Costa Rica | Nummer 401 - November 2007

Requiem für die „Schweiz Lateinamerikas”

Knappes Ergebnis beim Referendum: Grünes Licht für Freihandelsabkommen CAFTA

Mit 4 Prozent Vorsprung konnten am 7. Oktober die BefürworterInnen des Freihandelsabkommens CAFTA in Costa Rica die Volksabstimmung über die Ratifizierung des Vertrages für sich entscheiden. Trotz der beeindruckenden Mobilisierung der GegnerInnen des Abkommens, hatte letztlich die von der Regierung und den verbündeten Wirtschaftseliten entfachte Angstkampagne Erfolg. Damit ist auch das Schicksal des entwicklungspolitischen Sonderwegs Costa Ricas besiegelt, der dem kleinen Land den Beinamen „Schweiz Zentralamerikas“ eingebracht hatte.

Jonas Rüger

Am 7. Oktober ist im weltweit ersten Volksentscheid über einen internationalen Freihandelsvertrag entschieden worden. Nun ist auch in Costa Rica die Ratifizierung des Central American Free Trade Agreement CAFTA zwischen Zentralamerika, der Dominikanischen Republik und den USA besiegelt worden. In allen anderen Mitgliedsländern war der Vertrag schon vor einem Jahr trotz massiver Proteste in Kraft gesetzt worden. Mit etwa 52 Prozent Zustimmung gegenüber 48 Prozent Ablehnung hätte das Referendum kaum knapper ausfallen können. Bis kurz vor dem Urnengang schien es sogar, als hätte sich das wochenlange Patt endlich zugunsten der CAFTA-GegnerInnen aufgelöst.
Noch eine Woche zuvor demonstrierten in der Hauptstadt San José etwa 150.000 Menschen in volksfestartiger Stimmung gegen die Ratifizierung. Das über den Menschenmassen kreisende Kleinflugzeug mit einem Banner der Befürworter des Vertrages wirkte demgegenüber wie ein hilfloser Akt der Verzweiflung und gleichzeitig wie ein Symbol für die Kampagnenführung der beiden Seiten: Die „Allianz des Ja“ verpulverte etwa 1 Million US-Dollar für ein wahres Bombardement der Bevölkerung mit markigen Slogans und Propagandamaterial auf Hochglanzpapier. In Ermangelung ähnlicher Ressourcen – insgesamt verfügten sie nur über knapp 60.000 Dollar – initiierten die Parteigänger des „Nein“ schon früh einen intensiven Diskussionsprozess auf Basisebene. Im ganzen Land bildeten sich hunderte lokaler Komitees, AktivistInnen zogen von Haus zu Haus, veranstalteten Diskussionsrunden und erzwangen so die Entscheidung per Referendum. Costa Rica rang sich zu einem Experiment in kollektiver Entscheidungsfindung durch, die jeder westlichen Industrienation zur Ehre gereichen würden.
Drei Tage vor Abstimmung sagte die letzte Umfrage dem „Nein“ zu CAFTA einen Sieg mit 55 gegenüber 43 Prozent Stimmanteil voraus. Ein an die Öffentlichkeit geratenes internes Regierungsmemorandum an Präsident Oscar Árias schien zum letzten Stolperstein für den Freihandelsvertrag zu werden. Darin empfahlen Vizepräsident Kevin Casas und ein Abgeordneter der Regierungsfraktion eine Angstkampagne: Die Bevölkerung sollte mit einer drohenden Abwanderung von InvestorInnen eingeschüchtert, die GegnerInnen als von Kuba und Venezuela ferngesteuert hingestellt werden. In Costa Rica, wo der Stolz auf eine offene, demokratische Diskussionskultur zu den Säulen nationalen Selbstverständnisses gehört, sorgten diese Vorschläge für einen Aufschrei der Empörung.
Wie kam es also, dass auf dem Wege eben dieser demokratischen Traditionen das Schicksal des solidarischen Sozialstaates, der zweiten Säule der costaricanischen Ausnahmestellung in Zentralamerika, besiegelt wurde? Wieso gaben die CostaricanerInnen plötzlich die lange und verbissen verteidigten Staatsmonopole im Versicherungs-, Elektrizitäts- und Telekommunikationssektor auf, welche bisher gute, unentgeltliche Gesundheitsversorgung und fast jedem noch so abgelegenen Weiler eine Strom- und Telefonleitung garantiert haben? Warum entscheidet ein Land, das über ein halbes Jahrhundert lang sein Selbstbewusstsein aus bescheidenem Wohlstand und sozialem Frieden zog, die ihm sein entwicklungspolitischer Sonderweg gebracht hatte, sich auf einmal für die ausgetretenen Pfade des Neoliberalismus?
Die Angstkampagne der CAFTA-ParteigängerInnen ist zwar entlarvt worden, Erfolg hatte sie trotzdem. Gespräche drehten sich immer häufiger um die Sorge um Arbeit und das eigene bescheidene Auskommen. Kurz vor dem Referendum warnte die US-Regierung noch einmal vor der Aussetzung bisheriger Handelsprivilegien und Präsident Árias setzte die Ablehnung des CAFTA mit „kollektivem Selbstmord“ gleich. Beide konnten sich des positiven Widerhalls in den Massenmedien sicher sein. Ihren Kontrahenten fehlte hingegen eine Plattform, die einer raschen Reaktion genügend Aufmerksamkeit hätte bieten können. Von den drei großen Tageszeitungen Costa Ricas war die erste zur offenen Diffamierung der CAFTA-Gegner übergegangen. Bei der zweiten kündigte der Koordinator für politische Nachrichten, obwohl er persönlich den Vertrag befürwortet, weil Chefredaktion und Verlag immer wieder die Veröffentlichung CAFTA-kritischer Beiträge unterbanden. Die dritte ist ein Regenbogenblatt, das kaum für politische Analysen taugt. In den beiden Nachrichtensendern konnte die „Allianz des Ja“ beispielsweise am Tag des Referendums, lange vor Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen, etwa viermal soviel Sendezeit verbuchen wie ihre GegnerInnen. Und auf einmal wurden sogar entschiedenen CAFTA-GegnerInnen die Knie weich. Im letzten Moment bekam der kleine David Angst vor der eigenen Courage. Er hat die Schleuder fallen lassen und ist reumütig auf den von Goliath zugewiesenen Platz zurückgekehrt.
Dennoch: In Costa Rica hat jeder gespürt, dass nur ein Augenblick gefehlt hat, bis der Stein geflogen wäre. Dementsprechend blieb großspuriges Triumphgehabe bis auf den Abend direkt nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen weitgehend aus. Stattdessen versuchen die Regierung und ihre Verbündeten nun die Frustration und Erschöpfung der GegnerInnen auszunutzen und mit Dialogangeboten möglichst viele auf ihre Seite zu ziehen. Wie ernst gemeint solche Bekundungen sind, bleibt ebenso abzuwarten wie die Antwort auf die Frage, ob die von der Anti-CAFTA-Bewegung geschaffenen Diskussionsräume auf Basisebene kollabieren oder bewahrt werden können. Das ist nach den ersten Schockmomenten auch die größte Sorge vieler AktivistInnen.
Obwohl in den ersten erhitzten Momenten auch Gerüchte von direktem Wahlbetrug die Runde machten und es vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, werden die von den über 20.000 Wahlbeobachtern gesammelten Beschwerden wohl kaum ausreichen, um diesen Verdacht zu bestätigen. Stattdessen konzentriert sich die Kritik nun auf die bereits geschilderte Schieflage in der Medienberichterstattung und in den Ressourcen, die beiden Parteien zur Verfügung standen, um ihre Standpunkte zu vermitteln.
Wie auch immer es weitergeht: Die Tage des Sonderweges, die dem kleinen Land zwischen Karibik und Pazifik, Panama und Nicaragua den Namen der „Schweiz Lateinamerikas“ eingetragen haben, sind vermutlich gezählt.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren