Guatemala | Nummer 392 - Februar 2007

Rückzug ins Private

Eine Begegnung mit drei ehemaligen Mitgliedern der guatemaltekischen Guerilla

Vor zehn Jahren beendeten die Friedensverträge den Bürgerkrieg in Guatemala. 36 Jahre lang hatte die Militärregierung einen blutigen Kampf gegen Guerilla und Zivilbevölkerung geführt. Nach dem Friedensschluss erhofften sich die RebellInnen neue Perspektiven und politische Beteiligung. Heute sind die meisten Hoffnungen enttäuscht.

Marco Pulquo, Markus Plate

Ich war Experte für psychologische Kriegsführung, ausgebildet in Kuba. In fünf Minuten konnte ich im Wald eine Springmine installieren, eine, die den Gegner nicht tötete, sondern ihm nur schmerzhafte Verletzungen zufügte. Schmerzensschreie sind absolut tödlich für die Kampfmoral.“ Henri hält inne. Gerade kommt seine jüngste Tochter vorbeigestolpert. Er streicht ihr die schwarzen Strähnen aus der Stirn und greift nach einigen Bananenchips. Das viele Erzählen hat den ehemaligen Guerillero hungrig gemacht – und die Kinder schläfrig. Alle räkeln sich gelangweilt auf dem warmen Wellblechdach des Innenhofs, sie wollen mit Papa Ball spielen.
Doch Henri ist ganz woanders. Auf der Terrasse seines unverputzten Reihenhauses spult er die Karriere eines revolutionären Sprengmeisters ab: zunächst Botengänge als Heranwachsender, später, zu Zeiten des Bürgerkriegs, Reisen mit falschen Pässen, dann das Verlegen von Minen rund um den höchsten Vulkan Guatemalas, um die Radioantenne des Rebellensenders zu verteidigen. Schließlich krönt seine Zeit im Dschungel eine Liebesgeschichte mit der comandanta Francisca und die Geburt seiner ersten Tochter in einem Guerillalager nahe Chimaltenango. „Hier, seht mal dieses Foto, keine zwei Jahre alt und schon im Tarnfarben-Shirt, die Kleine.“ Henri lächelt unbestimmt.
Kommandantin Francisca hat den Geschichten ihres Mannes bisher gelassen zugehört, manchmal auch zustimmend genickt und gelächelt. Doch Henris verklärte Begeisterung für die Jahre im Untergrund will sie nicht so recht teilen: „Ich habe meine gesamte Jugend im Wald verbracht. Ich war irgendwann einfach froh, dass es vorbei war. Meinen Kindern soll das erspart bleiben. Sollen sie studieren oder sonst was machen. Nein, falls es wieder ernst wird, ziehe ich mir lieber noch mal selbst die Uniform an.“
Zehn Jahre nach dem offiziellen Ende des guatemaltekischen Bürgerkriegs scheint die Linke jedoch weit davon entfernt, den bewaffneten Aufstand zu proben. Noch am 28. Dezember 1996 waren die Unterschriften der Guerillaführung unerlässlich, um den von der UNO vermittelten Friedensverträgen Geltung zu verleihen. Doch der anschließenden Wandlung des Guerilladachverbands URNG (Guatemaltekische Nationale Revolutionäre Einheit) zu einer politischen Partei folgte der allmähliche Abstieg in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit. Und viele ehemalige KämpferInnen fühlten sich bei ihrer Rückkehr in ein ziviles Leben allein gelassen.

Leere Versprechungen
Im Friedensvertrag waren Maßnahmen zur Wiedereingliederung vereinbart worden: Es sollte Arbeitsplätze innerhalb der neuen demokratischen Strukturen für die Führungsränge, Land und ein eigenes Häuschen für die vielen indigenen LandarbeiterInnen in den Reihen der Guerilla geben. Doch ebenso wie für die Hunderttausenden Bürgerkriegsflüchtlinge, die aus dem mexikanischen Exil zurückkehrten, blieb es für die meisten früheren Guerilleros und Guerilleras bei leeren Versprechungen.
Auch Henri und Francisca waren anfangs euphorisch. „Unser Kampfverband erhielt im Rahmen der Friedensverträge Mittel für den Bau einer Reihenhaussiedlung nahe Chimaltenango zugesprochen“, erzählt Henri. Doch auch wenn Geld von dem dafür eingerichteten Konto abgebucht worden war, stellten sie später fest, dass offiziell nie eine Besitzurkunde ausgestellt wurde. „Wir mussten noch einige Jahre kämpfen, damit das Bauvorhaben zumindest einigermaßen vollendet wurde und wir Landtitel erhielten.“ Der Einsatz für das eigene Heim einte die BewohnerInnen der heutigen Gemeinde des 28. Dezember ein letztes Mal. Inzwischen hat man sich auseinander gelebt. Einige der früheren RebellInnen sind als ArbeitsmigrantInnen nach Mexiko oder in die USA gegangen und schicken jeden Monat Geld an ihre Familien. Andere verdienen sich ihren Lohn bei privaten Sicherheitsfirmen, die nicht selten von pensionierten Militärs geleitet werden. Wer Glück hatte, ist im Security Team der staatlichen MenschenrechtsanwältInnen untergekommen.

Kein Mitspracherecht für ehemalige Guerilleras
Die meisten Frauen mussten sich das in den Kampfverbänden errungene Mitspracherecht wieder abgewöhnen, erzählt Francisca: „Qualifizierte Arbeit findet kaum eine. Durch die langen Jahre bei der Guerilla haben viele ja auch keinen Schulabschluss. Heute schuften die meisten compañeras in den Freihandelsfabriken am Fließband. Auch ich habe das eine Zeit lang gemacht. Jetzt kümmere ich mich um die Kinder.“
Aber Hausfrau und Mutter zu sein, kann sich Francisca nur leisten, weil Henri für die Staatsanwaltschaft arbeitet und genug für alle fünf verdient. Kurz nach dem Krieg hat er zunächst gemeinsam mit Blauhelmen und guatemaltekischen Militärs die Minen entschärft, die er einst selbst gelegt hatte. Inzwischen leitet er Schulungen und arbeitet vier Tage die Woche in Guatemala-Stadt. „Klar haben wir am Ende Glück gehabt. Francisca und ich konnten ein zweites Stockwerk auf unser Haus bauen, denn für eine Familie sind die ursprünglichen Konstruktionen eigentlich zu klein. Aber wir hatten uns hier anfangs vieles größer vorgestellt.“
Henri ist kaum noch politisch engagiert, Francisca fährt manchmal zu Demonstrationen in die Hauptstadt. An diesem Tag hat sie ein Treffen mit einer Frauengruppe im nahe gelegenen Chimaltenango. Deshalb muss Henri die Kinder hüten. In der Nähe wird Ball gespielt. Den Sportplatz hat die Unternehmer-nahe Partei des nationalen Fortschritts (PAN) gespendet. Auf den Backboards der Basketballkörbe prangt das Parteilogo. „Das hätten wir eigentlich längst mal übermalen sollen“, ruft Henri beim Abschied.
Auf dem Weg zur Hauptstraße kommen wir am Gesundheitszentrum des Dorfes vorbei. Es ist geschlossen, aus Geldmangel. Seit drei Jahren findet sich keine Mehrheit mehr im Dorf, das Zentrum gemeinschaftlich zu finanzieren.
Zurück in Guatemala-Stadt geht es direkt zur Zone 2 des Stadtzentrums. Irgendwo hier, in einer Nebenstraße, erwartet uns ein weiterer Rebell im Vorruhestand zu einem abendlichen Glas Rum. Es dämmert bereits, spielende Kinder haben die Straßen erobert, und irgendwann entdecken wir auch Fitos unverkennbare Silhouette. Mit der Linken auf seine beiden Krücken gestützt, winkt er uns heran. „Die sind neu, die Dinger, aus Deutschland, scheint mir. Hier steht ›Geprüfte Sicherheit‹. Was heißt das?“ Gemeinsam verschwinden wir in einer der vielen informellen Bars des Viertels.
Fito ist in einem Rotlicht- und Arbeiterviertel der Provinzhauptstadt Quetzaltenango aufgewachsen. „Irgendwann nahm mich jemand mit zur kommunistischen Jugend“, beginnt er seinen Lebensbericht, „dabei wusste ich damals gar nicht so recht, was das heißt, ›kommunistisch‹.“ Das war Ende der sechziger Jahre. Längst war die demokratische Regierung von Jacobo Arbenz gestürzt. Seit 1954 wechselten sich Militärdiktatoren als Präsidenten ab. Die Angriffe auf linke Organisationen, ländliche GewerkschafterInnen und StudentInnen wurden immer heftiger. „Aber die alten Kommunisten tranken nur Kaffee. Ich dagegen ging zur Guerilla, überzeugt davon, dass wir alle sterben würden, wenn wir uns nicht mit Waffen wehren.“

Rechtfertigungen
statt Selbstkritik
Fito ärgert es, dass der bewaffnete Kampf im literarischen Rückblick meist nur als Anekdote erscheint. Er drückt eine weitere Zitrone über seinem Cuba Libre aus. „Die guatemaltekische Linke hat ihre Geschichte nicht besonders kritisch aufgearbeitet.“ Was das eigene Handeln im Bürgerkrieg betrifft, versuche die frühere Führung der Guerilla bis heute eher, alles zu rechtfertigen als zu analysieren. Auch deshalb habe sich unter den Linken, die die Jahrzehnte der Repression überlebt haben, Fatalismus breit gemacht.
In den achtziger Jahren, unter Führung von General Ríos Montt, erreichte die brutale Unterdrückung der Bevölkerung ihren Höhepunkt. Die so genannte „Politik der verbrannten Erde“ forderte Tausende Tote unter der indigenen Landbevölkerung. Ganze Dörfer verschwanden von der Landkarte, manchmal, um Staudämmen Platz zu machen, manchmal, weil potenzielle Feinde präventiv dezimiert werden sollten. Über 200.000 Menschen starben bis zum offiziellen Friedensschluss, über 40.000 werden bis heute vermisst.
„Auch die Guerilla und die linken Organisationen wurden praktisch enthauptet“, meint Fito. „Versuche des Wiederaufbaus wurden verhindert. Es wurde immer schwieriger, neue Leute auszubilden. Außerdem nahm der Militarismus innerhalb der Guerilla überhand. Dabei war eine der wichtigsten Erfahrungen aus den sechziger Jahren, dass politische und militärische Strategien gleichgestellt sein müssen“.
Die Wirtin des Lokals scheint keine große Lust zu haben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Schnell schiebt sie ein paar Tortillas mit Würstchen und Rinderzunge zwischen die Gläser und zieht sich in den Wohnbereich des Hauses zurück. Durch die halb offene Tür ist die Titelmelodie einer Telenovela zu hören. Fito kaut an seinem Maisfladen herum. „Als die Führung der Guerilla mit dem Staat über einen Waffenstillstand zu verhandeln begann, war die Basis längst nicht mehr eingebunden. Uns wurden keine Informationen über den Stand der Verhandlungen gegeben. Es gab auch Verfolgungen und moralische Strafen innerhalb des Guerillaverbandes, für alle, die es wagten, die Verhandlungsführung zu kritisieren. Eine schmerzhafte Erfahrung.“
Für Fito steht fest, dass die Auflösung der guatemaltekischen Guerilla schon einige Jahre vor der Unterzeichnung der Friedensverträge begann. „Ideologisch und programmatisch waren wir nie geeint. Wir waren Schafe unserer Führung. Und diese zwei Dutzend Leute haben später mit dem Militär und dem Unternehmerverband einen Friedensvertrag ausgehandelt, einen Vertrag, mit dem sich die große Mehrheit der Guerilleros nicht identifizierte. Dieser Friedensschluss war aus meiner Sicht moralisch und politisch unzureichend.“
Der Rum ist alle, die Wirtin taucht immer öfter im Türrahmen auf. Zeit zu gehen. Fito schwingt sich auf seine Gehhilfen. Gerade erprobt er eine neue Prothese. Sein rechtes Bein hat er vor vielen Jahren bei einem Manöver der Guerilla verloren. Er hat lange gebraucht, dieses Missgeschick zu verwinden. Doch mittlerweile schmerzt ihn mehr der desillusionierte Rückzug vieler ehemaliger compañeros und compañeras ins Private. Im zehnten Jahr des Friedens findet er es nötiger denn je, die vom Bürgerkrieg zerstörten gesellschaftlichen Beziehungen neu zu knüpfen. Nostalgie gilt für ihn nicht: „Wir müssen uns mit denen zusammentun, die in dieser Gesellschaft heute an den Rand gedrängt werden. Feministinnen, Behindertenorganisationen, Initiativen für sexuelle Vielfalt. Von diesen Kämpfen haben wir viel zu lernen. Es gibt gute Ansätze, die es zu vertiefen gilt. Denn eines ist klar: Die Friedensverträge dienen nur dem kapitalistischen System. Sie geben der Oberschicht ein menschliches Antlitz, mehr nicht.“

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