Lateinamerika | Nummer 390 - Dezember 2006

Remis im Sicherheitsrat

Machtkampf zwischen Venezuela und den USA auf UN-Ebene

Nach einem erbitterten Abstimmungsmarathon in der UN-Generalversammlung wird Panama als Kompromisskandidat in den UN-Sicherheitsrat einziehen. Weder Venezuela noch das von den USA favorisierte Guatemala hatten zuvor die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichen können. Der Streit um einen der Sitze im höchsten UN-Gremium ist Ausdruck der andauernden Rivalitäten zwischen Venezuela und den USA.

Tobias Lambert

Die Einigung überraschte. Nach wochenlangem Tauziehen um einen der nicht-ständigen Plätze im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einigten sich Venezuela und Guatemala auf Panama als Kompromisskandidaten. Das am Schnittpunkt zwischen Zentral- und Südamerika gelegene Land wurde daraufhin von der Generalversammlung mit einem deutlichen Ergebnis von 164 Stimmen gewählt. Es löst damit Argentinien ab, das seinen Sitz Ende des Jahres abtreten muss. Den zweiten Sitz Lateinamerikas und der Karibik hat bis Ende 2007 Peru inne. Der Wahl Panamas waren 47 erfolglose Abstimmungen in der UN-Vollversammlung vorausgegangen, in denen keines der beiden kandidierenden Länder die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 128 Stimmen erreichen konnte. Zwar hatte Guatemala bis auf ein Patt in der sechsten Runde jedes Mal deutlich die Nase vorn, Venezuela machte aber lange Zeit keinerlei Anstalten, seine Kandidatur zurückzuziehen.

„Schwefel-Rede“

Für Venezuelas Präsident Hugo Chávez stand nämlich einiges auf dem Spiel. Er hatte den Kampf um einen der zwei Sitze, die Lateinamerika und der Karibik zustehen, zur Prestigesache erklärt. Dazu war er im Vorfeld mehrmals durch die Welt gereist, um sich im Gegenzug für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Stimmen von US-kritischen Ländern zu sichern. Unter anderen wagte er den politischen Schulterschluss mit so fragwürdigen „antiimperialistischen“ Regimen wie Weißrussland und dem Iran. Venezuela profitiert von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Ländern. Chávez stärkt ihren Präsidenten aber auch politisch den Rücken, obwohl deren politische Visionen denkbar weit von der venezolanischen entfernt sind. Zunächst schien diese Rechnung sogar aufzugehen. Während des Blockfreien-Gipfels in Havanna Mitte September verkündete die venezolanische Regierung, die erforderlichen Stimmen für den Einzug in den Sicherheitsrat bereits gesammelt zu haben. Doch dann folgte der als „Schwefel-Rede“ bekannt gewordene Auftritt Chávez’ vor der UN-Vollversammlung Ende September. Dort hatte er sich neben der Formulierung ausgiebiger Kritik an der US-Außenpolitik und dem UN-System, die von vielen der Delegierten geteilt worden sein dürfte, auch zu grotesken persönlichen Angriffen auf den amerikanischen Präsidenten George W. Bush hinreißen lassen. „Gestern war der Teufel hier“, sagte Chávez, bekreuzigte sich und fügte hinzu: “Es riecht immer noch nach Schwefel.“ Dies könnte Venezuela durchaus den Platz im Sicherheitsrat gekostet haben. Die Abstimmung war zwar geheim, doch ist davon auszugehen, dass einige der Delegierten ihre Entscheidung noch einmal überdacht haben. Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet jedenfalls verkündete öffentlich, dass ihr Land aufgrund der „Schwefel-Rede“ nun doch nicht für Venezuela stimmen werde.

Industrieländer unterstützen Guatemala

Auch wenn offiziell Venezuela und Guatemala um einen der Sitze konkurrierten, war die Abstimmung von Anfang an ein weiterer Kampf um internationalen Einfluss zwischen den USA und Venezuela. Chávez hatte angekündigt, den Sitz im Sicherheitsrat konsequent für eine antiimperialistische Politik nutzen zu wollen. Dies wollten die USA aufgrund der in den nächsten zwei Jahren zu debattierenden Themen wie den Atomkonflikten mit Nordkorea und dem Iran um jeden Preis verhindern. Die Abstimmung offenbarte schließlich sowohl die Spaltung der lateinamerikanischen als auch der restlichen Länder der Welt in ihrer außenpolitischen Ausrichtung. In Lateinamerika unterstützen links- und mitte-links regierte Länder wie Brasilien, Argentinien und Bolivien die Kandidatur Venezuelas, während Guatemala die Unterstützung US-Verbündeter wie Mexiko, Kolumbien, Peru und der zentralamerikanischen Staaten genoss.
Außerhalb des amerikanischen Kontinents wurde Venezuela vor allem von US-kritischen Ländern des Südens und den Global Playern China und Russland, unterstützt. Die meisten Industrieländer, wie etwa die Staaten der Europäischen Union, hatten hingegen Guatemala ihre Unterstützung zugesichert.

Zufrieden mit Kompromiss

Der guatemaltekische Außenminister Gert Rosenthal bezeichnete die Unterstützung der USA für sein Land nach der Einigung auf Panama als „zweischneidiges Schwert“. Die USA und Venezuela versuchten jeweils den Kompromiss als eigenen Erfolg darzustellen. Der US-Amerikanische UN-Botschafter John Bolton sagte das Ziel Venezuela als Sicherheitsratsmitglied zu verhindern, sei erfüllt worden. Chávez zeigte sich zufrieden, dass „die USA der Welt weder ihren Willen aufzwingen noch Venezuela demütigen konnten“. Angesichts der Energie, die Chávez investiert hat, um den Sitz zu bekommen, klingt das allerdings wie eine Bemühung um Schadensbegrenzung.
Im Kampf zwischen Venezuela und den USA um Einflussspähren in Lateinamerika hatte Chávez dieses Jahr bereits mehrere Schlappen einstecken müssen. Nach dem historischen Wahlsieg seines Verbündeten Evo Morales Ende 2005 in Bolivien hatte er sich im lateinamerikanischen „Superwahljahr“ 2006 einen weiteren Linksruck erhofft. Seine offene Unterstützung für die Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humala in Peru und Andrés Manuel López Obrador in Mexiko hatte zu ernsthaften diplomatischen Verstimmungen mit diesen Ländern geführt. Letztendlich setzten sich die US-freundlichen Kandidaten Alan García in Peru und Felipe Calderón in Mexiko durch, die teilweise einen regelrechten Anti-Chávez-Wahlkampf geführt hatten.
Mittlerweile sieht sich der venezolanische Präsident durch den Wahlerfolg Daniel Ortegas bei den Präsidentschaftswahlen in Nicaragua und die Wahlniederlage der Republikaner bei den Kongresswahlen in den USA aber wieder im Aufwind. Nach den Wahlen in den USA legte Chávez seinem Erzfeind Bush nahe, „aus ethischen Gründen“ zurückzutreten und stellte klar, dass es unter dem jetzigen US-Präsidenten keine Chance für eine Verbesserung der Beziehungen gebe.

Wahlen in Ecuador und Venezuela

Der nächste Konflikt steht schon ins Haus. Bei der Stichwahl in Ecuador am 26. November stehen sich der US-nahe Unternehmer Álvaro Noboa und der Chávez-Freund Rafael Correa gegenüber, wobei Noboa laut Umfragen deutlich vorne liegt. Hatte Chávez sich lange Zeit erstaunlich leise verhalten, äußerte er sich mittlerweile auch deutlich zu diesem Wahlkampf. Er bezeichnete den Plantagenbesitzer Noboa als „Bananenkönig“, der „Kinder ausbeutet“. Der linksgerichtete Correa ging trotz der negativen Erfahrungen in Peru und Mexiko keineswegs auf Distanz zu Chávez, versicherte aber, der venezolanische Präsident werde keinerlei Einfluss auf eine von ihm geführte Regierung haben.
Die Wahlen in Venezuela, die exakt eine Woche nach den ecuadorianischen stattfinden, dürften für die USA jedoch von deutlich größerem Interesse sein. Schließlich steht Chávez hier selbst zur Wahl und tritt gegen eine teilweise offen von den USA mitfinanzierte Opposition an. Dabei sieht es allerdings schlecht aus für die Bush-Administration. Laut Umfragen dürfte Chávez mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt werden.

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