas endgültig überzukochen. Am 31. Januar signalisierte die Vereinigung ehemaliger Angehöriger der Streitkräfte ihre Unterstützung der öffentlichen Proteste, indem sie die Regierung aufforderte, die Maßnahmen zu korrigieren und der sich verbreitenden Unsicherheit zu begegnen.

Bucaram plant sein Come-back

Nachdem er seines Amtes durch das Parlament enthoben worden war, verbarrikadierte Abdalá Bucaram sich unter Protest in seiner Residenz. Als er am darauffolgenden Samstag Quito verließ und in seine Heimatstadt Guayaquil flog, wurde dies als Zeichen einer eingestandenen Niederlage gewertet. Doch Bucaram denkt nicht daran, seinen Anspruch aufzugeben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Panamá, weilte Bucaram in Buenos Aires und ließ sich von Carlos Menem den Rücken stärken. Er sieht sich als Opfer eines Komplotts und will die Verschwörung gegen ihn beweisen.

Schmale Basis für Politik

Nach Ansicht des Journalisten Carlos Arcos Cabrera hat die Regierung Bucaram den Verfall des politischen Systems zwar beschleunigt, die Zerrüttung der demokratischen Substanz dauert jedoch schon länger an. Die Fähigkeit des politischen Systems, einen Legitimierungsanspruch aufrechtzuerhalten und glaubwürdig zu vertreten, hat in den vergangenen Jahren rapide abgenommen. Die überwältigende Manifestation des Unmuts weiter Teile der Bevölkerung am 5. Februar galt zwar besonders Bucaram, aber auch der verfilzten Polit-Oligarchie Ecuadors insgesamt. Alles in allem bleibt das dumpfe Gefühl, das der “Rechtmäßigkeit” verschiedener Entscheidungen gehörig auf die Sprünge geholfen wurde, unabhängig von der Person Bucarams, der vollkommen unglaubwürdig ist.

Bucaram ist weg, die Probleme bleiben

Auch wenn Bucaram vorerst von der Bildfläche verschwunden ist und Ecuador erleichtert aufatmet: der wirtschaftliche Spielraum bleibt trotz allem extrem begrenzt, und Korruption und Mißbrauch staatlicher Gelder hat Abdalá Bucaram nicht für sich allein gepachtet. Alarcón ist als gewiefter Taktiker bekannt, konnte sich aber möglicherweise auch deshalb als Kompromißfigur profilieren, weil seine Partei politisch so unbedeutend ist, daß die großen Parteien ihre Interessen für die kommende Wahl durch ihn in keiner Weise gefährdet sehen. Nur die gemeinsame Ablehnung der Person Bucaram hat die ansonsten zersplitterte Opposition andere Streitigkeiten vergessen lassen. Auch wenn dieses Bündnis Alarcón ins Präsidentenamt verhalf, ist es eine sehr schmale Basis für zukünftiges politisches Manövrieren.

KASTEN:
Abdalá Bucaram – Batman auf CD

Abdalá Bucaram ist alles andere als ein Unbekannter im ecuadorianischen Polit-Business. Der 45jährige Mango-Millionär aus der Küstenmetropole Guayaquil wettert sich seit Jahren durch die Ämter und beschenkt die Armen in spektakulären Aktionen. Der ehemalige Sportler, heute aber behäbige Abdalá ist Mitbegründer der Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE), einer populistischen Partei, die an den Regierungsstil des 1980 bei einem Flugzeugabsturz getöteten populistischen Präsidenten Jaime Roldos, Bucarams Schwager, anknüpft. In den 80er Jahren verbrachte der unberechenbare Hitzkopf mehrere Jahre in Panamá, da ihm Korruption und Mißbrauch öffentlicher Gelder in seiner Funktion als Bürgermeister von Guayaquil vorgeworfen wurde. 1988 kehrte er nach Ecuador zurück und wurde vom Präsidenten León Febres-Cordero nicht nur rehabilitiert, sondern auch für die Präsidentschaftswahlen zugelassen. Vermutlich geschah dies, um dem Kandidaten Rodrigo Borja der linken Izquierda Democrática bei den unmittelbar bevorstehenden Wahlen das Wasser abzugraben. In seiner dritten Kandidatur 1996 gewann Abdalá Bucaram am 7. Juli die Stichwahl gegen den PSC-Kandidaten Jaime Nebot und wurde am 10. August in das Amt eingeführt. Außer der Kehrtwende hinsichtlich des wirtschaftlichen Kurses, war seine Amtszeit von Anfang an durch unkohärente populistische Aktionen gekennzeichnet, seinem exzentrischen Charakter entsprechend. Ab Mitte September wurde billige Milch mit dem Portrait des Präsidenten unter dem Namen Abdalact in den armen Vierteln angeboten. In einem spektakulären Fernsehauftritt ließ er sich sein Bärtchen abrasieren und versteigerte es für über 740.000 US-Dollar zugunsten kranker und bedürftiger Kinder. Immer wieder verschenkte er bündelweise Geld an die Armen und widmete ihnen seine CD Un Loco que ama, die Bucaram zusammen mit der urugayischen Band Los Iracundos aufnahm. Seine Vorliebe, politische Kontrahenten zu beschimpfen, und auch von den Medien keinerlei Kritik zu dulden, führte zu Spannungen mit der Tageszeitung HOY und einem Radiosender, der seine Schimpftiraden nicht länger ausstrahlen wollte.

Rosalía Arteaga – Präsidentin für 48 Stunden

Rosalía Arteaga bildete zusammen mit Abdalá Bucaram ein Team für die Präsidentschaftswahlen und wurde so zur ersten Vizepräsidentin Ecuadors. Doch schon bald mußte sie feststellen, daß die Aufgabenverteilung Bucarams für sie nur Unwesentliches vorsah, und er nicht daran dachte, sich an die ausgemachte Ressortaufteilung zu halten. Die Rechtsanwältin und engagierte Christin aus Cuenca, die Abdalá Bucaram als Zugpferd für Wählerstimmen aus dem Hochland einsetzte, war Erziehungsministerin der Regierung Sixto Durán-Ballén. Es kam zu mehreren heftigen Auseinandersetzungen Arteagas mit Bucaram und dem Energieminister Adum, gegen die sie ihre Meinung durchzusetzen versuchte. Sie kritisierte Bucarams Entscheidungen und Vorhaben mehr als einmal, blieb aber dennoch im Amt. Alarcón und andere Abgeordnete verdächtigte sie der Verschwörung und der Vorbereitung eines Staatsstreiches. Nach Bucarams Amtsenthebung am 6. Februar sah sie zu Recht ihre Sternstunde gekommen, die jedoch trotz Rückendeckung des Militärs nur von kurzer Dauer sein sollte. Voller Bitterkeit verkündete sie: “Ich wurde nicht gewählt, weil ich eine Frau bin”. Ihre rechtlichen Bedenken und ihr scharfer Protest sind bei genauem Hinsehen nicht unbegründet. Als Hauptargument gegen Arteaga wird aber ihr Bündnis mit Abdalá ins Feld geführt, denn damit erlösche ihr “moralischer” Anspruch auf das höchste Amt im Staat. Für das Amt der Vizepräsidentin unter Alarcón steht Rosalía Arteaga dennoch zur Verfügung.

Fabián Alarcón: Der geschickte Taktiker ist auf seinem Karrierehöhepunkt angelangt

Der vom ecuadorianischen Nationalkongreß am 5. Februar 1997 als Nachfolger von Bucaram und als Interims-Präsident bis August 1998 bestätigte Fabián Alarcón Rivera (50) ist in der politischen Klasse Ecuadors kein unbeschriebenes Blatt. Als Sohn des konservativen Diplomaten Ruperto Alarcón beginnen seine ersten politischen Schritte sehr früh. Seine erste erfolgreiche Wahl bestreitet er 1984 für die Demokratische Partei (PD), als er für die Provinz Pichincha zum Präfekten nominiert wird. In den 70er Jahren ist er aktives Mitglied in der Patriotischen Volkspartei (Partido Patriótico Popular). In den 80er Jahren gewinnt er das Bürgermeisteramt in Quito, das er allerdings 1988 an den Christdemokraten Rodrigo Paz wieder verliert. 1990 tritt er zum ersten Mal als Abgeordneter in den Nationalkongreß ein, und obwohl er einem kleinen Minderheitsblock angehört, gelingt es ihm, zum Parlamentspräsidenten gewählt zu werden. 1992 tritt er erneut, dieses Mal als Mitglied der Radikalen Alfaristen-Front (Frente Radical de los Alfaristas) zur Bürgermeisterwahl von Quito an, muß sich aber gegen Jamil Mahuad (Democracia Popular), heute noch amtierender Bürgermeister, geschlagen geben. Obwohl seine politische Karriere oft von Erfolg gekrönt ist, wird Alarcón nachgesagt, daß die einzige Konstante dabei “das Fähnchen im Wind” sei. Er habe Parteien und Fronten so oft gewechselt wie andere ihre Hemden und sei “der beste Wendehals der Politik”, so wie seine Partei (FRA) als “Wendepartei” betitelt wird. 1996 gelingt ihm ein erneuter Coup im Nationalkongreß: Obwohl nur mit zwei weiteren Abgeordneten in einem Block vertreten, verhilft ihm eine Allianz mit Abdalá Bucaram erneut zur Wahl zum Parlamentspräsidenten. Ironie des Schicksals, daß Alarcón eben diese Position am 5. Februar 1997 in die Lage versetzt, einem Mißtrauensvotum im Kongreß gegen seinen ehemals Verbündeten stattzugeben und ihn in eigener Person als Staatspräsident zu ersetzen?
Mit allgemeiner Skepsis werden seine ersten Amtshandlungen betrachtet: Die neue Regierung Alarcón hat Entlassungsdekrete durch die Administration Bucaram rückgängig gemacht und die Schaffung einer Finanzkomission zur Kontrolle der eigenen Regierung angekündigt. Die ersten offiziellen Besuche Alarcóns gelten den Bürgermeistern von Quito, Cuenca und Guayaquil. Alles Schritte, um Vertrauen in die eigene Politik zu schaffen, die das Begehren des Volkes respektieren und mehr, die sozialen Gruppen des Landes einigende Partizipation schaffen will? Die Bildung eines Kabinetts über viele politische Fronten hinweg gestaltet sich schon von Beginn an schwierig, da die großen Parteien wie ID, PSC und Pachakutik ihre Regierungsmitarbeit schon ausgeschlossen haben.
Die zahlreichen hupenden und fahnenschwenkenden Autokolonnen, die in der Nacht vom 5. Februar die Straßen Quitos und anderer Städte füllten, feierten ausgelassen die Absetzung Bucarams und den Sieg des Volkes in der Straße, nicht aber die Wahl Alarcóns zum Präsidentennachfolger. In diesem Sinne gilt der an eine Straßenmauer geschriebene Satz: “Paß auf Alarcón, das Volk bleibt auch nach dem 5. Februar wachsam.”
Andrea Kuhlmann

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren