Land und Freiheit | Nummer 291/292 - Sept./Okt. 1998

Sechs Monate auf Bewährung

Die Campesino/a-Bewegung stellt der Regierung ein Ultimatum Interview mit Juan Tiney von der Coordinadora Nacional Indígena y Campesina

Vom 16. bis18. Juli diesen Jahres fand in Guatemala in Palín, Provinz Escuintla, der zweite nationale Campesino/a-Kongreß statt. Zum ersten Mal seit Unterzeichnung der Friedensabkommen wurde der Versuch unternommen, mit der Basis auf landesweiter Ebene die Problematik der ungerechten Landverteilung und die Situation der Campesino/a-Bewegung zu diskutieren. Der Dachverband der guatemaltekischen Campesino/a-Organisationen, die Coordinadora Nacional de Organizaciones Campesinas (CNOC) hatte zu diesem Ereignis alle bäuerlichen Organisationen und alle Institutionen, die sich mit der Agrarfrage beschäftigen, eingeladen – einschließlich der Regierung. Zur Vorbereitung des Kongresses wurden drei regionale Vorkongresse abgehalten. Juan Tiney von der Coordinadora Nacional Indígena y Campesina (CONIC), die derzeit den Vorsitz innerhalb der CNOC inne hat, schilderte Anfang August seine Eindrücke über den Verlauf und die Ziele des Kongresses.

Christine Hatzky

Juan, welche Bedeutung hatte der Kongress für die Campesino/a-Bewegung in Guatemala?

Ich gehe zunächst ein bißchen auf die Vorgeschichte ein. Wir befinden uns aktuell in einer schwierigen Situation, wir haben ein sogenanntes Friedensabkommen, das natürlich Alternativen aufzeigt, aber nur auf dem Papier. In dem Agrar-Abkommen wurden unsere Erwartungen nicht erfüllt und es gibt auch keine Antwort auf die realen Zustände, die im Land herrschen. Die Regierung antwortet mit Drohungen und Einschüchterungen. Vier führende CONIC-Mitglieder wurden umgebracht.
Bei den Instanzen, die das Abkommen vorsieht, beispielsweise die Schlichtungsstelle für Landkonflikte, CONTIERRA, oder der Landfonds, handelt es sich um rein formale Instanzen, ohne finanzielle Mittel und ohne richtige Zuständigkeiten. Die bisherigen Gespräche mit diesen Instanzen zeigen, daß die Regierung kaum Willens ist, die Landproblematik zu lösen. Gleichzeitig müssen wir natürlich unsere eigene Schwäche eingestehen, die wir auf nationaler Ebene als Campesino/a-Organisationen haben. Wir schafften es nämlich nicht, uns zu einigen und eine gemeinsame Strategie zu entwerfen.
Genau deshalb versuchen wir die CNOC zu reaktivieren, um zu gemeinsamen Handlungsstrategien zu kommen. Ende letzten Jahres entstand die Idee eines nationalen Campesino/a-Kongresses, auf dem wir gemeinsam über die Problematik auf dem Land diskutieren können. Die Absicht war dabei, einen Vorschlag zu entwickeln, den wir der Regierung unterbreiten können.
Natürlich sollten auch die Campesino/a-Gruppen oder Landgemeinden, die auf nationaler Ebene nicht repräsentiert sind, einbezogen werden. Oder auch Teile der Kirche, die sich für die Landfrage einsetzen. Es galt also, sich mit allen zusammenzusetzen. Um diese Diskussion auch in den Regionen zu verbreitern, hielten wir im Mai und Juni drei Vorkongresse in den Provinzen Alta Verapaz, Retalhuleu und Sololá ab.

Kannst du etwas zu den TeilnehmerInnen der Kongresse sagen?

An den Vorkongressen nahmen zwischen 100 und 150 Leute teil, hauptsächlich die Campesino/as, deren Organisationen der CNOC angehören. Am nationalen Kongreß nahmen rund 450 Personen teil. Wir konnten damit einen Überblick über die Vorschläge der Basis gewinnen. Die Campesino/as an der Basis meinten, daß wir endlich zu konkreten Kampfmaßnahmen greifen müßten, da die Regierung nicht bereit ist, die Probleme zu lösen. Das betrifft ganz konkret die Räumungen und die Fincas, die sich aktuell in Auseinandersetzungen befinden. Sie forderten auch, daß wir Maßnahmen gegen die massiven Entlassungen von LandarbeiterInnen ergreifen sollten. Die Beteiligung der Frauen lag bei etwa 30 Prozent. Das ist schon ein Erfolg für uns. Die Frauen forderten zum einen eine Beteiligung auf allen Ebenen, andererseits forderten sie auch ihren eigenen Bereich, ihren Freiraum innerhalb dieser Kämpfe.
Wichtig für uns war die Teilnahme zum Beispiel der kirchlichen Landpastoralen, die Asamblea Consultativa de las Poblaciones Desarraigadas (Konsultativversammlung der entwurzeltzen Bevölkerung), oder die Central General del Trabajadores del Campo (Vereinigung der Landarbeiter). Denn das erlaubte uns, uns auch mit anderen Sektoren auseinanderzusetzen. Mit der CGTC beispielsweise, die relativ regierungsnah ist, aber immerhin schon eine ganze Reihe wichtige Aktionen zugunsten der LandarbeiterInnen gemacht hat. Insgesamt denke ich, daß es eine spannende Debatte gab. Dabei wurde nicht nur über die Landverteilung diskutiert, sondern auch über Finanzierung, Verwaltung oder Vermarktung. Es müssen ergänzende Alternativen dazu gesucht werden. Die RegierungsvertreterInnen legten dar, daß der Ausweg nicht allein im Problemland zu suchen ist. Dennoch wurde offensichtlich, daß ein Großteil der Problematik Guatemalas mit der ungerechten Landverteilung zusammenhängt.
Es muß aber auch das Problem der Ausbildung und der technischen Hilfe auf dem Land gelöst werden. Auch müssen Beschäftigungsalternativen auf dem Land geschaffen werden. Aber da muß der Staat seinen Anteil leisten, vor allen Dingen, um den Rassismus und die Marginalisierung eines Großteils der Landbevölkerung zu beenden. Die Beiträge, die in diese Richtung gingen, waren deshalb sehr wichtig, weil jetzt auch über diese Aspekte diskutiert wird, was vorher nicht möglich war.

Was für einen Eindruck hattest du vom Gesprächsklima zwischen den unterschiedlichen TeilnehmerInnen? Gab es Unstimmigkeiten?

Konfrontative Diskussionen zwischen CNOC und beispielsweise der CGTC gab es nicht. Wie auch die Kirche oder die anderen Organisationen machten sie ihre Vorschläge und sagten ihre Sicht der Dinge. Es gab keine frontale Debatte, was auch nicht unsere Absicht war. Wir wollten die Debatte über die Themen verbreitern. Das Anliegen der Leute war, über ihre Probleme zu reden. Dabei mußten wir feststellen, daß das, was die jeweilige Basis der verschiedenen teilnehmenden Organisationen fordert, ziemlich ähnlich ist: Die Landverteilung, die Löhne, die fehlende technische Betreuung für die Entwicklung auf dem Land. Differenzen gibt es allerdings in der Führungsebene. Deshalb war es wichtig, auf dem Kongreß die Vorschläge der Basis zu hören, die sich, wie gesagt, alle glichen. Es wurde deutlich, daß ein Teil des Problems bei der Besteuerung des Grund und Bodens zu suchen ist. Ein entsprechendes Gesetz wurde im März im Parlament verworfen. Es ist also notwendig, das Gesetz wieder aufzunehmen, um finanzielle Ressourcen zu schaffen, damit die verschiedenen Programme, die das Friedensabkommen vorsieht, ins Laufen gebracht werden.
Gerade heute habe ich es auf den Titelseiten der Tageszeitungen gelesen, daß wieder angefangen wird, auf nationaler Ebene über die Besteuerung von Grund und Boden zu debattieren. Zu dieser Debatte hat der Campesino/a-Kongreß einen wichtigen Beitrag geleistet.

Welche Themen wurden in den Diskussionen außerdem angeschnitten?

Beispielsweise die konkreten Auseinandersetzungen auf dem Land. Wir als CONIC sind weiter über den Fortgang der Räumungen von Gruppen oder Gemeinden, die sich im Landkonflikt befinden, besorgt. Erst vor kurzem gab es eine Räumung im Petén und eine in San José Pinula. Die Regierung läßt immer dann räumen, wenn es darum geht, ihnen nahestehende Fincabesitzer zu begünstigen. Aber welche Alternativen schlägt sie vor? Keine einzige! Was sie damit erreicht, ist eine weitere Spaltung der guatemaltekischen Gesellschaft. Wenn die Regierung dann behauptet, daß die Leute, die Land besetzen, doch schon welches hätten und keines benötigen, dann muß sie das beweisen. Und der Bevölkerung Landbesitz zusichern. Die Leute besetzen doch nicht zum Spaß Land! Sie machen das aus einer Notwendigkeit heraus. Und deshalb müssen die Räumungen aufhören.

Welche neuen Strategien habt ihr daraus entwickelt?

Na ja, zumindest wurde beschlossen, der Regierung weitere sechs Monate Zeit zu geben, um ihre Verpflichtungen, die aus den Friedensabkommen hervorgehen, zu erfüllen. Und wenn die Regierung während dieser sechs Monate weiterhin keine Ergebnisse vorzeigen kann, dann ist die Campesino/a-Bewegung entschlossen, konkrete Maßnahmen, wie Straßenblockaden, Demonstrationen, Märsche oder Besetzungen von Fincas, zu ergreifen. Für uns heißt das, daß wir uns intern darauf vorbereiten. Gleichzeitig heißt das aber auch, daß wir der Regierung die konkreten Probleme vorlegen, die bisher noch nicht behandelt wurden.

Während der sechs Monate „Bewährungszeit“ für die Regierung – was wollt ihr währenddessen tun?

Zum einen setzen wir uns in Arbeitsgruppen zusammen und versuchen, die Kongreßbeschlüsse, wie etwa die Unterstützung des Gesetzentwurfes über den Landfonds, die Erleichterung der Kreditvergabe für Landkäufe, die Kommerzialisierung der Produkte oder die ländliche Entwicklung im allgemeinen in konkrete Arbeitschritte umzusetzen. Andererseits müssen wir uns als Organisationen intern stärken und aufbauen, vor allem auch auf regionaler Ebene. Denn wir können ja nicht spontan und improvisiert Maßnahmen ergreifen. Eine Aktion, die auf nationaler Ebene stattfinden soll, muß sehr gut vorbereitet, organisiert und koordiniert werden. Wenn die Organisationen nicht stark sind, ist die beste Koordination sinnlos. Denn es gibt Organisationen und RepräsentantInnen, die sind auf nationaler Ebene vertreten und wollen an den Verhandlungsinstanzen teilnehmen, machen aber keine Basisarbeit. So etwas können wir als CONIC nicht zulassen: Es gibt keine Campesino/a-Bewegung, die nur aus einer Gruppe von führenden Köpfen besteht. Im Gegenteil, es muß eine Campesino/a-Bewegung sein, die sich auf die Arbeit an der Basis stützt.Nur so ist die Campesino/a-Bewegung lebendig.

War der Kongreß in diesem Sinne ein Fortschritt? Wurde denn eine Stärkung der Organisationen, der Bewegung erreicht?

Ja. Ich denke, daß die Campesino/a-Bewegung durch den Kongreß gestärkt worden ist. Es gibt natürlich unterschiedliche Positionen, sowohl innerhalb der CNOC als auch im Vergleich zu anderen Organisationen, der Regierung oder zum Beispiel mit der Kirche. Ich denke der Kongreß war eine Möglichkeit, uns zu verständigen und das begreife ich schon als einen Schritt vorwärts. Was zählt, ist, daß es uns gelungen ist, so viele verschiedene VertreterInnen – und auch die der Regierung – zusammenzurufen. Wenn die alle nicht gekommen wären, dann hätten wir gesehen, daß wir nicht stark genug sind, einen solchen Kongreß zu veranstalten. Aber wir haben hier jetzt die Beschlüsse und das ist eine Stärkung für uns.

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