Kolumbien | Nummer 517/518 - Juli/August 2017

REVOLUTION OHNE WAFFEN

Die letzten FARC-Kämpfer*innen geben ihre Waffen ab

Nach einer siebenmonatigen Übergangsphase mit mehreren Verzögerungen legten die FARC Ende Juni ihre Waffen nieder. Damit endet der bewaffnete Konflikt zwischen der größten und ältesten Guerilla Lateinamerikas und der kolumbianischen Regierung, der in fünf Jahrzehnten mindestens 220.000 Menschen das Leben kostete und mehrere Millionen aus ihrer Heimat vertrieb.

Von Madlen Haarbach

Foto: Presidencia de Colombia

Die Siedlung Mariana Páez im Bundesstaat Meta, 27. Juni 2017 um 10 Uhr. Hier soll heute enden, was vor 53 Jahren in Marquetalia begann: Die Revolutionären Bewaffneten Streitkräfte Kolumbiens (FARC) übergeben ihre letzten Waffen an die Sonderkommission der Vereinten Nationen (UNO). Damit ist der Entwaffnungs- und Übergangsprozess, der im vergangenen Dezember nach Abschluss der Friedensverhandlungen begann, offiziell beendet.

Bereits am 25. Juni zertifizierten die UNO-Vertreter*innen die Entgegennahme von 7.132 Schusswaffen, dazu tausende weiterer Kleinwaffen wie Sprengkörper. Zur feierlichen Zeremonie sind Rodrigo Londoño alias Timoleón Jiménez, Oberster Kommandant der FARC, und Juan Manuel Santos, Präsident Kolumbiens, nach Mariana Páez gereist. Die Siedlung ist mit 520 (ehemaligen) Guerilla-Kämpfer*innen die größte der 23 Übergangszonen, in denen sich die Mitglieder der FARC seit sieben Monaten auf ihren Übergang in das zivile Leben vorbereiten. Gleichzeitig ist Mariana Páez die Siedlung mit der schlechtesten Infrastruktur. Die Guerrillerxs leben weiterhin in von ihnen selbst zusammengezimmerten Hütten, die von der Regierung geplanten Gebäude sind noch nicht fertig. Statt kommunaler Versammlungsorte gibt es bislang nur Fundamente aus Zement.

Parallel zum Hauptakt in Mariana Páez finden weitere Übergaben in den FARC-Siedlungen Llanogrande (Antioquia), Pondores (La Guajira) und La Carmelita (Putumayo) statt. Die von der UNO-Sonderkommission konfiszierten Waffen sollen eingeschmolzen und zu drei Kunstwerken gegossen werden, die dann in Kolumbien, den Vereinigten Staaten und Kuba ein Zeichen gegen den Krieg setzen sollen. Nur einige wenige Guerrillerxs tragen nach dem Akt noch Waffen, um die Übergangszonen verteidigen zu können, solange sie noch bestehen.
Mit dem Moment der Waffenniederlegung beginnen die ehemaligen Kämpfer*innen offiziell ihr ziviles Leben und erhalten damit den legalen Status, der ihnen als „Angehörige einer Terrororganisation“ die vergangenen Jahrzehnte verwehrt war. Jairo Rivera, Sprecher der vorläufigen politischen FARC-Repräsentanz „Stimmen des Volkes“ (Voces del Pueblo), beschreibt: „Die Niederlegung der Waffen ist kein Akt des Todes, sondern des Lebens. Es ist kein Akt der Niederlage oder Resignation, sondern der Produktion von Zukunft“.

 „Dass von heute an Politik in Kolumbien ohne Gewalt ausgeübt werde!“

Rodrigo Londoño betritt das Podium in Mariana Páez und beschwört: „Dass von heute an Politik in Kolumbien ohne Gewalt ausgeübt werde!“ Damit schließt er den Kreis zu 1964, als der FARC-Gründer Manuel Marulanda schrieb: „Wir sind Revolutionäre, die für einen Wandel des Regimes kämpfen. Wir wollten für diesen Wandel auf die Weise kämpfen, die unser Volk am wenigsten schmerzt: auf friedliche, auf demokratische Art. Dieser Weg wurde uns jedoch mit Gewalt verwehrt“. Die Umstände hätten den FARC also keine Wahl gelassen: „Da wir Revolutionäre sind, die auf die eine oder andere Weise die historische Rolle spielen, die uns bestimmt ist, mussten wir also den Weg des bewaffneten Widerstandes wählen“, erklärten die Guerrillerxs in ihrem ersten Agrarprogramm.

So betont Londoño in seiner Rede, dass die FARC nun keinesfalls aufhören würden zu existieren – vielmehr würden sie zu ihrer ursprünglichen Idee des friedlichen und legalen Kampfes zurückkehren. Gleichzeitig bestärkt er die Entschlossenheit der FARC für den weiteren Verlauf des Friedensprozesses, kritisiert jedoch auch scharf die Regierung für die vielen Verzögerungen der letzten Monate: „Wir haben unsere Auflagen erfüllt und die Waffen abgegeben“, erklärt er und ergänzt: „Nun hoffen wir, dass der Staat auch seine erfüllt“.

Santos, der offenbar bei diesem Anlass nicht auf offene Kritik von Seiten der Guerilla vorbereitet war, legt in seiner Rede vor allem Wert auf die historische Rolle der Waffenniederlegung: „Das ist die beste Nachricht für Kolumbien in den letzten 50 Jahren“, sagt er. Gegen Ende betont er, nicht mit dem ökonomischen und politischen Modell der FARC einverstanden zu sein – er sei jedoch bereit, „ihr Recht, ihre Vorstellungen auszudrücken, mit aller Kraft zu verteidigen“.

Am 31. Juli endet der bilaterale Waffenstillstand, ab dem 1. August werden die Siedlungen von Übergangszonen zu „Territorien der Ausbildung und Wiedereingliederung“. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gehen die Guerrillerxs in die Gerichtsbarkeit über. Entsprechend ihrer begangenen Akte fallen sie entweder unter das Amnestiegesetz oder unter die Regelungen der Übergangsjustiz (JEP, siehe LN 515). Zudem muss die Guerilla bis zu diesem Tag eine Liste all ihrer Besitztümer übergeben. Mit diesen Gütern sollen die Opfer des Konfliktes entschädigt werden. Parallel sollen so die Programme zur Wiedereingliederung der Guerrillerxs finanziert werden.

Am 10. Juli gewährte die Regierung mit dem Dekret 903 (2017) weiteren 3.252 ehemaligen Kämpfer*innen Amnestie für ihre politischen Akte. „Mit den drei bisher erlassenen Dekreten haben wir nun insgesamt 6.005 Personen amnestiert“, erklärt der Justizminister Enrique Gil Botero. Zudem hätten die Richter bislang 1.400 Personen von jeder Schuld freigesprochen.

Das Amnestiegesetz gilt jedoch nur für jene etwa 7.000 Guerrillerxs, die sich zum Zeitpunkt der Entwaffnung in den Übergangszonen befinden. Für Kämpfer*innen die zu diesem Zeitpunkt in Gefängnissen sind, gilt das Gesetz nicht. Zwar haben die FARC gleich zu Beginn der Übergangsphase 3.400 Inhaftierte als ihre Mitglieder identifiziert, von diesen wurden jedoch bislang nur 837 aus den Gefängnissen entlassen und in die Übergangszonen gebracht. Mehrere hundert Gefangene versuchten mit einem mehrtägigen Hungerstreik, ihren Transport in die Übergangszonen zu erzwingen – bislang ohne Erfolg.

Am kommenden 20. August werden die FARC bei ihrem letzten Kongress den Namen Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens das letzte Mal verwenden. Gleichzeitig wird an diesem Tag die politische Partei gegründet, welche die Bewegung „Stimmen des Volkes“, die die FARC bislang politisch repräsentiert, ersetzen soll. Bis zum 1. September will die UNO-Kommission sämtliche etwa 900 Verstecke der Guerilla identifiziert und geräumt haben. Spätestens dann wird der Binnenkonflikt zwischen Regierung und FARC offiziell beendet sein. Kolumbien steht dann jedoch vor der Herausforderung, auf politischem Wege eine Lösung für die ausufernde Gewalt paramilitärischer und krimineller Banden in den ehemaligen Gebieten der FARC zu finden. Auch der Friedensprozess mit der zweitgrößten Guerilla Nationale Volksbefreiungsarmee (ELN) ist noch lange nicht abgeschlossen.

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