Dossier | Indigene Justiz | Nummer 457/458 - Juli/August 2012

Selbstbestimmung oder Barbarei

In der Diskussion um Segen oder Schaden indigener Justiz geht es vor allem um differenziertes Betrachten

Peitschenhiebe und kalte Bäder: Die Medien stürzen sich beim Thema der indigenen Justiz gerne auf reißerische Geschichten und gruselige Bilder. Dabei sind die indigenen Rechtspraktiken in Lateinamerika vielfältig. Und einige gemeinsame Charakteristika zeigen: Mit Lynchjustiz hat die indigene Rechtssprechung wenig zu tun. Frei von Problemen ist sie deswegen noch lange nicht.

Anna Barrera

Die deutschen Medien verwenden das Schlagwort „indigenes Recht“ in jüngster Zeit zunehmend als Aufhänger für skandalträchtige Radiofeatures, Zeitungsartikel oder Videos. Bolivien scheint sich für solche Reportagen in besonders prägnanter Weise zu eignen. Da versieht der Zeit-Autor Ulrich Ladurner einen Artikel zum Thema mit dem Titel „Wo man Diebe verbrennt“. Er stellt die Frage, ob die formal-rechtliche Gleichstellung der staatlichen Rechtsordnung mit indigenen Rechtssystemen in Bolivien in eine „Barbarei“ münden wird – vergleichbar mit der Terrorherrschaft der Taliban im pakistanischen Swat Tal. Unhinterfragt erweckt der Text den Eindruck, indigene Rechtsausübung wäre quasi eine Form von Lynchjustiz. Oder das Deutschlandradio berichtet von einem bolivianischen Verfassungsrichter, der unter Zuhilfenahme von Koka-Blättern höchstrichterliche Urteile trifft. Titel: „Bolivianischer Richter urteilt mit Hilfe von Koka-Blättern.“ Die Radionachricht sieht von jeglicher Kontextualisierung der Information ab, hat aber noch genug Platz für den despektierlichen Beisatz, wonach Koka-Blätter dem Richter nebenbei auch helfen „mit Pflanzen, Bergen und Flüssen zu kommunizieren“. Angesichts dieser oft oberflächlichen und vorurteilsbeladenen Berichterstattung ist es nicht nur angebracht, sondern höchste Zeit, sich etwas rationaler und fundierter mit der Frage auseinanderzusetzen, worum es eigentlich geht, wenn wir von indigener Justiz in Lateinamerika reden.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Ausübung indigenen Rechts ein international anerkanntes und zunehmend auch in nationalen Verfassungen verankertes Kollektivrecht indigener Völker darstellt. Auf Protestmärschen, Dialogforen und Verfassunggebenden Versammlungen machten Vertreter_innen indigener Bevölkerungen in den vergangenen Jahrzehnten ihre Forderungen nach Selbstbestimmung laut. In Bezug auf indigene Bevölkerungsgruppen beinhaltet das Konzept der Selbstbestimmung die Möglichkeit, innerhalb der existierenden Staaten gemäß eigenen Vorstellungen von Entwicklung zu leben und sich als Gruppe selbst zu regulieren. Dazu gehört die Aufrechterhaltung eigener Formen kultureller, sozialer, wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Organisation. Auf internationaler Ebene flossen diese Forderungen in das 1991 in Kraft getretene Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein, wo es unter anderem heißt:

Art. 8.1. Bei der Anwendung der innerstaatlichen Gesetzgebung auf die betreffenden Völker sind deren Bräuche oder deren Gewohnheitsrecht gebührend zu berücksichtigen.
Art. 8.2. Diese Völker müssen das Recht haben, ihre Bräuche und Einrichtungen zu bewahren, soweit diese mit den durch die innerstaatliche Rechtsordnung festgelegten Grundrechten oder mit den international anerkannten Menschenrechten nicht unvereinbar sind.

Die inhaltlich weiter gehende, 2007 verabschiedete Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker bestätigt das Recht auf eigene Rechtsinstitutionen gleich zweifach. An seiner Formulierung waren deutlich mehr Repräsentant_innen indigener Gruppen involviert als an der vorangegangenen ILO Konvention,

Art. 5 Indigene Völker haben das Recht, ihre eigenen politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Institutionen zu bewahren und zu stärken, während sie gleichzeitig das Recht behalten, uneingeschränkt am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben des Staates teilzunehmen, sofern sie dies wünschen.
Art. 34 Indigene Völker haben das Recht, ihre institutionellen Strukturen und ihre Bräuche, Spiritualität, Traditionen, Verfahren, Praktiken und, wo es sie gibt, Rechtssysteme oder Rechtsgewohnheiten im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen zu fördern, weiterzuentwickeln und zu bewahren.

Die meisten lateinamerikanischen Staaten gehören sowohl zu den Unterzeichnerinnen des rechtlich bindenden ILO Übereinkommens 169, als auch zu den Ländern, die sich bei der Abstimmung der UN-Generalversammlung für die Annahme der Erklärung von 2007 ausgesprochen haben. Entsprechend haben viele dieser Staaten indigenen Bevölkerungsgruppen, die auf ihrem Territorium ansässig sind, im Zuge von Verfassungsreformen das Recht auf die Ausübung eigener Justiz zugesichert. Dazu gehören zum Beispiel Brasilien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Mexico, Nicaragua, Paraguay, Peru und Venezuela. Ähnlich wie in den internationalen Normen werden der Ausübung dieses Rechts jedoch Schranken gesetzt, meist durch eine Klausel, wonach diese Praktiken nicht gegen ihre nationalen Verfassung oder die Menschenrechte verstoßen dürfen.

Ein wesentlicher Aspekt im Hinblick auf indigene Justiz bezieht sich auf die Tatsache, dass es sich hierbei keinesfalls um eine homogene Praxis über alle Regionen und indigenen Bevölkerungsgruppen hinweg handelt, sondern vielmehr um eine äußerst vielfältige „Rechtslandschaft“. Rechtsanthropolog_innen in Lateinamerika betonen, dass nicht einmal eine indigene Gruppe (zum Beispiel die Mapuche in Chile) mit einem einheitlichem Rechtssystem gleichgesetzt werden darf. Die Normen und Verfahren einer lokalen Gemeinde können sich durchaus von den entsprechenden Praktiken der Nachbargemeinde unterscheiden, selbst wenn beide ein und derselben Gruppe angehören. Das macht die Suche nach übergreifenden Charakteristiken natürlich nicht einfacher. Diese ist dennoch erforderlich, nicht zuletzt, um klarer abzugrenzen, wo indigene Justiz aufhört und Lynchjustiz, die die Medien oft mit indigenen Rechtspraktiken gleichsetzen, anfängt.

Die Suche nach Elementen, die in einer Vielzahl indigener Rechtssysteme präsent sind, führt zunächst einmal zu den Autoritäten, die die Kompetenz haben, Recht auszuüben. Diese Funktion wird in indigenen Gemeinden nicht von einer beliebigen Person oder einer sich spontan versammelnden Gruppe von Anwohner_innen ausgeübt (wie bei Fällen der Lynchjustiz üblich). In der Regel übertragen Gemeinden diese Kompetenz an spezielle Gemeindemitglieder, wobei die konkreten Verfahren jeweils stark variieren. In einigen Gemeinden ist etwa die Ernennung erfahrener Personen in einen Ältestenrat üblich. Andernorts wählt die Gemeinde Mitglieder, die ein gesellschaftlich und moralisch vorbildliches Verhalten aufweisen, auf bestimmte Zeit in das Amt der Rechtsautorität.

Konflikte, die an indigene Rechtsautoritäten herangetragen werden, beziehen sich typischerweise auf Fragen des Landbesitzes, die Nutzung von natürlichen Ressourcen wie kollektivem Weideland oder Wasser, den Diebstahl von Vieh oder Sachgegenständen oder den Schaden, der durch Vieh auf benachbarten Feldern angerichtet wird. Auch Streitigkeiten zwischen Nachbar_innen und familiäre Konflikte wie Erbstreitigkeiten oder häusliche Gewalt sind Themen. Gelegentlich müssen sich Rechtsautoritäten aber auch mit übersinnlichen Phänomenen wie der Hexerei auseinandersetzen.

Während sich Lynchjustiz an spontanen Willkürakten einer aufgebrachten Menschenmenge festmachen lässt, folgt indigene Justiz Regeln und Verfahren, die meist zwar nicht in einem „Gesetzbuch“ niedergeschrieben, aber dennoch allen Gemeindemitgliedern bekannt sind. Die Verfahren umfassen verschiedene Phasen: Der Auftakt eines rechtlichen Verfahrens besteht oftmals darin, dass die zuständige Rechtsautorität einer Gemeinde von einem Problem oder Konflikt erfährt. Sie wird zunächst versuchen, alle beteiligten Konfliktparteien anzuhören und danach wichtige Details des Falls zu klären. Dies kann durch die Befragung von Zeug_innen, die Einholung von Unterlagen oder die Begehung relevanter (Tat-)Orte geschehen. Im Anschluss bemüht sich die Rechtsautorität um eine mögliche Lösung des Konflikts, wobei sie den Rat von Ältesten oder erfahrenen Gemeindemitgliedern hinzuziehen kann. Oftmals werden die Konfliktparteien selbst dazu aufgefordert, Lösungen vorzuschlagen oder Übereinkünfte zu treffen.

Akte der Lynchjustiz lassen der Suche nach alternativen Lösungsvorschlägen keinen Raum. Die Dynamik der aufgebrachten Masse zielt in der Regel einzig auf die Vergeltung des (vermeintlichen) Rechtsverstoßes durch Tötung, oder zumindest die Absicht der Tötung der Beschuldigten ab, und dies oftmals in einer brutalen und unmenschlichen Art, die der Folter nahekommt. Im Vergleich dazu zielen Sanktionen oder Resolutionen indigener Rechtsautoritäten darauf ab, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen und so das aus den Fugen geratene Gleichgewicht in der Gemeinde wiederherzustellen. Personen, die einen Schaden angerichtet haben, sollen über ihr Fehlverhalten reflektieren, den Schaden kompensieren, aber auch die Chance erhalten, sich in die Gemeinschaft zu reintegrieren. Sanktionen werden nicht pauschal ausgesprochen, sondern richten sich nach dem Grad des begangenen Rechtsverstoßes. Zu den typischen Sanktionen im indigenen Recht gehören etwa ein öffentliches Gelöbnis der Verhaltensänderung, die Wiedergutmachung eines Schadens durch Gemeindearbeit, Vergütung in Geld oder anderen materiellen Sachleistungen oder körperliche Strafen. Dies können Bäder im kalten Wasser, aber auch Peitschenschläge mit Brennnesseln oder Viehriemen sein. Gerade letztere rufen häufig Kritiker_innen auf den Plan, die solche physischen Strafen als Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit oder als Folter interpretieren. Expert_innen im indigenen Recht argumentieren hingegen, dass diese Praktiken weder darauf abzielen, die Person ihrer Würde zu berauben, noch die Gesundheit der Person ernsthaft aus Spiel zu setzen. Vielmehr heben sie den Aspekt der spirituellen Reinigung der Person hervor, bei welcher der physische Schmerz Teil des Besinnungsprozesses ist.

Zu weiteren wichtigen Unterscheidungsmerkmalen zwischen Lynchjustiz und indigener Jusitz zählt einmal die Tatsache, dass in vielen indigenen Gemeinden die Möglichkeit besteht, sich an eine höhere Instanz zu wenden, etwa die Dachorganisation der ethnischen Gruppe. Diese kann ein Urteil überprüfen und revidieren, wenn sich dieses erste Urteil als fehlerhaft erweist. Zum zweiten können bei indigener Justiz Wiederholungstäter_innen beziehungsweise Personen, die ihre Strafauflagen nicht erfüllen, durch erneute Rechtsverfahren zur Rechenschaft gezogen werden. Oftmals hat das zur Folge, dass die Sanktionen verschärft werden oder mit der Übergabe des Falls an die staatliche Justiz gedroht wird. Im Übrigen orientieren sich auch sehr weit abgelegene indigene Gemeinden zunehmend an den nationalen Normen ihrer Staaten, weshalb Sanktionen wie die Todesstrafe, die früher in einigen Regionen durchaus bei besonders schweren Vergehen angewandt wurde, in den wenigsten Gemeinden noch zum Repertoire der Rechtsausübung gehört. Stattdessen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bei der überwiegenden Mehrheit indigener Gemeinden der Ausstoß aus der Gemeinde, und damit der Verlust der Gemeinderechte und des unmittelbaren sozialen Netzes, zur härtesten Strafe entwickelt.

Ein Punkt, bei dem die Grenzen zwischen Lynchjustiz und indigenem Recht schon eher fließend werden, ist die Frage nach den Orten oder Schauplätzen, an denen diese praktiziert werden. Wo die sozialen Netze einer Gemeinde noch dicht und die eigenen Organisationsstrukturen gut aufgestellt sind, finden wir häufig auch eine effektiv funktionierende und von den Bewohner_innen respektierte Verwaltung der eigenen Justiz vor. Allerdings sind viele ländliche Gemeinden längst von temporärer oder dauerhafter Migration gekennzeichnet. Die jüngere Generation sucht nach besseren Ausbildungsmöglichkeiten in Städten und viele Familien haben neben ihrem Standbein auf dem Land und der dort betriebenen Landwirtschaft längst ein zweites Standbein in urbanen Zonen aufgestellt, um so ihre Einkommensquellen zu diversifizieren. Vor diesem Hintergrund wird es zunehmend schwieriger, stabile Strukturen der Selbstregulierung in ländlichen Gemeinden aufrechtzuerhalten. In Regionen, in denen eigene Organisationsstrukturen geschwächt oder abhanden gekommen sind, aber ebenso in semiurbanen Zonen und städtischen Peripherien, ist Lynchjustiz daher eher anzutreffen. So wie auf dem Land, ist auch in diesen Zonen die Präsenz von Polizei und anderen Ordnungskräften minimal. Diese können oftmals nur machtlos dabei zusehen, wenn Bürger_innen „die Justiz in ihre eigenen Hände“ nehmen.

Konstellationen wie die hier beschriebene, in denen staatliches Recht und indigene Justizformen nebeneinander existieren und sich teilweise überlappen, werden gemeinhin unter dem Stichwort Rechtspluralismus diskutiert. Diese Sphären sind freilich nicht voneinander abgeschottet, sondern stehen meist in unbequemen und konfliktträchtigen Beziehungen zueinander. Die Gewichtung, die Vereinbarkeit der normativen Inhalte, aber auch konkreten Zuständigkeiten für Personengruppen, Sachverhalte und geographische Regionen sind unklar.
Eine wichtige Härteprüfung für indigene Justiz in Lateinamerika bildete der mit dem Kolonialismus einhergehende Einzug kontinentaleuropäischer und christlich geprägter Werte und Ordnungsvorstellungen. Je nach den jeweiligen politischen und ökonomischen Interessenlagen der Herrschenden in bestimmten Regionen wurde indigenes Recht geduldet, gewaltsam unterdrückt oder schlicht ignoriert. Die Aufrechterhaltung indigener Rechtsvorstellungen beziehungsweise Versuche ihrer Neukonstituierung über alle Widrigkeiten hinweg, wird heute von indigenen Bevölkerungsgruppen als eine Form von Resistenz gegen jahrhundertelange Diskriminierung verstanden. Doch hat indigene Justiz nicht nur als kulturelle Praxis überlebt, weil sie von indigenen Gemeinden als legitimer Ausdruck ihrer Selbstbestimmung angesehen wird. Sie bildet auch eine effektive Alternative zum staatlichen Rechtssystem, das in Lateinamerika mit enormen Schwächen beladen ist – hohe Kosten, lange Wartezeiten, bürokratische Verfahren, unangemessene Ausstattung, geringe flächendeckende Präsenz, Korruption und Straflosigkeit – um nur einige zu nennen.

Ohne jeglichen Zweifel ist aber auch indigenes Recht nicht frei von Problemen: Neben den bereits erwähnten körperlichen Strafen, die bisweilen schwer mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit vereinbar sind, sind auch diese Systeme nicht vor Missbrauch der handelnden Autoritäten gefeilt. Weil die Ausübung von Recht in den Händen eines Nachbarn beziehungsweise einer Nachbarin oder gar eines Familienmitglieds liegt, kann von Neutralität gegenüber den Konfliktparteien keine Rede sein. Daneben ist indigene Justiz vielerorts eine männlich dominiere Sphäre, die dazu führt, dass sich Frauen seltener mit ihren Problemen an die Rechtsautoritäten wenden, und wenn sie dies doch tun, sie sich oft mit völlig unangemessenen Urteilen konfrontiert sehen. So kann es durchaus vorkommen, dass die sexuelle Vergewaltigung einer Minderjährigen durch die Abgabe zweier Kühe oder eine Heirat mit dem Vergewaltiger beglichen wird.

Zugleich darf nicht übersehen werden, dass indigene Rechtsordnungen nicht fix und unveränderbar sind, sondern sich vielmehr im Laufe der Zeit weiter entwickelten. Sie passten sich an neu in den Gemeinden auftretende Konflikte und Gegebenheiten an. Dabei eigneten sich die jeweils handelnden Akteure auch Elemente aus dem kolonialen und republikanischen Recht an und verwendeten diese nicht zuletzt zur Legitimierung der eigenen Autorität nach innen und nach außen. Insofern besteht zumindest Grund zu der Annahme, dass indigene Rechtsautoritäten auch heute in der Lage sein sollten, Normgehalte jüngeren Datums in ihre eigene Praxis zu übersetzen, sofern sie zu der Überzeugung gelangen, dass diese dem Gemeinwohl aller dienen könnten.
Mit der rechtlichen Anerkennung indigenen Rechts in vielen lateinamerikanischen Staaten ist ein erster wichtiger Schritt zum Dialog zwischen den verschiedenen Rechtskulturen getan worden. Das klassische Nationalstaatsmodell, das dem Staat ein Monopol auf die Rechtsausübung zusicherte, wurde damit zumindest formell überwunden. Nun aber müssen weitere Schritte folgen. Staatliche Institutionen müssen sich für die Aufnahme normativer Wertvorstellungen indigener Herkunft öffnen. Wichtige Rahmengesetzgebungen wie die nationalen Strafgesetzbücher sollten im Hinblick auf die neue Rechtswirklichkeit reformiert werden. Curricula der Rechtsfakultäten sollten um das Thema indigener Justiz angereichert werden. Bei staatlichen Rechtsverfahren, in denen indigene Personen involviert sind, sollte die Hinzuziehung indigener Rechtsautoritäten oder Rechtsanthropolog_innen Standard werden. Die Koordination zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen sollte zumindest in ihren Grundzügen klar geregelt werden. (Das entsprechende Gesetz in Bolivien ist zwar das erste seiner Art, lässt aber zu viel Raum für Kritik und offene Fragen). Staatlichen und indigenen Rechtsautoritäten sollten Räume für Austausch und die Formulierung von Übereinkünften gegeben werden. Auch indigene Autoritäten sollten sich nicht vor der Verantwortung scheuen, sich auf diesen interkulturellen Dialog einzulassen. Es ist notwendig, dass sie sich über nationale und internationale Rechtsstandards informieren und Veränderungen der eigenen Rechtspraxis dort einleiten, wo die gängigen Normen, Verfahren und Sanktionen nicht mehr zeitgemäß erscheinen und Rechte schwächerer Gemeindemitglieder beeinträchtigen. Und wenn die Medien auch nur einen Teil der Energie und Ressourcen, die sie bislang in die skandalisierte Berichterstattung zu indigener Justiz eingesetzt haben, fortan in einen der eben genannten Bereiche investieren würden, wäre schon viel getan.

 

(Download des gesamten Dossiers)

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