Nicaragua | Nummer 248 - Februar 1995

Sergio Ramírez Mercado: “Verbrecher mit Parteiausweis”

Managua, 9. Januar 1995 Übersetzung: Gerold Schmidt, POONAL

“Ich kündige öffentlich und unwi­derruflich meine Mitgliedschaft in der FSLN auf. Die Frente Sandinista, der ich mich vor 20 Jahren anschloß, exi­stiert nicht mehr. Sie war eine Partei, die von den höchsten moralischen Prinzipien, von der Hingabe, von der Selbst­losigkeit, von der Bereitschaft, alles zu geben, von der Absage an materielle Güter, von der Ver­pflichtung zur Wahrheit und von Aufrich­tigkeit gelei­tet wurde. Sie lehnte die Verleum­dung, die Gemeinheiten und die Lüge ab.
Meine Frau Tulita war in dieser Ver­pflichtung immer an meiner Seite und teilte die gleichen Ideale ebenso, wie meine Kinder, die aktiv mitarbeite­ten und sich für die Ziele der Revolu­tion einset­zen. Unsere Ideale werden nicht mehr von denen respektiert, die die bürokratische Macht dieser Partei in ihren Händen hal­ten und ihre Radio­sender, ihre Zeitungen und ihre Fernsehstationen kontrollieren.
Was ich fühle, ist Ekel
Jetzt sind diese Ideale vergessen oder mißbraucht worden. Sie werden von den offiziellen Kommunikations­me­dien der FSLN beschmutzt und mit den Füßen ge­treten – ohne Konse­quenz. Die Ehre der Menschen, die Inte­grität der Familien, zählt nichts für die, die den moralischen Terrorismus praktizieren. Was ich jetzt fühle, ist Ekel. Es kann nicht sein, daß ich wei­ter dieser Partei, der ich total ergeben war, angehöre, während von einem Radio­sender derselben Partei eine Person, ohne jegliche Moral, meine Familie beschmutzt und sich berechtigt fühlt, meine Tochter María in einer Form anzugreifen, die völ­lig skrupellos ist.
Dieser Mensch zählt schon viele Un­schuldige zu seinen Opfern. Jetzt, mit der Macht bewaffnet, die die höch­sten offi­ziellen Personen dieser Partei ihm gege­ben haben, mischt er sich in unsere Intim­sphäre ein und ver­sucht, uns zu beschmut­zen, wie es ihm gefällt. Und die höchsten offiziel­len Autoritäten dieser Partei verhät­scheln ihn nicht nur und bestärken ihn in seinem infamen Vorgehen, sondern sie diktieren ihm, was er sagen muß. Von ihren Medien würde ich in großen Schlag­zeilen als Verräter bezeichnet. Das sind die Siege, die sie jetzt feiern.
In einem knappen Kommuniqué hat die offizielle Leitung dieser Partei ver­sucht, das Handeln dieser Radio­station herunter­zuspielen. Aber der Täter, der dienstfer­tige Sprecher der Parteiobe­ren, bleibt un­gestraft. Das heißt, daß die offiziellen Autori­täten dieser Partei für Verleumdun­gen, Lü­gen und Infa­mie verantwortlich sind. Ebenso sind sie verantwortlich für den schwar­zen Auswurf, mit dem die Mei­nen über­schüttet werden. Da sie mich we­der zerstören noch beugen konnten, mi­schen sie sich jetzt in das Heiligste ein, das ich habe, meine Familie. Darum sind meine moralischen Prinzi­pien und die Haltung derer, die in dieser Partei ent­scheiden, nicht mehr miteinander verein­bar.
Ich treffe diese Entscheidung heute aus keinem politischen Kalkül. Ich mache es aus Anstand, denn heute fühle ich mich wie nie zuvor meiner ganzen Familie, meiner Tochter und ihrem Ehemann Na­poleón nahe, eben­falls ein Combatiente (Kämpfer). Ich bin im Innersten meines Wesens em­pört. Diese Partei hat sich mit der Nieder­trächtigkeit derer verbündet, die nichts respektieren, weder die Ehre noch die Gefühle anderer. Ich kann nicht mehr einer Partei angehören, in der es unge­strafte Verbrecher mit Partei­ausweis gibt. Den aufrechten Sandi­nistInnen, die nichts mit dieser Schmutz­geschichte zu tun ha­ben, sage ich: Meine Ideale, die das Erbe Sandi­nos sind, haben nichts mit dem Mit­glieds­ausweis zu tun. Der Sandinismus ist ein Gefühl, eine geistige Identifi­zierung, eine Überzeugung. Diese Über­zeugung für ein gerechtes, würdi­ges und demokra­tisches Nicaragua werde ich niemals auf­kündigen.”

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