Nummer 475 - Januar 2014 | Sachbuch

Schön, aber nicht komplett

Reinaldo Couddos Bildband zum brasilianischen Fußball

Thomas Fatheuer

O Jogo Bonito: Brasilien – eine fußballverrückte Nation in Bildern ist in der Weihnachtszeit der WM-Saison eine verlockende Geschenkidee. Der Bildband ist nicht ganz billig, was angesichts der Vielzahl der Fotos aber nachvollziehbar ist. Dafür erhält man eine kleine Fotoenzyklopädie des brasilianischen Männerfußballs.
Das Buch beginnt mit einem gelungenen Vorwort des brasilianischen Fußballjournalisten Juca Kfouri und bietet gleich im ersten Absatz eine Überraschung: “Brasilien ist keineswegs das Land des Fußballs“, heißt es da. Auch im weiteren Verlauf des Buches sind die Texte meist gelungen und dabei kurz und knapp gehalten, so dass sie auch Lesemuffel nicht überfordern. Schade nur, dass als Beleg für die Vielfalt des Fußballs ausgerechnet mal wieder das Peladão in Manaus herhalten musste, eine Kombination aus Fußballturnier und Schönheitswettbewerb. “Brasilien hat drei Leidenschaften: die eine ist futebol, die andere Frauen und die dritte Bier. Wenn diese drei Dinge zusammentreffen, dann kannst du alles vergessen“. Von solchen Weisheiten wären wir dann doch lieber verschont geblieben.
Nicht nur hier zeigt sich leider die größte Schwäche des Buches: Es verlässt nicht den geschützten Raum des Mainstream-Männerfußballs. Frauenfußball kommt gar nicht vor – und das in einem Land, in dem immer mehr Frauen sehr erfolgreichen und schönen Fußball spielen. Gerade ein Bildband hätte sich mehr lösen können von dem eingeengten Blick auf die Nationalmannschaft und die großen Teams. LGBT-Fußball oder ein kritischer Blick auf die Nachwuchsförderung, die oft an Formen der Sklavenarbeit erinnert – all dies kommt nicht vor. Und dass ausgerechnet „König Pelé“ das Schlusskapitel bildet, verstärkt den Eindruck, hier zu bequem auf Altbekanntem zu beharren. Gerade Pelé hätte wegen seiner unsäglichen Äußerungen zu den Protesten im Juni zumindest einen Seitenhieb verdient gehabt.
Lesens- und vor allem sehenswert ist der Band wegen anderer Dinge aber dennoch. Der Höhepunkt sind zweifelsohne die Fotos von Caio Vilela, der in ganz Brasilien Bolzplätze (peladas) bereiste. Die Vermischung von Alltag, ungewöhnlichen, teils gottverlassenen Orten und Fußball strahlt eine unwiderstehliche Poesie aus. Lobenswert ist auch, dass die Democracia Corinthiana, dieser kurze „Sommer der Anarchie“ im brasilianischen Fußball ein eigenes Kapitel erhalten hat. Wer über die Schwachstellen hinwegsehen kann, dem kann ein Kauf also durchaus empfohlen werden.

Reinaldo Coddou (Hg.) // O Jogo Bonito. Brasilien – eine fußballverrückte Nation in Bildern // Spielmacher Verlag // 232 Seiten // 35 Euro

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