Costa Rica | Nummer 409/410 - Juli/August 2008

Schöne Gesetze, unfähige Justiz

Trotz formeller Anerkennung misslingt die Umsetzung internationaler Arbeitsnormen in Zentralamerika

Arbeitsrechte gelten in Zentralamerika häufig nur auf dem Papier. Zahlreiche GewerkschaftsführerInnen und ArbeitsrechtsexpertInnen aus der Region trafen sich Mitte Juni in Nicaragua, um darüber zu diskutieren.

Jonas Rüger

Man war sich einig. Die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung internationaler Arbeitsnormen lägen nicht bei der formellen Anerkennung. Über 30 GewerkschaftsführerInnen und ArbeitsrechtsexpertInnen aus Zentralamerika und der Dominikanischen Republik hatten sich Mitte Juni im nicaraguanischen Montelimar getroffen, um über die Umsetzung internationaler Arbeitsnormen zu diskutieren. „Die Verfassungen und Arbeitsgesetzgebungen sichern die Arbeitsrechte weitgehend ab, und die Arbeitsgerichte verfügen über umfangreiche Kompetenzen und wenige formale Zugangsschranken“, erklärte Rodolfo Piza, Direktor des Projektes „Stärkung der Arbeitsrechte in Zentralamerika und der Dominikanischen Republik“. Dieses wird von der „Stiftung für Frieden und Demokratie“ (FUNPADEM) koordiniert und dem US-Arbeitsministerium finanziert. „Das Problem liegt in fehlender oder unzureichender juristischer Einforderbarkeit, der Schwäche der institutionellen Mechanismen sowie dem Fehlen der materiellen Bedingungen, um die Rechte effektiv durchzusetzen“, erläutert Piza.
Obwohl das Projekt im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum viel kritisierten, zwischen Zentralamerika, der Dominikanischen Republik und den USA unterzeichneten Freihandelsabkommen CAFTA ins Leben gerufen wurde, erhält es auch von den GewerkschafterInnen größtenteils gute Noten: „Man muss anerkennen, was das Projekt für die Stärkung der Arbeitsrechte in der Region erreicht hat“, stellt Raúl Moreno vom Gewerkschaftszusammenschluss Coordinadora Nacional Popular y Sindical aus Guatemala fest und erhält die Zustimmung der Mehrheit seiner KollegInnen. In den fünf Jahren seines Bestehens hat das Projekt in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitsministerien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine Internetseite (www.leylaboral.com) mit bisher über zweieinhalb Millionen Zugriffen eingerichtet, auf der sie die Arbeitsnormen aller Länder sowie die wichtigsten juristischen Begriffe erklären. Es wurden unter anderem knapp vier Millionen Flugblätter und Arbeitsrechts-Leitfäden produziert und verteilt, zahlreiche Radiospots gesendet, mehrere Call-Center mit auf Arbeitsrecht spezialisierten AnwältInnen eingerichtet und Fortbildungen für über 10.500 Personen organisiert.

Viele ArbeiterInnen denken, dass ihr Recht auf Urlaub verfällt, sobald sie
weniger produzieren

Trotz solcher Anstrengungen bestehen jedoch gravierende Mängel schon bei der Kenntnis der grundlegenden Rechte fort. Eine im Rahmen des Projekts im Jahr 2007 durchgeführte Studie stellte fest, dass zum Beispiel zwar 70 bis 90 Prozent der ArbeiterInnen das Recht auf Gewerkschaftsfreiheit kennen, viele glauben aber, zur Gründung sei das Einverständnis aller Beschäftigten (66 Prozent) oder gar des Arbeitgebers (13 Prozent) nötig. Ebenso wissen 93 Prozent über das Recht auf Urlaub Bescheid, 53 Prozent glauben aber, dass dieses Recht bei geringer Arbeitsproduktivität verloren geht. Schwangerschaftstests bei der Einstellung halten 54 Prozent für legal, in der Dominikanischen Republik liegt diese Ziffer sogar bei fast 82 Prozent. Und obwohl die Arbeitsgesetze der gesamten Region festlegen, dass mündliche und schriftliche Übereinkommen gleichwertig sind, sind je nach Land zwischen 56 und 78 Prozent davon überzeugt, dass sie ihre Rechte nur mit einem schriftlichen Vertrag geltend machen können. „Es ist essentiell, die Kenntnisse der Arbeiter und Arbeiterinnen über ihre Rechte und Pflichten zu verbessern“, stellt Narcizo Cabral von der Nationalen Vereinigung dominikanischer Arbeiter (CNTD) dementsprechend fest.
Darüber hinaus leiden die Inspektionsabteilungen in den Ministerien an Problemen wie der Fluktuation von InspekteurInnen aufgrund von Regierungswechseln und Vetternwirtschaft, dem damit verbundenen Know-How-Verlust und der weitgehenden finanziellen Abhängigkeit von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit. „Die Ministerien haben größtenteils einen so armseligen Etat, dass die Erfüllung ihres verfassungsmäßigen Mandats praktisch unmöglich ist“, so Raúl Moreno.
Während den Arbeitsministerien wenigstens der Wille zu Verbesserungen zugestanden wird, kommen Justiz und Rechtsprechung noch weitaus schlechter weg. „Das Justizsystem ist einen Dreck wert“, moniert Emilio Márquez aus Nicaragua frustriert. Sein costaricanischer Kollege Ólman Chinchilla pflichtet ihm bei: „Die Prozesse dauern bis zu zehn Jahre und am Ende fehlen erstzunehmende Sanktionen. Das hält doch kein Arbeiter durch.“
Das wohl schwerwiegendste Problem für Durchsetzung und Kontrolle der Arbeitsrechte in Zentralamerika dürfte aber im hohen Anteil des informellen Sektors liegen. Laut Rodolfo Piza ist davon auszugehen, dass zwischen 50 und 70 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung informell beschäftigt ist. Dabei bestehen große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, selbst in Costa Rica und Panama am unteren Ende der Skala liegt die Quote aber immer noch bei 35 bis 45 Prozent. In Nicaragua, Honduras und Guatemala übersteigt sie 70, dazwischen liegen El Salvador und die Dominikanische Republik mit 50 bis 60 Prozent.
Obwohl in diesen Daten unterschiedlichste ökonomische Aktivitäten von der selbständigen Akademikerin bis zum Tagelöhner in der Landwirtschaft inbegriffen sein können, ist die Mehrheit dieser ArbeiterInnen bezüglich der Durchsetzung ihrer Arbeitsrechte besonders verwundbar. Ebenso ist anzunehmen, dass sie größtenteils aus sozioökonomisch marginalisierten Bevölkerungsschichten stammen. Hinzu kommt, dass Frauen häufiger unterschiedlichen Formen der Informalität ausgesetzt sind als Männer. Das ist nur einer von vielen Indikatoren für die anhaltende Aktualität von Fragen der Geschlechtergleichheit in der Arbeitswelt. Das Spektrum reicht von geringerer Entlohnung bis zum Fehlen von Frauen in Führungspositionen. Diese Probleme wiederholen sich sogar in der internen Organisation und Struktur der Gewerkschaftsbewegung.

„Gender ist so etwas wie eine Mode, so ähnlich wie die neueste Levi‘s-Jeans“

So fanden sich bei dem Treffen in Montelimar unter 26 TeilnehmerInnen aus dem Gewerkschaftssektor gerade einmal vier Frauen. Und wie Hilda Chiroy aus Guatemala und die Salvadorianerinnen María del Carmen Molina und Marta Zaldaña betonen, wurde auch diesen der Weg in die Führungspositionen, die sie inzwischen innehaben, nicht leicht gemacht. „Kulturell und historisch sind die Gewerkschaften maskulin geprägt“, führt María del Carmen Molina an. „Gender ist jetzt sowas wie eine Mode, so ähnlich wie eine neue Levi’s-Jeans“, ergänzt Marta Zaldaña. „Warum wird in den Gewerkschaften von Gender geredet? Weil die internationale Entwicklungszusammenarbeit das fordert.“ Außerdem prangern sie die Marginalisierung und herablassende Behandlung von Frauen und sogar Fälle sexueller Belästigung in den Gewerkschaften an. Und solange die Ungleichheit der Geschlechterverhältnisse in Gesellschaft und Kultur sich fortsetzt, bedeutet das politische Engagement für viele Frauen einen „dreifachen Arbeitstag“ zwischen Haushalt, Job und Gewerkschaftsarbeit.
Neben all diesen Herausforderungen sorgen sich die GewerkschafterInnen in Zentralamerika, vor allem nach den jüngsten Morden in Honduras, verstärkt um ihre körperliche Unversehrtheit. Zum Abschluss des Treffens in Montelimar wurde eine Schweigeminute für Rosa Altagracia Fuentes, Virginia García de Sánchez und Juan Bautista Gálvez eingelegt, sowie eine Petition zur lückenlosen Aufklärung der Vorfälle verfasst.

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