Nummer 465 - März 2013 | Theater

Sind wir nicht alle ein bisschen Malandro?

Die Ópera do Malandro von Chico Buarque de Hollanda wurde erstmals ins Deutsche übersetzt und aktualisiert

Thilo F. Papacek

Es ist ein großer Spaß. Die Ópera do Malandro (in etwa: die „Gauneroper“) ist nun erstmals auf Deutsch zu sehen. 1978 wurde die Oper von der brasilianischen Musiklegende Chico Buarque de Hollanda erstmals aufgeführt. Es sollte eine brasilianische Version der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill sein, und tatsächlich wird immer wieder der Haifisch mit den Zähnen musikalisch zitiert. Nun wurde sie auf Deutsch bearbeitet und von der Neuköllner Oper in Berlin in dieser Version uraufgeführt.
Die Geschichte spielt im Rio de Janeiro der 1940er Jahre, am Ende der Diktatur von Gétulio Vargas. Brasilien boomte auf Grund des Rohstoffverbrauchs im Zweiten Weltkrieg und die Gesellschaft veränderte sich. Die Ópera do Malandro verfolgt dabei die Geschichte von einigen undurchsichtigen Gaunern und Bordellbesitzern im Rotlichtviertel Lapa. Sie versuchen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und ihren eigenen Vorteil zu sichern. Insbesondere der Bordellbesitzer Duran gerät dabei mit dem europäischen Schmugglerboss Max Overseas aneinander. Doch in einer verzerrten Romeo-und-Julia-Konstellation heiratet Durans Tochter Teresinha ausgerechnet eben jenen Schmugglerboss. Am Ende scheint alles den Bach hinunterzugehen; Figuren, die dem Publikum ans Herz gewachsen sind, sterben plötzlich. Das heitere Treiben der Malandros, der Gauner, hat ein Ende, sie landen im Gefängnis.
Doch halt, das will doch keiner sehen! Vermeintlich wird das Publikum direkt gefragt: Ein Happy End soll her? Also gut! Statt Mord und Totschlag wird fusioniert und der korrupte Polizeichef Chaves fungiert als „Schlüssel“ für das Tor in die legale Wirtschaft. Alle sind zufrieden und so endet alles im Samba.
Die Geschichte wird mit viel Witz und Lokalkolorit erzählt. Man könnte den Vorwurf machen, das Stück bediene gängige Klischees über Brasilien. Dies wäre aber nicht richtig, denn die romantisierende Hommage an das alte Rio, als es noch Hauptstadt war, ist bereits bei Buarque angelegt und auch ironisch durchbrochen. Klischees werden aufgegriffen, aber nicht unbedingt nur reproduziert, sondern auch kommentiert. Hier zeigt sich die Inszenierung von Lilli-Hannah Hoepner als werktreue Übertragung ins Deutsche.
Überhaupt ist die Übersetzung des Werkes sehr gut gelungen. Einzelne Passagen und die meisten Liedtexte bleiben Portugiesisch und werden durch Obertitel für Nicht-Lusophone verständlich. Dadurch bleibt der oft unübersetzbare Wortwirtz besser erhalten. Trotzdem ist der größte Teil auf Deutsch, was das Stück fürs hiesige Publikum zugänglicher macht.
Doch so sehr das Stück auch in den kollektiven Erinnerungen an ein vergangenes Rio de Janeiro schwelgt, behandelt es doch ein universelles Thema. Die Ópera do Malandro untersucht die großen und kleinen Gaunereien, die die Menschen so begehen, um ihren Egoismus zu befriedigen. Die Oper ist eine Hommage an die Malandros, die Trickster_innen und Gauner_innen der Sambakultur, die so sehr zur kulturellen Identität Rio de Janeiros gehören. Doch letztlich wird der Trickster ausgetrickst, der Malandro dekonstruiert. Es wird deutlich, dass der kleine Gauner gar nicht so schlau ist, wenn er an die großen Gauner gerät. Letztlich sind alle, wenn sie ihren kleinen Vorteil suchen, ein bisschen Malandro. Ein Thema, dass schon ein anderer großer carioca, der Romancier Machado de Assis, in seinen Werken behandelte. Am Rande werden auch andere Themen wie die überall präsente Homophobie und Gewalt gegen Frauen aufgegriffen.
Aber das Stück wurde auch aktualisiert: Es ist nicht mehr der Boom der Nachkriegszeit, der die Welt der Gauner in Bewegung bringt. Nun ist es die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft, die als Zeichen für den ökonomischen Umbruch zitiert wird, das zeigt, wofür das B bei der Ländergruppe der BRIC-Staaten steht. (Was durchaus zu der Originalgeschichte passt: Die erste Weltmeisterschaft in Rio de Janeiro 1950 war ja auch schon Ausdruck eines gewachsenen Selbstvertrauens). Dies wurde ausgezeichnet durchgeführt – und so ist die Ópera do Malandro auch 35 Jahre nach der ersten Aufführung noch aktuell und politisch, und dennoch unterhaltsam.
Unterhaltsam ist sie insbesondere auch wegen der großartigen Musik. Wer der Música Popular Brasileira und dem Samba verfallen ist, kommt alleine wegen der großartigen Instrumentalist_innen und Sänger_innen voll auf ihre_seine Kosten. Die deutsch-brasilianische Schauspieler_innengruppe versteht es wunderbar, die Geschichte in zwei Sprachen zu präsentieren, was alleine schon eine meisterhafte Leistung ist. Die Ópera do Malandro ist ein großer Spaß.

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