Argentinien | Nummer 359 - Mai 2004

Rede eines H.I.J.O.S-Vertreters

Rede eines H.I.J.O.S.-Vertreters bei der Einweihungsveranstaltung in der zum Museum umfunktionierten Militärmechanikerschule ESMA

An einem 24. März die richtigen Worte zu finden, ist nicht leicht. Zumindest nicht seit 28 Jahren. Die Gefühle, die jeden Tag unseres Lebens bestimmen, kondensieren an diesem Tag zu einem Knoten im Hals, der es erschwert zu sagen, was wir sagen möchten.
In diesem Haus des Terrors wurde eine enorme Anzahl geliebter Menschen vernichtet. In dieser Mechanikerschule lehrte die Armee ihren Schülern ihre Mechanik. Eine Mechanik des Terrors …

H.I.J.O.S.

Dieser Ort beinhaltet noch immer all das Grauen und den Schrecken. Er beinhaltet jedoch auch die Würde derer, die aus Liebe gestorben sind. Aus Liebe zu ihren compañeros, zu diesem Land und seinem Volk. Und aus Liebe zu uns, ihren Söhnen und Töchtern. Wir möchten heute, erfüllt von Liebe, für die gleichen Dinge sehr deutlich sagen, was es ist, was wir wollen.
Wir wollen, dass all diejenigen Folterer, Mörder, Entführer und Kindesentführer verhaftet und zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt werden. Dass alle Anstifter, Nutznießer und Planer des Genozids mit ihnen in die Zelle wandern. Wir wollen, dass all diejenigen, die von ihren Müttern in Gefangenschaft zur Welt gebracht wurden, ihnen anschließend entrissen und von Militärs „adoptiert“ wurden, ihre wahre Identität zurück erhalten.
Die Großmütter (Abuelas de la Plaza de Mayo; d. Red.) fanden bis heute 77 Enkelinnen und Enkel wieder, wozu der Staat nicht in der Lage war. Seit dem Ende der Militärjunta sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Mehr als zwanzig Jahre haben wir, die Brüder und Schwestern, die Großmütter und -väter, die Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen, verloren. Mehr als zwanzig Jahre haben sie verloren. Denn sie leben seit mehr als zwanzig Jahren in Gefangenschaft geboren, ohne es zu wissen. Jede Regierung, die sie nicht sucht, die ihnen nicht ihre Freiheit zurückgibt, zu wissen, wer sie sind und wer ihre Mütter und Väter waren, ist eine Regierung, die das gewalttätige Verschwindenlassen von Personen unterstützt.
Wir wollen, dass alle Archive geöffnet werden, damit absolut alles was geschah, an die Öffentlichkeit kommt. Wer sie entführte, wer sie folterte, wer sie umbrachte, wer ihre Kinder stahl, unsere Brüder und Schwestern, wo ihre Körper sind, wo sie sind.
Für uns, für unsere Familien, aber vor allem für dieses Land. Kein Land kann auf Lügen wachsen. Wir wissen, dass diese Archive existieren und dass es am politischen Willen derer liegt, die regieren, ob die Wahrheit weiterhin beerdigt bleibt oder ans Licht dringt.
Wir wollen, dass all die Orte, die während der Militärdiktatur als geheime Gefängnisse (Centros Clandestinos de Detención) dienten, in geschützte Orte umgewandelt werden, damit dort geforscht werden kann und damit alle wissen, dass dort gefoltert und gemordet wurde. Wir wollen außerdem, dass an diesen Orten der Gefolterten und Ermordeten gedacht und erklärt wird, warum man sie umbrachte, wer diese Personen waren, wofür sie kämpften und was ihre Zukunftsvision für dieses Land war.
Wir wollen, dass der Repressionsapparat aufgedeckt wird, weil die Folterer von damals diejenigen sind, die in der Demokratie von heute mit leichter Hand Kinder ermorden. Und dass außerdem die Politiker, die die begangenen Gräueltaten unterstützten, und sich als brave Chamäleons in das Gewand der Demokratie kleideten, dafür bezahlen, was sie taten. Dass sie nicht nur ihre Posten aufgeben, sondern dass sie zu der Strafe verurteilt werden, die sie verdienen.
Das alles wollen wir. Und wenn wir sagen wollen, heißt das, dass wir nicht aufhören werden zu kämpfen, bis wir es erreicht haben, wie wir es bis jetzt getan haben.
Wir sind, heute und hier, zusammengekommen, um gegen die Straflosigkeit, gegen das Vergessen, gegen das Schweigen zu kämpfen.
Mein Name ist Emiliano Güeravilo, ich wurde hier in der ESMA geboren. Hier brachte mich meine Mutter, Mirta Mónica Alonso zur Welt. Genau wie sie, brachten Hunderte Frauen ihre Kinder in den geheimen Gefängnissen im Süden Buenos Aires unter den Händen folternder Ärzte zur Welt. All unsere Brüder und Schwestern, die hier geboren wurden und die nicht wie ich an ihre Familien zurückgegeben wurden: sie alle sollen wissen, dass wir sie suchen, dass wir sie erwarten und uns wünschen, ihnen endlich erzählen zu können, dass ihre Mütter und Väter sie geliebt haben.
Compañeros und Compañeras: Wir haben uns dafür entschieden, zusammen zu sein und zusammen dafür zu kämpfen, was wir für gerecht halten, auch wenn sie uns sagen, dass es unmöglich ist. Wir entschieden uns dafür, diesen Kampf jeden Tag weiter zu kämpfen. Bis wann? Bis wir unser Ziel erreicht haben, dass steht außer Zweifel.
30.000 verschwundene compañeros, anwesend!
30.000 verschwundene compañeros, anwesend!
30.000 verschwundene compañeros, anwesend!
Heute und für immer!
Heute und für immer!
Heute und für immer!

H.I.J.O.S.
(Hijos por la Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio, Söhne und Töchter für Identität und Gerechtigkeit, gegen das Vergessen und das Schweigen)
Übersetzung: Olga Burkert

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