Honduras | Nummer 451 - Januar 2012

„Sie glauben, ohne Mann ist ihr Leben zu Ende“

In Honduras nimmt die Gewalt gegen Frauen zu

Adalinda Gutiérrez war die erste Frau in ihrer Gemeinde La Marcala, die ihren Mann verklagte, weil dieser sie jahrelang psychisch und körperlich misshandelte. 2007 konnte sie mit Hilfe des Zentrums für Frauenrechte CDM, erreichen, dass ihrem Ehemann Hausverbot erteilt wurde. Seitdem lebt sie allein mit ihren Kindern und kämpft für die Rechte der Frauen in ihrer Gemeinde und gegen das gesellschaftliche Schweigen.

Interview: Anna Schulte

In Honduras nimmt Gewalt gegen Frauen zu. Mittlerweile geht man von einem Frauenmord pro Tag aus, wobei die Dunkelziffer noch höher liegen dürfte. Worin sehen Sie die Ursachen für die Gewalt gegen Frauen in ihrem Land?

Unser Land ist immer noch stark von Machismo und patriarchalen Strukturen geprägt. Der Mann hat das Sagen. Gesellschaftlich ist das so normal, dass viele Frauen es lange ertragen, misshandelt zu werden, weil die glauben, ihr Leben ist sonst zu Ende. Sie können sich oft gar nicht vorstellen, dass eine Frau auch ohne Ehemann leben kann. Zudem schämen sich die Frauen und haben große Angst vor dem Gerede der Leute. Weil viele Frauen obendrein finanziell komplett auf das Einkommen des Mannes angewiesen sind, ist es für die Männer leicht, ihre Frauen klein zu halten.
Als ich 2007 Anklage gegen meinen Mann erhob, war das der erste Fall häuslicher Gewalt in meiner Gemeinde, der vor Gericht kam. Das war sehr schwer für mich, aber es hat dazu geführt, dass sich auch andere Frauen getraut haben, über ihre Erfahrungen zu sprechen und sich gegen Gewalt zu wehren.

Sie selbst hatten auch lange große Angst vor einer Anklage.

Ja, ich hatte sehr große Angst. Und ich habe mich geschämt. Ich habe zehn Jahre lang ertragen, dass mein Mann mich ständig gedemütigt hat. Ich wusste damals auch gar nichts über meine Rechte. Erst durch das Zentrum für Frauenrechte habe ich etwas über die bestehenden Gesetze gelernt. Dort hat man mir geholfen, juristisch gegen meinen Mann vorzugehen.

Wie ist denn die Gesetzeslage in Honduras bezüglich häuslicher Gewalt?

Seit 1997 gibt es das „Gesetz gegen häusliche Gewalt“. Es differenziert unterschiedliche Formen der Gewalt – psychische, physische und Gewalt gegen die Eigentumsrechte der Frauen. Das Gesetz sieht dann entsprechende Strafen vor. Allerdings ist es häufig so, dass sich die Behörden auf die Seite der Täter stellen und die Frauen darin behindern, gegen den Mann vorzugehen statt sie zu schützen.

Welche Strafe hat denn Ihr Mann bekommen?

Mein Mann hätte eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren bekommen können, aber das wollte ich nicht. Für mich war es das wichtigste, dass er Hausverbot bekommt. Oft argumentieren die Männer vor dem Richter, dass sie als Haupternährer der Familie im Haus verbleiben wollen und Abstand von ihrer Frau halten, indem sie in einem separaten Zimmer leben. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Deshalb war mir das Hausverbot am wichtigsten und für ihn wohl die schlimmste Strafe. Außerdem musste er ein halbes Jahr lang jede Woche den öffentlichen Park fegen. Das ist für die Männer schlimm, denn alle sehen: Der, der dort fegt, hat seine Frau geschlagen.
Dennoch, die Gesetze in Honduras sind nicht ausreichend und Frauenorganisationen fordern seit langem Verbesserungen. Zum Beispiel ist die Gesetzeslage vollkommen unzureichend, wenn es darum geht, dass der Mann Alimente für die Familie zahlt.

Seit dem Putsch 2009 hat die Gewalt in Honduras extrem zugenommen. Ist von der aktuellen Regierung zu erwarten, dass sie den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen aktiv unterstützt?

Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil, seit dem Putsch 2009 ist die Gesellschaft allgemein gewalttätiger geworden. Der Staat geht sehr repressiv gegen diejenigen vor, die sich im Widerstand organisieren (siehe auch LN 442). Auch Gewalt gegen Frauen hat in den letzten zwei Jahren stark zugenommen, immer mehr Frauen werden umgebracht. Ich glaube, dass das auch mit daran liegt, dass sich viele Frauen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch angeschlossen haben. Dadurch haben die Frauen mehr politisches Bewusstsein bekommen und das führt leider häufig dazu, dass die Männer aggressiver werden. Wenn Frauen ihre Rechte besser kennen und eigenständiger werden, sehen die Männer das oft als Bedrohung und reagieren mit Gewalt.

Wie gehen Männer in ihrer Gemeinde denn mit Frauen wie Ihnen um, die andere dazu ermutigen, sich zu wehren?

Wir gehen sehr vorsichtig vor. Wir versuchen Informationen weiterzugeben, aber ohne dass erkennbar ist, aus welcher Quelle die Information kommt. Trotzdem ist es nicht immer ungefährlich. Neulich zum Beispiel hat eine Frau ihren Mann anzeigen wollen – wir haben ihr im Frauenzentrum erklärt, wohin sie da gehen muss. Allerdings haben wir sie nicht direkt bis ins Polizeizimmer begleitet, sondern sie nur im Vorfeld über ihre Rechte aufgeklärt. Bei der Anhörung hat die Frau alle Aussagen revidiert und uns namentlich beschuldigt, wir hätten sie zu dieser Anzeige gedrängt. Wir nehmen dieser Frau ihr Verhalten nicht übel. Ich vermute, sie hängt in ihrem inneren Trauma fest. Das ging mir ja selbst auch lange so. Aber als der Mann uns wegen Verleumdung anzeigte und uns drohte, sich zu rächen, da bekamen wir schon ein bisschen Angst. Aber heute kennen wir unsere Rechte. Wir haben ihm mit einer Gegenanzeige geantwortet.

Sie engagieren sich auch in der katholischen Kirche. Ist das nicht ein Widerspruch? Die katholische Kirche steht ja nicht immer an der Seite der Frauen und ist sehr patriarchal strukturiert.

Das stimmt schon. Ich bin jedoch ein sehr gläubiger Mensch und habe selbst auch nur gute Erfahrungen gemacht. Bevor ich meinen Mann angezeigt habe, hatte ich sehr große Angst, dass ich nach einer Trennung aus der Kirche ausgeschossen werden könnte. Der Priester unserer Gemeinde hat mich immer unterstützt, auch als ich meinen Mann angeklagt habe. Er hat mir auch erlaubt, in Versammlungen und sogar in der Messe das Thema Gewalt gegen Frauen öffentlich anzusprechen. Das ist sehr fortschrittlich. Allerdings ist unsere Gemeinde und unser Priester da wohl eine große Ausnahme. Ich kenne viele Frauen in anderen Gemeinden, die darüber klagen, dass sie keinerlei Unterstützung in ihrer Arbeit erfahren und im Gegenteil sogar darin behindert werden.

Infokasten Person:

Adalinda Gutiérrez war im Rahmen einer Rundreise der Christlichen Initiative Romero (CIR) im November 2011 in Deutschland. Mit der Kampagne „Frauenstimmen gegen Gewalt“ leistet die CIR einen wichtigen Beitrag, um in Europa auf die Situation von Frauen in Zentralamerika aufmerksam zu machen. Mehr Informationen zur Kampagne: www.ci-romero.de/frauenstimmen_gegen_gewalt

Infokasten Film:

Jetzt habe ich eine Stimme

Eine neuer Film der Christlichen Intitiative Romero (CIR) zeigt eindrucksvoll, wie sich Frauen in Nicaragua im Kampf gegen Gewalt engagieren. Die Weltgesundheitsorgansation (WHO) bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken weltweit. Auch in Nicaragua sehen sich Frauen tagtäglich nicht nur körperlicher sondern auch psychischer und ökonomischer Gewalt ausgesetzt. Jede dritte Frau hat bereits körperliche Gewalt durch ihren Partner oder Ehemann erfahren. Mädchen unter 18 Jahren werden zudem besonders häufig Opfer von sexuellem Missbrauch – meist durch den eigenen Vater, Stiefvater oder einen anderen Mann ihres näheren Umfelds. 2010 waren fast die Hälfte der Vergewaltigungsopfer jünger als 14 Jahre. Doch statt die Mädchen und Frauen zu schützen, tut der Staat nichts, um ihre Rechte zu stärken. Im Gegenteil: Seit 2007 ist jede Form der Abtreibung in Nicaragua strafbar (auch wenn sie Folge einer Vergewaltigung ist oder das schwangere Mädchen selbst noch ein Kind ist). Gesellschaftlich wird den Frauen meist die Schuld zugewiesen und auch durch Polizei und Justiz erfahren sie in vielen Fällen eher zusätzliche Diskriminierung als Gerechtigkeit.
Doch die Frauen in Nicaragua wehren sich und fassen immer häufiger den Mut, offen über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen und sich sowohl gegen die Männer als auch gegen das ungerechte Justizsystem zu wehren. Dabei werden sie von Frauenorganisationen psychologisch und juristisch unterstützt.
Der Dokumentarfilm Jetzt habe ich eine Stimme ergründet in fünf Episoden die Ursachen und Folgen der Gewalt an Frauen. Mareike und Swantje Fehling haben Frauen aus unterschiedlichen Regionen und Organisationen Nicaraguas begleitet und filmisch festgehalten, wie sich das Leben ändern kann, wenn Frauen in ihren Rechten und ihrem Selbstwertgefühl gestärkt werden. Gleichzeitig macht der Film aber auch deutlich, wie tief die Angst vor den Tätern bei vielen Frauen sitzt und wie schwer es ist, die tradierten Rollenbilder der machistischen Gesellschaft Nicaraguas zu durchbrechen.
Damit die Regierung Nicaraguas endlich ihrer Verantwortung nachkommt, ist internationale Aufmerksamkeit eine wichtige Hilfe für die Organisationen in Nicaragua und anderen Ländern Mittelamerikas. Dazu leistet die CIR-Kampagne „Frauenstimmen gegen Gewalt“ einen wichtigen Beitrag.

// Anna Schulte

Jetzt habe ich eine Stimme // Mareike Fehling und Swantje Fehling // 42 Min. // Für 6 Euro zu bestellen bei: www.ci-romero.de

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