Kolumbien | Nummer 411/412 - Sept./Okt. 2008

„Sie wissen, dass sie nichts zu befürchten haben”

Interview mit der kolumbianischen Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe

Liliana Uribe, Mitbegründerin des Anwältinnen- und Anwaltsbüros Corporación Jurídica Libertad (CJL) in Medellín, spricht über militärische Verbrechen an der Zivilbevölkerung und über den Kampf der Menschenrechtsorganisationen um eine Bestrafung der Täter. Die CJL berät in der Provinz Antioquia seit 15 Jahren Vertriebene sowie indigene und afrokolumbianische Gemeinden und führt Schulungen zum Thema Menschenrechte durch.

Olga Burkert, Nana Heidhues

Ihre Organisation klagt an, dass die Zahl der von staatlichen Akteuren begangenen Verbrechen stark angestiegen ist, seit Präsident Uribe an der Macht ist. Was steckt dahinter?

Uribe übt sehr starken Druck auf das Militär aus, Erfolge im Kampf gegen die Guerilla zu präsentieren. Dem Militär wurde seitdem sehr viel Macht verliehen. Es war eines von Uribes Wahlversprechen, in seinen ersten zwei Amtsjahren die Guerilla zu besiegen. Und so muss er nun Resultate präsentieren. Die Anzahl der Verbrechen, die direkt vom Militär begangen werden, hat seitdem zugenommen. Das ist eine Realität. Es gab sogar ein präsidentielles Dekret, das den Militärs „ökonomische Anreize“ versprach, wenn sie einen Guerillero verhaften oder töten. Und so steigt die Zahl der außergerichtlichen Hinrichtungen weiter an.

Was genau ist eine außergerichtliche Hinrichtung?

Außergerichtliche Hinrichtungen werden von staatlichen Akteuren verübt, meistens von Angehörigen der Armee. Die Soldaten nehmen gezielt Menschen fest, foltern sie und bringen sie anschließend um. Danach tauchen die Leichen meist an anderen Orten auf und werden vom Militär als im Gefecht gefallene Guerilleros, also als Erfolg des Militärs im Kampf gegen die Guerilla präsentiert. So ein vorsätzlicher Mord wird im Internationalen Recht als ‚außergerichtliche Hinrichtung‘ bezeichnet und ist ein internationales Verbrechen.
Das Militär spricht von rund 13.000 im Gefecht getöteten Guerilleros und Paramilitärs in den vergangenen Jahren. Unsere Untersuchungen ergeben hingegen, dass von dieser offiziellen Zahl 1.300 Fälle außergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen sind. Das bedeutet, dass ein Zehntel der Personen, die im Gefecht getötet wurden, keine Guerilleros sind, sondern Personen aus der Zivilbevölkerung. Und wir glauben, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist.

Und wie gehen die Militärs bei diesen Hinrichtungen vor?

Alle Einheiten der Armee gehen auf die gleiche Art und Weise vor: Es wird ein Gefecht mit der Guerilla simuliert, um den Tod der Personen hinterher zu rechtfertigen. Die Leute werden oft in ihren Häusern oder bei der Arbeit verhaftet. Viele werden vor den Augen ihrer Kinder, Frauen und Verwandten entführt. Es gibt also zahlreiche Zeugen. Es gibt sogar Fälle, in denen den Toten typische Guerilla-Kleidung angezogen wurde. Häufig ist es ganz offensichtlich, dass dies nicht die wirkliche Kleidung der Opfer ist, wenn sie zu klein ist oder Zeugen bestätigen, dass die Getöteten bei der Entführung andere Kleider trugen. Oder die Hemden haben keine Einschusslöcher, obwohl die Körper zahlreiche Schussverletzungen aufweisen. Manchmal werden den Leichen auch Waffen, Munition, Bomben oder Propagandamaterial umgehängt.

Wie kommt es, dass die Militärs so offensichtlich vorgehen, ohne sich und ihre Taten zu verstecken?

Sie wissen, dass die Fälle hinterher von der Militärjustiz behandelt werden und sie daher keine Konsequenzen zu fürchten haben. Die Richter der Militärjustiz kümmern sich nicht um die Aufklärung der Fälle, sie vernehmen keine Zeugen, die die Verhaftung beobachtet haben. Außerdem werden die Leichen als N.N. präsentiert. Den Ermordeten wird der Personalausweis weggenommen und so bleiben sie anonym. Es gibt eine ganze Reihe von Mechanismen, die die Straflosigkeit der Täter sichern und ihnen garantieren, dass sie nicht verurteilt werden. So können sie einfach weitermachen und außergerichtlich Menschen umbringen.

Und bisher wurde noch nie einer der Verantwortlichen verurteilt?

In den Fällen, die vor der Militärjustiz verhandelt wurden, noch nie. In keinem einzigen Fall. Alle Fälle wurden ohne Urteilsspruch zu den Akten gelegt. In den Fällen, die wir dokumentiert haben und die vor ein ziviles Gericht gingen, gab es nur dreimal einen Urteilsspruch. Bei zwei Fällen war dieser auf den enormen Druck aus der Gesellschaft zurückzuführen. In dem einem Fall wurden drei Gewerkschafter aus Arauca mitten in der Nacht in ihren eigenen Häusern von Militärs ermordet. Danach wurden die Körper weggeschafft und als man sie fand, hieß es, sie seien in einem Gefecht mit der Guerilla getötet worden. Die Familienangehörigen strengten einen Prozess an und konnten beweisen, dass die drei zu Hause ermordet worden waren. In dem anderen Fall wurde in in der ländlichen Gemeinde Sonsón im Departement Antioquia ein Bauer ermordet. Sie ließen seine Leiche die ganze Nacht neben seinem Kind auf dem Feld liegen. Später zwangen sie den Sohn, zu behaupten, sein Vater sei Guerillero gewesen und im Gefecht gestorben. Zum Glück gelangte dieser Fall vor ein ziviles Gericht und es konnte bewiesen werden, dass es kein Gefecht gegeben hatte, sondern der Mann von der Armee ermordet wurde. Drei Militärs wurden zu 37 Jahren Gefängnis verurteilt.

Und sitzen sie auch im Gefängnis? Denn oft passiert es ja, dass es Urteile gibt, die Verurteilten ihre Strafe aber nicht absitzen.

Ja, das passiert oft, vor allem bei Angehörigen des Militärs. In diesem Fall aber mussten die Verurteilten ins Gefängnis. Meistens jedoch werden die Soldaten direkt in ihren Kasernen inhaftiert, was im Grunde bedeutet, dass sie in Freiheit bleiben. Wenn also die Militärs durch die eigene Justiz verurteilt werden und ihre Strafen in den Militärgefängnissen ‚absitzen‘, ist es nur sehr schwer zu erreichen, dass ihnen jemals ein Sinn für Gerechtigkeit, für eine gerechte Justiz und für die Gesetze in diesem Land vermittelt wird.

Sind auch Paramilitärs an den außergerichtlichen Hinrichtungen beteiligt?
Nein, die Hinrichtungen werden nur von Angehörigen der Armee verübt. Der Unterschied zu Verbrechen der Paramilitärs ist, dass die Militärs es so aussehen lassen, als ob sie erfolgreich die Guerilla bekämpfen. Wir nennen das ‚falsos positivos‘, also gefälschte Erfolge. Und da es ihre Erfolge sein sollen, brauchen sie dafür keine Paramilitärs. Die ‚Erfolge‘ werden nur dann für falsch erklärt, wenn wir Anzeige erstatten und Beweise dafür präsentieren, dass es sich um eine außergerichtliche Hinrichtung handelte. Deswegen gehen wir auch davon aus, dass es noch viel mehr Fälle gibt. Aber wir beobachten auch eine Veränderung. Die Militärs wissen mittlerweile, dass die außergerichtlichen Hinrichtungen hohe politische Kosten haben. Es ist schwieriger für sie geworden, einen bekannten Aktivisten der sozialen Bewegungen umzubringen und einfach zu behaupten, er sei von der Guerilla. Daher agieren sie nicht mehr so dreist offensichtlich, ohne sich um Zeugen zu scheren, sondern eher versteckt. Sie bringen weiter Leute um, aber sie bezeichnen die Ermordeten nicht mehr als Guerilleros. Das macht es für uns viel schwieriger, zu beweisen, dass es Armeeangehörige waren, die den Mord verübt haben.

Sie klagen diese Verbrechen seit vielen Jahren an. Wie reagiert die Regierung darauf?

Auf die immer gleiche Weise: Sie versucht uns als Unterstützer der Guerilla zu stigmatisieren.

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