Nummer 229/230 - Juli/August 1993 | Venezuela

Rote Karte für Carlos Andrés Pérez

Gibt die Opposition der Acción Democratica noch einmal eine Chance?

Nachdem Carlos Andrés Pérez in seiner zweiten Amtszeit den Aufstand der Armenviertel-BewohnerInnen vom 27. Februar 1989, die Offiziersrevolte vom 4. Februar 1992 und den mißglückten Staatsstreich vom 27. November 1992 überstanden hatte, schien er fest im Sattel die Wahlen von Dezember 1993 erreichen zu können. Alle Anstrengungen der verschiedenen politischen Kräfte des Landes, ihn zum Rücktritt zu bewegen oder über ein Volksbegehren abzuwählen, blieben erfolglos.

Dorothea Melcher

Aber wie Al Capone über seine Steuerhinterziehung ins Gefängnis kam, so erwischte es nun Pérez von der finanziellen Seite. Die delikate Angelegenheit wurde zunächst Ende 1992 von der kleinen radikaldemokratischen Partei Causa R aufgebracht, deren Anzeige jedoch durch den mit Juristen der Regierungspartei besetzten Obersten Gerichtshof noch zurückgewiesen wurde. Erst als der Oberste Staatsanwalt und erklärte Gegner von Pérez, Ramón Escovar Salom, die Klage übernahm, hatte sie Erfolg.
Worüber ist Pérez nun gestolpert? Über den “Reptilienfonds”, “la partida secreta”. Alle Regierungschefs Venezuelas haben diesen Fond gehabt und nach ihrem Gutdünken darüber verfügt, aber diesmal liegt die Sache komplizierter. Als CAP an die Regierung kam, herrschte noch das System mehrerer Wechselkurse vor: um die nach der Finanzkrise von 1983 notwendige Abwertung der einheimischen Währung nur stufenweise auf die Kaufkraft durchschlagen zu lassen, subventionierte der Staat den Import von Waren, die als besonders notwendig eingestuft wurden. Dollars wurden zu einem erheblich besseren Kurs bei der Zentralbank eingekauft, wobei es zu verschiedenen Abwertungen kam. So gab es noch Anfang 1989 den Dollar für Medikamente und Nahrungsmittelimporte sowie für landwirtschaftliche Produktionsmittel für 7,50 Bs (Bolívares); andere Importe für Industrie und Konsum erhielten den Dollar zu 14,50 Bs., während alle anderen mit dem “freien Dollar” bezahlt werden mußten, der bei etwa 28 Bs. lag. Als CAP am 2. Februar sein Amt antrat, war es beschlossene Sache, daß diese verschiedenen Wechselkurse nach Kriterien des IWF in Kürze abgeschafft werden würden, was natürlich bedeutete, daß alle Fonds in Bolívares dadurch an Kaufkraft im Ausland verlieren würden. CAP wies seinen Innenminister an, den Reptilienfonds von 250 Millionen Bolívares zum Vorzugskurs von 7,50 Bs./U$ in harte amerikanische Dollars einzutauschen. Dies geschah wenige Tage vor der Währungsvereinheitlichung, mit der der Dollar schließlich auf 30 Bs. stieg. Dabei handelte es sich jedoch um einen eindeutigen Gesetzesverstoß, denn für solche Gelder war dieser Kurs ursprünglich nicht vorgesehen. Darüberhinaus stand CAP noch unter dem Verdacht des Rechnungshofes, sich und enge Freunde (man redet von seiner Geliebten Cecilia Matos) durch diese Dollargeschäfte persönlich bereichert zu haben.
Als der Oberste Gerichtshof Mitte Mai beschloß, die Klage zuzulassen, hieß dies für CAP, daß er für die Dauer des Prozesses von seinem Amt suspendiert wurde. Für 30 Tagen ersetzte ihn verfassungsgemäß der Präsident des Nationalkongresses. Inzwischen hat das Parlament bis zu Neuwahlen den Senator Ramón J. Velázquez zum Interimspräsidenten gewählt. Damit ist die Chance CAPs, vor Dezember dieses Jahres wieder in sein Amt zurückzukehren, weiter geschwunden.
Ramón J. Velázquez ist ein alter “adeco” (Mitglied der Acción Democrática, AD) aus der Provinz Táchira, ein bekannter und verdienter Historiker, gebildet und konservativ-liberal. Er entspricht in dieser Rolle einem alten Traum der VenezolanerInnen, einen kultivierten, studierten, gerechten Landesvater zu haben, der sich von der hemdsärmeligen politischen Praxis des Klientelismus und der Korruption fernhält. Er stellt Moral und Nationalgefühl über die Idee eines harten neoliberalen Kurses, den CAP in seiner Regierungszeit proklamiert hatte. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, daß er Kapazitäten ohne Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit als Minister zu gewinnen versucht und eine Beraterkommission aus anerkannten Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ernannt hat. Ob nun Ramón J. Velázquez dieser Hoffnung entsprechen kann, steht dahin, denn viel Zeit bleibt ihm nicht.

Präsidentschafts- und Kongreßwahlen im Dezember 1993

Seit Anfang des Jahres tobt in Venezuela der Wahlkampf. Obwohl die Bürgermeister- und Gouverneurs-Wahlen im Dezember 1992 so eindeutig gegen die AD ausgegangen sind, besteht dennoch keine Klarheit über den Ausgang der Präsidentsschafts- und Kongreßwahlen im Dezember 1993. Noch keine der vier Präsidentschaftskandidaten hat bislang eine klare Mehrheit hinter sich.
Für die AD tritt der Ex-Bürgermeister von Caracas, Claudio Fermín an, der nach seiner Wahlniederlage gegen Aristóbulo Istúriz (Causa R) in der Öffentlichkeit und auch in seiner Partei keine starke Stellung hat. In der christdemokratischen Partei (Copei) verlor in parteiinternen Basiswahlen der bisherige Vorsitzende und Präsidentschaftskandidat Eduardo Fernández schmachvoll gegen den Gouverneur des Staates Zulia (Maracaibo), Osvaldo Alverez Paz. Der konservative Paz gilt als Kandidat des Unternehmerverbandes FEDECAMARAS. Seine Erklärungen zu einer zukünftigen Politik lassen das Festhalten an den unpopulären neoliberalen Reformen vermuten.
Außerdem läuft die Kandidatur des Parteigründers von Copei und Ex-Präsidenten Rafael Caldera, der bisher vor allem bei den linken Parteien wie MAS, MEP, URD, und PCV Unterstützung gefunden hat. Diese etwas überraschende Allianz der Linken mit dem konservativen Christdemokraten erklärt sich aus der Rolle Calderas bei der Reform des Arbeitsrechtes im Jahre 1991, als er gegen die neoliberalen Angriffe der Unternehmerschaft die christlich-sozialen Ideen vehement verteidigte und die Schutzfunktion des Staates betonte. Einen zweiten Schub erhielt seine Popularität, als er nach der Offizierrevolte vom 4. Februar 1992 im Nationalkongreß mit erregter Stimme die Regierungspolitik nach den Plänen des IWF zur Hauptursache des Putschversuches erklärte. Verarmung und Verzweiflung seien die wahren Hintergünde der Putschisten. Er zählt heute führende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler des Landes zu seinem Beraterstab.
Der junge Facharbeiter Andrés Velázquez, Vorsitzender der kleinen Partei Causa R, ist der vierte aussichtsreiche Kandidat. Sein Aufstieg vom Gewerkschaftsvorsitzenden der Stahlarbeiter in der staatlichen Eisenhütte SIDOR, über seine Karriere als Abgeordneter des Staates Bolívar im Parlament zum nunmehr mit 80 Prozent der Stimmen wiedergewählten Gouverneur, ist für ihn der Beweis, “daß auch ein Arbeiter regieren kann”. Nachdem Causa R zunächst ein regionales Phänomen darstellte, hat sie jetzt den wichtigen Bürgermeisterposten von Caracas erobert und auch sonst in vielen Wahlkreisen erstaunlich hohe Stimmenzahlen verbuchen können. Causa R definiert sich selbst als “weder links noch sozialistisch”, praktiziert mit großer Konsequenz basisdemokratische Ansätze, hinter denen jedoch auch zentralistische Tendenzen in der Debatte um die künftige Politik erkennbar werden. So hat die kleine Parteiführung aus der Gründerzeit bisher das Heft nicht aus der Hand gegeben und jede Allianz oder Fusion mit anderen linken Parteien abgelehnt; das Verlangen nach einem Programm zur nationalen Politik aus Kreisen ihrer SymphatisantInnen hat sie bisher mit Schweigen beantwortet. Diese von vielen als hermetisch empfundene Abschottung hat der Partei die Kritik der linken Intelektuellen eingetragen. Sie empfehlen Causa R ihr Wählerpotential nicht zu vergeuden, sondern in eine Allianz mit Caldera oder auch mit einem anderen unabhängigen Kandiaten einzubringen.
Es ist keinesfalls gesichert, daß die AD nicht die Wahlen gewinnen kann. Das Wahlrecht sieht die Wahl desjenigen zum Präsidenten vor, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Die AD ist nach wie vor die stärkste Einzelpartei, und wenn sich die Opposition auf drei Kandidaten zersplittert, ist ein Sieg von Claudio Fermín durchaus möglich.

Kasten:

Auf dem Weg zur rechtsstaatlichen Neuordnung
Als CAP 1988 die Präsidentschaftswahlen gewann, erhofften sich viele der VenezolanerInnen eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. CAP personifizierte die goldenen Jahre des Erdölbooms. Er war der Populist, der diesen nationalen Reichtum mit seinem Volk teilte. Seine Politik der subventionierten Gesellschaft durch direkte und indirekte Verteilungsmechanismen der Erdölrente während der ersten Amtsperiode hatte die Kaufkraft der Bevölkerung erhöht und zu einer Verbesserung der Lebensqualität beigetragen. Doch damit war es längst vorbei, nur die Erinnerung an die gute alte Zeit war geblieben.
Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 1989 unterwarf sich CAP einer Verschärfung der Auflagen, die vom Internationalen Währungsfond gefordert wurden, um das Land zu sanieren. Die inländischen Benzinpreise, die einzige staatliche Subventionierung, die noch bestand, wurden drastisch erhöht. Daran entzündete sich ein Volksaufstand im Februar/März 1989, die erste Bewährungsprobe, die die junge Regierung zu bestehen hatte. Seither hat es immer wieder SchülerInnen- und StudentInnenproteste gegeben, die den Sozialabbau und die zunehmende Verarmung im Land anprangerten. Nicht selten wurden den friedlichen Demonstrationen durch die Polizei, die Guardia Nacional und Spezialeinheiten ein gewaltsames Ende gesetzt. So führte neben den sozialen Problemen auch die stärkere Präsenz und Gewaltbereitschaft der Ordnungskräfte in den Städten zu einem Vertrauensverlust für CAPs Regierung. Aber nicht nur die Hoffnung auf bessere Zeiten hatte die Wahl CAPs zum Präsidenten begünstigt. War sein Vorgänger und Parteigenosse Lusinchi wegen Enthüllung eines öffentlichen Bauskandals zurückgetreten, so glaubten viele, daß CAP es nicht mehr nötig habe, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Er sei reich genug, schließlich habe er sich in seiner ersten Amtszeit ausgiebig bedient, so hieß es allgemein. CAP hatte sich in der Vergangenheit als sehr skandalresistenter Politiker erwiesen. Die Bereicherungsvorwürfe während seiner ersten Amtsperiode hatten damals nur wenig öffentliche Empörung ausgelöst. Und so wandten sich die immer lauter werdenden Korruptionsvorwürfe zunächst auch nicht gegen CAPs eigene Bestechlichkeit, sondern gegen seine Unfähigkeit mit der administrativen und politischen Korruption im Land fertig zu werden. Dies gab den Anlaß zu den Putschversuchen. Zwei Staatsstreiche scheiterten, doch die Gerüchte über einen dritten Putschversuch rissen nicht ab. Viele Journalisten behaupteten, CAP sei aus dieser Situation gestärkt hervorgegangen. Andere sahen in seinem “Aussitzen” ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für den politischen Frieden im Land.
Für Venezuela ist das nun begonnene Verfahren und die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen ein Lehrstück auf dem Weg zu der angestrebten rechtsstaatlichen Neuordnung, so die juristische Fachmeinung im Land. Was sich wie ein Politkrimi anhört, ist für viele in Venezuela weitaus mehr als das “Schassen” eines unliebsam gewordenen Präsidenten. Es ist der Sieg einer Entwicklung hin zu mehr Demokratie und Durchsichtigkeit der politischen Prozesse im Land. Tragisch für CAP selbst mag dabei sein, daß gerade er mit dem Vorantreiben der Staatsreform zur Durchsetzung von mehr Rechtsstaatlichkeit und Partizipation die Verhältnisse schuf, die ihm später selbst zum Verhängnis wurden. Ob des Amtsvergehens schuldig oder nicht, sein Prozeß wird nach allen Regeln der Demokratie unter den wachsamen Augen der Bevölkerung vonstatten gehen. Spätestens dann kann er zeigen, ob er wirklich an die von ihm so oft zitierte gewachsene Mündigkeit von PolitikerInnen und BürgerInnen glaubt. Die politische Emanzipation im Land ist, zieht man bis heute Bilanz, eigentlich sein politischer Erfolg.

Christine Heim

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