Sergio Ramírez Mercado: “Verbrecher mit Parteiausweis”
“Ich kündige öffentlich und unwiderruflich meine Mitgliedschaft in der FSLN auf. Die Frente Sandinista, der ich mich vor 20 Jahren anschloß, existiert nicht mehr. Sie war eine Partei, die von den höchsten moralischen Prinzipien, von der Hingabe, von der Selbstlosigkeit, von der Bereitschaft, alles zu geben, von der Absage an materielle Güter, von der Verpflichtung zur Wahrheit und von Aufrichtigkeit geleitet wurde. Sie lehnte die Verleumdung, die Gemeinheiten und die Lüge ab.
Meine Frau Tulita war in dieser Verpflichtung immer an meiner Seite und teilte die gleichen Ideale ebenso, wie meine Kinder, die aktiv mitarbeiteten und sich für die Ziele der Revolution einsetzen. Unsere Ideale werden nicht mehr von denen respektiert, die die bürokratische Macht dieser Partei in ihren Händen halten und ihre Radiosender, ihre Zeitungen und ihre Fernsehstationen kontrollieren.
Was ich fühle, ist Ekel
Jetzt sind diese Ideale vergessen oder mißbraucht worden. Sie werden von den offiziellen Kommunikationsmedien der FSLN beschmutzt und mit den Füßen getreten – ohne Konsequenz. Die Ehre der Menschen, die Integrität der Familien, zählt nichts für die, die den moralischen Terrorismus praktizieren. Was ich jetzt fühle, ist Ekel. Es kann nicht sein, daß ich weiter dieser Partei, der ich total ergeben war, angehöre, während von einem Radiosender derselben Partei eine Person, ohne jegliche Moral, meine Familie beschmutzt und sich berechtigt fühlt, meine Tochter María in einer Form anzugreifen, die völlig skrupellos ist.
Dieser Mensch zählt schon viele Unschuldige zu seinen Opfern. Jetzt, mit der Macht bewaffnet, die die höchsten offiziellen Personen dieser Partei ihm gegeben haben, mischt er sich in unsere Intimsphäre ein und versucht, uns zu beschmutzen, wie es ihm gefällt. Und die höchsten offiziellen Autoritäten dieser Partei verhätscheln ihn nicht nur und bestärken ihn in seinem infamen Vorgehen, sondern sie diktieren ihm, was er sagen muß. Von ihren Medien würde ich in großen Schlagzeilen als Verräter bezeichnet. Das sind die Siege, die sie jetzt feiern.
In einem knappen Kommuniqué hat die offizielle Leitung dieser Partei versucht, das Handeln dieser Radiostation herunterzuspielen. Aber der Täter, der dienstfertige Sprecher der Parteioberen, bleibt ungestraft. Das heißt, daß die offiziellen Autoritäten dieser Partei für Verleumdungen, Lügen und Infamie verantwortlich sind. Ebenso sind sie verantwortlich für den schwarzen Auswurf, mit dem die Meinen überschüttet werden. Da sie mich weder zerstören noch beugen konnten, mischen sie sich jetzt in das Heiligste ein, das ich habe, meine Familie. Darum sind meine moralischen Prinzipien und die Haltung derer, die in dieser Partei entscheiden, nicht mehr miteinander vereinbar.
Ich treffe diese Entscheidung heute aus keinem politischen Kalkül. Ich mache es aus Anstand, denn heute fühle ich mich wie nie zuvor meiner ganzen Familie, meiner Tochter und ihrem Ehemann Napoleón nahe, ebenfalls ein Combatiente (Kämpfer). Ich bin im Innersten meines Wesens empört. Diese Partei hat sich mit der Niederträchtigkeit derer verbündet, die nichts respektieren, weder die Ehre noch die Gefühle anderer. Ich kann nicht mehr einer Partei angehören, in der es ungestrafte Verbrecher mit Parteiausweis gibt. Den aufrechten SandinistInnen, die nichts mit dieser Schmutzgeschichte zu tun haben, sage ich: Meine Ideale, die das Erbe Sandinos sind, haben nichts mit dem Mitgliedsausweis zu tun. Der Sandinismus ist ein Gefühl, eine geistige Identifizierung, eine Überzeugung. Diese Überzeugung für ein gerechtes, würdiges und demokratisches Nicaragua werde ich niemals aufkündigen.”