Nummer 467 - Mai 2013 | Paraguay

Putsch gewinnt Wahl

Interview mit der Politikwissenschaftlerin Magui López über die Parteienlandschaft und das Parlament in Paraguay

Im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern spielt in der paraguayischen Verfassung die Legislative eine wesentlich größere Rolle. Über die Kräfteverhältnisse im Parlament, die Parteienlandschaft und die Aussichten des Landes nach den Wahlen sprachen die Lateinamerika Nachrichten mit Magui López.

Interview: Thilo F. Papacek

Paraguay hat gewählt. Was halten Sie von dem Ergebnis?
Das ist sehr entmutigend. Die Colorados (ANR) haben nicht nur die Präsidentschaft gewonnen, sondern stellen auch die Mehrheit der Abgeordneten. Zudem haben sie 19 Sitze im Senat gewonnen. Die Liberalen (PLRA) haben zwölf Sitze im Senat. Außerdem wurden etliche liberale Abgeordnete gewählt. Die Parteien, die sich im vergangenen Jahr am Parlamentsputsch gegen Fer-nando Lugo beteiligt haben, konnten 83 Prozent der abgegebenen Stimmen gewinnen. Das heißt, die Parteien, die die Demokratie unterwandert haben, wurden nun gewählt. Das wirft die Frage auf: Wie wichtig ist den paraguayischen Wählerinnen und Wählern eigentlich die Demokratie?

Sind die paraguayischen Wähler_innen denn an den Wahlen nicht interessiert?
Es kommen schon Zweifel am politischen Interesse auf. Die Wählerstimmen werden in Paraguay richtiggehend kommerzialisiert, gekauft und verkauft. In Paraguay kann man eine Wahl durchsetzen, ohne sie direkt zu fälschen.
Aber das ist nicht die alleinige Erklärung für den Erfolg der ANR. Viele glauben tatsächlich an das Programm der Colorados, und dass diese Partei das beste für Paraguay ist.

Die Soziologin Milda Rivarola hat gesagt, dass die PLRA den Wähler_innen zu elitär sei. Was halten Sie von dieser Aussage?
Offensichtlich hat ein großer Anteil der paraguayischen Bevölkerung eine Abneigung gegen die Liberalen, die PLRA verliert immer gegen die Colorados. Sie konnten 2008 nur gewinnen, weil sie sich mit den Linken verbündet hatten. Die PLRA hat eindeutig diese elitistische Strömung. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Gerade in der PLRA gibt es auch Politiker, die man eher der gemäßigten Linken zurechnen kann.
Es gibt auch Aktivisten von Kleinbauernorganisationen, die in der PLRA sind. Dies ist eine Eigenschaft, die beide Parteien, die ANR und die PLRA teilen: Sie sind beide klassen- und ideologieübergreifend. Es gibt in beiden Parteien Fraktionen, die man schon zur extremen Rechten zählen kann, und solche, die man eher als Mitte-Links bezeichnen kann.

Die Colorados pflegen aber eher einen populistischen Diskurs, in dem sie sich als die Vertreter_innen der pynandí geben…
Die pynandí sind die Armen der Colorados, die Schuhlosen auf Guaraní. Mit ihnen konnten die Colorados den Bürgerkrieg 1947 gewinnen. Die Politiker der ANR beziehen sich in fast allen Reden auf die pynandí und darauf, dass sie sie beschützen. Das ist sehr präsent im Colorado-Diskurs.

Wird dieser Diskurs denn auch Auswirkungen auf die Regierungspolitik von Horacio Cartes haben? Wird er tatsächlich die Interessen der Armen vertreten?
Nicht im Entferntesten. In den fünf Jahrzehnten der Colorado-Herrschaft hat sich die ANR nicht wirklich um die Belange der armen Bevölkerungsmehrheit gekümmert. In dieser Beziehung sind sich PLRA und ANR recht ähnlich. Ihr Diskurs mag teilweise verschieden sein, letztlich unterscheidet sich ihre Politik aber nur marginal.

Aber gab es mit Lugo nicht auch einen Bruch? Vertreten jetzt nicht Bevölkerungsgruppen, die zuvor von der Politik ausgeschlossen waren, viel vehementer ihre Interessen?
Lugo hat sich vieler Brüche und Veränderungen gerühmt, die er nicht wirklich durchsetzen konnte. Wenn man sich die realen Machtverhältnisse im Lande ansieht, hat sich während seiner Regierungszeit nur wenig verändert.
Er versprach eine Agrarreform, hat aber keine durchgeführt. Er versprach eine ausführliche Registrierung der Ländereien, um festzustellen, wer welches Land hat, und ob es rechtmäßig oder illegal angeeignet wurde. Das hat er ebenfalls nicht gemacht.
Er wollte auch einige dringend nötige Veränderungen in der institutionellen Struktur des Staates vornehmen, um die traditionelle Vetternwirtschaft im Land zu unterbinden. Aber auch dies blieb ohne Ergebnis.
Es gab eine Veränderung unter Lugo, ja. Aber dieser Wandel war nicht so groß, wie es alle erwartet oder erhofft hatten.

Woran scheiterte die Regierung von Lugo?
Der Hauptgrund für sein Scheitern war, dass sich die Hoffnungen auf Lugo konzentrierten. Die Verfassung von 1991 schränkt eben – unter dem Eindruck der Diktatur Stroessners – die Befugnisse des Präsidenten massiv ein. Offiziell hat Paraguay ein Präsidialsystem, aber in Realität liegt die Macht im Parlament. Lugo hatte eine Minderheit in der Legislative.
Und die Liberalen, obwohl sie die Präsidentschaft Lugos unterstützt hatten und Minister in der Regierung stellten, verhielten sich in der Legislative nie wie eine Fraktion des Präsidenten. Und angesichts der eher marginalen Proteste gegen Lugos Absetzung muss man sich fragen, inwieweit er tatsächlich ein politisches Bewusstsein in der Bevölkerung verbreitet hat. Viele Kleinbäuerinnen und -bauern fühlten sich von Lugo betrogen. Diese Kritik richtet sich nicht alleine gegen die Person Lugo, sondern auch gegen die meisten linken Parteien.

Basierte auf dieser Unzufriedenheit auch die Spaltung der Linken?
Nein, sowohl Haníbal Carrillo von Frente Guasu als auch Mario Ferreiro von Avanza País sind eigentlich Anhänger von Lugo. Die Spaltung resultierte eher aus Streitigkeiten um die Ämterverteilung denn aus ideologischen Gründen.

Was bedeutet das schlechte Abschneiden der Linken bei den Wahlen?
Es zeigt, dass der für die paraguayische Politik typische Personalismus auch in der Linken vorherrscht. Der berühmte Radio- und Fernsehmoderator Mario Ferreiro und seine Alianza País haben mehr Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen bekommen als Frente Guasu. Frente Guasu hat aber mehr Plätze in der Legislative erhalten. Dies liegt daran, dass der prominente Fernando Lugo als Kandidat für den Senat antrat.

Warum war der Widerstand gegen den Parlamentsputsch eigentlich so ineffektiv?
Während des Putsches waren viele Leute aus den Bewegungen demobilisiert, weil sie Posten im Staatswesen hatten. So konnten sie nicht richtig reagieren. Die Linken in Paraguay sollten sich fragen, was eigentlich die Rolle von sozialen Bewegungen in kapitalistischen Demokratien ist; besser gesagt im „demokratischen Kapitalismus“, so muss man die aktuelle Regierungsform ja nennen; die Betonung liegt auf „Kapitalismus“ und nicht auf „demokratisch“.

Welche Rolle werden denn die Linken nun spielen? Können die wenigen linken Senator_innen im Kongress irgendetwas bewegen?
Es sind sieben Senatoren in den Kongress gekommen, die man der Linken zuordnen kann. Die Parteien, die für die Amtsenthebung Lugos gestimmt haben, stellen dagegen 37 Sitze. Ein Stimmengewicht haben die Linken also nicht. Sie können aber die Instrumente nutzen, die Senatoren zur Verfügung stehen. Sie können interne Dokumente publizieren, sie können Untersuchungen anstoßen. Wie sie diese Möglichkeiten nutzen, hängt aber von den Senatoren ab, dazu kann man jetzt kaum etwas sagen.

Werden wir denn mit der jetzigen Regierung je erfahren, was wirklich beim Massaker in Curuguaty geschah, das den Anlass zum Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo gab?
Das ist sehr komplex. Es gibt hunderte von Curuguatys in Paraguay und in ganz Lateinamerika, die Konflikte im Land sind überall präsent. Die Landkonflikte stehen im Zentrum der Probleme, die das kapitalistische System in Lateinamerika erzeugt. Das ist einfach so. Das war nicht das erste Massaker und es wird auch nicht das einzige Massaker bleiben. Unter den Colorados wird man kaum eine offizielle Untersuchung zu dem Massaker bekommen, die wirklich die Wahrheit ans Licht bringt. Aber es gibt andere Untersuchungen. Zum Beispiel hat Dr. Domingo Laíno, vom linken Flügel der PLRA, eine derartige Untersuchung angestoßen. Er ließ ballistische Studien in Spanien anfertigen. Diese wurden aber von der Staatsanwaltschaft nicht berücksichtigt, obwohl in Paraguay derartige Studien nicht möglich sind und nicht durchgeführt wurden. Die staatlichen Untersuchungen sind eindeutig verfälscht. Alles, was man schlecht machen kann, hat die Staatsanwaltschaft bei dieser Untersuchung schlecht gemacht. Offiziell werden wir also nicht erfahren, was geschah. Aber unabhängige Untersuchungen können schon etwas sagen.

Wie kann man die kurze Regierungszeit der PLRA bewerten?
Das war ein Desaster. Sie haben das kostenlose Gesundheitssystem abgeschafft. Sie haben erlaubt, dass gentechnisches Saatgut jeglichen Typs in das Land eingeführt werden darf. Zudem haben sie Anstellungen in der Bürokratie nach Familienzugehörigkeit verteilt. Die wenigen Errungenschaften der Regierung Lugo haben sie in kurzer Zeit zunichte gemacht.

Infokasten:

Magui López
ist 29 Jahre alt und Politikwissenschaftlerin. Seit 2007 beschäftigt sich die Argentinierin wissenschaftlich mit Paraguay. Sie bereitet gerade eine Doktorarbeit zur Demokratisierung des Landes nach der Stroessner-Diktatur (1954-1989) vor.

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