Ecuador | Nummer 444 - Juni 2011

Pyrrhussieg für den Präsidenten

Nach dem knappen Ausgang der Abstimmung zum Referendum kann sich keine_r der politischen Akteur_innen als Sieger_in fühlen

Die Regierung unter Präsident Rafael Correa konnte bei dem umstrittenen Referendum zwar alle zehn Fragen für sich entscheiden, verfehlte jedoch den angestrebten politischen Befreiungsschlag nach dem Putschversuch vom 30. September 2010. Aber auch die Opposition präsentierte sich trotz einer erstaunlich breiten Allianz als politisch schwach. Verliererin ist die Bürgerrevolution, die mehr denn je unter einer durch das Referendum noch verhärteteren Spaltung der progressiven Kräfte des Landes leidet. Ein Kommentar zur Situation nach der Volksbefragung.

Ralf Ohm

Der Eindruck trog. Wenige Tage vor dem Referendum am siebten Mai schienen die UnterstützerInnen des Präsidenten in der Defensive. In der öffentlichen Debatte, die zunehmend Züge einer Schlammschlacht angenommen hatte, war etwa in der Hauptstadt Quito, eigentlich eine Hochburg der Regierungspartei „Alianza País“, kaum ein „Sí“ zu vernehmen. Dafür überwog in der Bevölkerung ein „Esta vez no“ (diesmal nein) – sowohl kategorisch als auch einschränkend gemeint.
Kategorisch war die Ankündigung, alle zehn Vorschläge des Präsidenten Rafael Correas im Paket abzulehnen, obwohl es sich dabei um völlig verschiedene Themen handelte. Diese reichten von einer Justizreform, einem härteren gesetzlichen Vorgehen gegen Straflosigkeit und Gewalt, medialen Regulierungsmaßnahmen bis hin zum Verbot von Glücksspielen sowie Hahnen- und Stierkämpfen (siehe Info-Kasten).
Einschränkend gemeint war das Nein im Hinblick auf die Position des Staatsoberhaupts selbst. Mit Correas Politik ist die Mehrheit immer noch weitgehend zufrieden: Wenn auch nicht gestärkt wollten viele WählerInnen ihn aber auch keineswegs in Frage gestellt sehen. Vielmehr wollten sie ihm im sechsten Urnen-Gang seit 2007 einen Denkzettel verpassen, aus dem schließlich ein Pyrrhussieg für den Präsidenten wurde.
Einerseits konnte er sich trotz einer breiten und ungewöhnlichen Ablehnungsfront auf eine passive Mehrheit verlassen. Dies entsprach bei diesem Sympathietest zur Restaurierung und Stärkung der präsidialen Macht nach dem vorangegangen Putschversuch am 30. September durchaus seinem Kalkül.
Zum anderen fiel der Erfolg gerade bei den besonders umkämpften Punkten sehr knapp aus. „Bei Berücksichtigung der Enthaltungen und ungültigen Stimmen hat die Hälfte der Bevölkerung mit Nein gestimmt“, rechnet Albert Acosta, Ex-Energieminister und heutiger Kritiker des Präsidenten vor. Hinzu kommt, dass dem Präsidenten auf dem Weg zur Volksbefragung sogar die Mehrheit im Kongress abhanden gekommen war, nachdem einige Abgeordnete der Regierungspartei Alianza País diese aus Protest gegen das umstrittene Verfahren verlassen hatten.
Damit scheinen zumindest die schlimmsten Befürchtungen der Linken – ein Rechtsruck des Präsidenten, die Etablierung eines klassischen Populismus und eine zunehmende Kriminalisierung der außerparlamentarischen Bewegung – vom Tisch zu sein. Correa ist trotz des engen Ergebnisses aber eben auch nicht gezwungen – wie noch im Anschluss an den Putschversuch gemutmaßt – wieder das Gespräch mit den entzweiten Massenorganisationen und sozialen Bewegungen des Landes zu suchen. Dafür präsentierten sich diese politisch einfach zu schwach.
Sie wurden wohl auch dafür bestraft, dass sie sich bis auf wenige Ausnahmen undifferenziert gegenüber dem umstrittenen Referendum positioniert hatten. Aus Sicht der Linken ist eine Verschärfung der Gesetze zur Eindämmung der Gewalt ohne Erforschung und Berücksichtigung ihrer Ursachen wie auch der von Correa angestrebte dreiköpfige „Rat der Gerichtsbarkeit“ abzulehnen. Letzterer wird dem Präsidenten nun eine laut ihrer Meinung unzulässige Kontrolle über die Justiz ermöglichen.
Die Kritik an einer staatlichen Medienkommission ist hingegen weniger nachvollziehbar. Denn was ist schlecht an dem Versuch, gewalttätige, jugendgefährdende, sexistische und rassistische Inhalte in der Presse zu unterbinden oder Medienunternehmen ökonomisch von Privatkonzernen oder Banken zu trennen? Das teilweise religiös anmutende Hohelied auf die ach so gefährdete Pressefreiheit im Vorfeld des Plebiszits war verlogen und peinlich, wozu die oppositionelle Linke weitgehend schwieg und sich damit zum Verbündeten einer völlig inhaltsleeren Rechten machte.
Die fehlende Abgrenzung führte zu ungewöhnlichen Allianzen. Und lenkte von den wahren politischen Gräben ab. Während dem neoliberalen Flügel des Landes selbst die kapitalistische Modernisierung Correas zu weit geht, sind MitgestalterInnen der Verfassung von 2008 enttäuscht über die sozialdemokratische und staatsfixierte Linie des Präsidenten.
Dieser hat insbesondere in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit mit seiner Sozial- und Bildungspolitik, einer Steuerreform, einer weitgehenden Wiederaneignung der Erdöleinnahmen sowie der Förderung der lateinamerikanischen Integration durch die Gründung der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) Pluspunkte in der Bevölkerung gesammelt. Correa versäumte es indes, dem partizipativen Geist von Montecristi, wo die neue Magna Charta von einer zuvor gewählten Verfassunggebenden Versammlung ausgearbeitet wurde, aus der Flasche zu lassen.
Ökonomisch hält die Regierung am extraktivistischen Entwicklungsmodell und so auch der staatlichen Entscheidungsmacht über die Ausbeutung unterirdischer Naturressourcen fest, anstatt ein Vetorecht für die von der Ressourcengewinnung betroffenen Menschen zu etablieren. Dies ist nur einer von vielen Streitpunkten mit Umweltgruppen und insbesondere der CONAIE, dem einflussreichsten Dachverband der Indigenen.
Die Folge ist eine Spaltung der progressiven Kräfte, die sich durch die Volksbefragung und deren Ausgang noch verschärft hat. Als strahlender Sieger ging daraus keiner hervor, als Verlierer die Bürgerrevolution von 2006. Statt Aufbruch dominiert derzeit Streit, was allenfalls einen Aufschub verheißt, bis sich die arg geschwächte Rechte wieder formiert hat. Damit ist ein Projekt gefährdet, das verheißungsvoll begann, nun aber ins Stocken geraten ist. Leisten kann sich das die Bürgerrevolution eigentlich nicht.

Das Referendum
Insgesamt 24 Seiten inklusive Erläuterungen, Gesetzesanhängen und abschließenden Vorschlägen der Regierung, zu denen mit Ja oder Nein zu antworten war, umfasste die bisher umfangreichste und inhaltlich komplizierteste Volksbefragung in Ecuador. 11,2 Millionen BürgerInnen waren aufgerufen, über insgesamt zehn Fragen abzustimmen, die wiederum in zwei Bereiche aufgeteilt waren: Erstens ein Verfassungsreferendum über konkrete Änderungen an der Verfassung von 2008, zweitens ein Volksentscheid über verschiedene Politikvorschläge der Regierung.
Im ersten Komplex wurde über Verschärfungen im Strafrecht wie die Verlängerung der Untersuchungshaft abgestimmt, aber auch über die ökonomische Trennung von Banken und Massenmedien sowie eine Beschleunigung der Justizreform. Letzteres soll durch das Ersetzen eines bisher neunköpfigen Justizrates durch einen „Rat der Gerichtsbarkeit“ von nur noch drei Mitgliedern, ernannt durch die Regierung, das Parlament und den Bürgerrat, erreicht werden.
Zum zweiten Bereich gehörten die Abstimmung über die Etablierung der illegalen Bereicherung als Straftatbestand, die Einführung eines Medienrates zur Überwachung der Inhalte von Presse, Funk und Fernsehen im Hinblick auf bestimmte Inhalte, über das Verbot von Glücksspielen sowie Hahnen- und Stierkämpfen.
Die Regierung erreichte bei ihren Vorschlägen eine durchschnittliche Mehrheit von 6,8 Prozentpunkten, wobei der Vorsprung in den besonders umstrittenen Fragen deutlich kleiner war.

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