Literatur | Nummer 282 - Dezember 1997

Salsa oder vida? Salsavida!

Früh hat er geschrieben, zu früh ist er gestorben: Andrés Caicedo

Der 1951 geborene Kolumbianer Andrés Caicedo lebte nur kurze sechundzwanzig Jahre. In seinen zahlreichen Artikeln, Erzählungen und einem Roman hat er eine radikale Absage an die bürgerliche Gesellschaft formuliert – und sie mit seiner Entscheidung zum Selbstmord auch als endgültige Absage unterstrichen. Sein Roman, der nun unter dem Titel „Salsavida“ übersetzt vorliegt, hat nach seinem Erscheinen vor zwanzig Jahren in Kolumbien für viel Furore gesorgt und ist bis heute in der Diskussion.

Petra Wessels, Valentin Schönherr

Caicedo nimmt uns mit auf eine Reise durch die Straßen von Cali, eine Reise durch das alltägliche und zugleich andersartige Leben der jugendlichen Aussteiger, eine Reise, bei der er häufig den Fluß kreuzt, der alte und neue Lebenswelt trennt. Er beschreibt in seinem Buch „Salsavida“ die Geschichte einer „total blonden“ Kolumbianerin, María del Carmen Huerta, „La Mona“. Durch ihre Augen erfährt der Leser, wie Jugendliche dort leben. Mit der Rumba kommt er deren Lebensstil und ihrer Suche nach anderem, das heißt „echtem Leben näher. Eigentlich nur, weil La Mona etwas Abwechslung in ihren Alltagstrott bringen will und deshalb die Lektion über das “Kapital” mit den Marxisten schwänzt, entscheidet sie sich für ein Leben, das sich unterscheiden soll von dem der Bourgeoisie. Sie kehrt ihren Eltern und der Schule den Rücken zu und macht aus den Bars und Kneipen, vor allem aber aus der Musik ihr Zuhause.
Dabei dient ihr die Musik als roter Faden im Leben – mal Richie Ray, mal Bobby Cruz (eine ausführliche Diskographie findet sich im Anhang). Was sie sich unter einem freien Leben und unter ewiger Jugend vorstellt, erfahren wir durch ihren intensiven Drogenkonsum, durch ihre häufig wechselnden Liebesbeziehungen, Parties, mehr oder weniger willkürliche, belanglose Morde – und durch ihr Abgleiten in die Prostitution. Das alles steht in engster Beziehung zur Musik, die sie in den Ohren hat. Die Musik ist dabei wie der Untertitel, der Kommentar, die Erklärung oder auch wie eine Anleitung zu dem, was sie tut und läßt, denkt und fühlt. Gerade diese Musik macht ihr Leben stark, frei und unbekümmert, aber auch Konfusion, Nachlässigkeit, Mißtrauen und Lieblosigkeit sind darin nicht zu übersehen. Wie kann eine junge, „bürgerliche“ Frau, die eigentlich alles hat außer jener „Freiheit“, sich in ein völlig ungewisses Leben stürzen, mit Freiheit, die für sie bis zur Prostituierung geht und in der sie sich nur noch von Ray und Cruz führen läßt? Diesen Fragen geht das Buch nach.
Es wird schwerfallen, die Geschichte von „Siempreviva“, der „Immerlebendigen“, wie sie sich selbst nennt, nicht zu Ende zu lesen. Glückliche und traurige Momente wechseln einander ab; für María gehören die intensiven Spannungen der Musik zum Leben wie die Luft zum Atmen. Schließlich steht man selbst vor der Frage, was eigentlich passieren würde, wenn man sich aus Routine und Trott ausklinken und sein Leben nach Gewohnheiten abtasten würde, die einem manchmal wie angewachsen scheinen. Der Gedanke, sich in etwas Unbekanntes zu begeben, drängt sich auf, vielleicht auch die Erinnerung daran, daß wir diese Chance schon einmal genutzt haben. Aber wie steht es mit der Stärke, sein Leben zu führen, wie María das macht, mit allen Vorurteilen zu brechen, es auszuhalten, daß alte Freunde und Eltern einem den Rücken zukehren?
Die Geschichte nötigt einem enormen Respekt vor solcher Entscheidungs- und Lebenskraft ab und ermuntert zu versuchen, es selbst überhaupt ein klein bißchen zu ändern.

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