Nummer 270 - Dezember 1996 | Panama

Singapur als Vorbild

Panama setzt auf einen Boom im Dienstleistungssektor

Die Geschichte Panamas ist eng verwoben mit seiner Lage im Isthmus des amerikanischen Kontinents. Jahrhundertelang durchquerten Menschen und Waren auf weltumspannenden Handelsrouten das Gebiet. Sie erzeugten Boomphasen und ließen, sobald diese wieder abflauten, Stagnation und Armut zurück. Auch nach seiner staatlichen Unabhängigkeit 1903 war das Schicksal Panamas eng mit globalen Entwicklungen verknüpft. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Kanal. An ihm und um ihn herum hängen auch die Hoffnungen für die Zukunft.

Jürgen Weller

Der Dienstleistungsstandort Panama ist gekennzeichnet durch: den Kanal, die Freihandelszone in Colón (ein Umschlagplatz für Waren, die nach ganz Lateinamerika reexportiert werden), das internationale Bankzentrum (mit dem zusätzlich zu Menschen und Waren Kapital in und über Panama bewegt wird) sowie die Ölpipeline vom Atlantik zum Pazifik, Briefkastenfirmen und Billigflaggen.
Heute versuchen die führenden Kräfte des Landes, an der im Zuge der Globalisierung zunehmenden Bewegung von Waren und Kapital teilzuhaben und verstärkt von ihr zu profitieren. Sie glauben, daß der Welthandel weiter expandieren wird, vor allem als Folge des Exportwachstums asiatischer Länder wie China und Indien. Das dürfte den Transport durch den Kanal erhöhen. Panama würde davon auch als Warenumschlagplatz profitieren. Dem Bankenzentrum soll die Intensivierung der Kapitalströme zugute kommen. Zusätzlich wird eine Strategie propagiert, die den Nutzen speziell des Kanals und der Kanalzone für das Land verstärken soll, indem ihr Enklavencharakter begrenzt wird.
Der Kontext ist in der Tat historisch: Wie in den Torrijos-Carter-Verträgen vorgesehen, wird der Kanal und die sich auf beiden Seiten anschließende etwa acht Kilometer breite Kanalzone, die ebenfalls Hoheitsgebiet der USA ist, am 31. Dezember 1999 um 12 Uhr mittags von Panama übernommen. Gleichzeitig soll vertragsgemäß die Übergabe der US-Militärbasen in der Kanalzone abgeschlossen sein.

Der Kanal geht in die Hände Panamas über

Gegenwärtig bringt der Kanal Panama jährlich etwa 100 Millionen US-Dollar in Form der der Royalties ein, die an die Kanalkommission gezahlt werden müssen. Außerdem kommen noch die Löhne für die etwa 8000 panamaischen Beschäftigten hinzu. Im Mai und August dieses Jahres fanden unter Schirmherrschaft der UNO zwei nationale Konferenzen mit RepräsentantInnen von Regierung, Parteien und der Zivilgesellschaft statt – Titel: “Panamá 2000” -, auf denen die Übernahme des Kanals als nationale Aufgabe definiert und die Erfordernisse bezüglich der gesellschaftlichen Entwicklung diskutiert wurden. Damit sollte ein gesellschaftlicher Konsens erzielt werden, unter anderem, um den Kanal aus den politischen und sozialen Konflikten herauszuhalten.
Für 1997 ist eine hochrangige internationale Konferenz über die zukünftige Nutzung des Kanals geplant. Mit ihr will die panamaische Regierung auch möglichen Befürchtungen über eine ineffiziente Verwaltung nach dem Jahre 1999 entgegentreten; diese waren aufgrund des heruntergekommenen Zustandes vieler bereits von Panama übernommener Gebäude entstanden.
Zwischenzeitlich soll der Transit durch den Kanal mittels der gegenwärtig stattfindenden Erweiterung der schmalsten Stelle, Gaillard Cut oder Corte de Culebra genannt, beschleunigt werden. Da Schiffe, deren Ausmaße die für eine Kanaldurchquerung mögliche Maximalgröße überschreiten, zahlenmäßig im Seeverkehr immer mehr zunehmen, wird jetzt der Bau einer größeren, dritten Schleusenstufe befürwortet. Als Baubeginn werden die Jahre 2000, 2005 oder 2010 gehandelt.
Außerdem werden andere Transitwege ausgebaut, so eine neue Autobahn zwischen Panama-Stadt und Colón und die aus dem 19. Jahrhundert stammende transisthmische Bahnlinie, die reaktiviert werden soll. Schließlich sollen bestehende Häfen modernisiert und neue für Containerfrachtschiffe gebaut werden.

Was wird aus den US-Militärbasen?

Nach einer Studie panamaischer Wirtschaftswissenschaftler bringen die noch bestehenden US-Militärbasen Panama jährlich etwa 180 Mio. US-Dollar ein – vor allem über den Ankauf von Waren und Dienstleistungen (154 Millionen US Dollar) und die Lohn- und Gehaltszahlungen an die etwa 3500 panamaischen Zivilbeschäftigten (25 Millionen US Dollar). Aus diesem Grunde werden in Panama die Stimmen immer lauter, die einen Verbleib der Basen befürworten. Nach einigen Umfragen ist es sogar die Mehrheit.
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es auch in den USA Stimmen, die sich gegen einen vollständigen Rückzug wenden. Auf Initiative des Senators Helms forderte der Senat die Regierung auf, den Torrijos-Carter-Verträge neu zu verhandeln. Zur Begründung wird die strategische Bedeutung der Basen bei der Kontrolle des Drogenhandels genannt. Um zunächst eine einheitliche Position der verschiedenen US-Behörden zu formulieren und damit in spätere Verhandlungen zu gehen, wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Ihr Vorsitzender ist John Negroponte, der als US-Botschafter in Honduras während der Reagan-Administration eine wichtige Rolle bei der Organisation des Contra-Krieges gegen Nicaragua spielte. Später, als Botschafter auf den Philippinen, war er an den Verhandlungen um die Schließung der dortigen US-Basen beteiligt.
Der offizielle panamaische Standpunkt ist, daß der Torrijos-Carter-Vertrag erfüllt werden müsse. Allerdings wäre es denkbar, daß einige Basen unter neuen Konditionen erhalten bleiben. Dazu zählt vor allem die Zahlung von Miete für ihre Nutzung, welche die US-Regierung allerdings ablehnt. Außerdem hat Präsident Pérez Balladares den Ländern der Rio-Gruppe vorgeschlagen, nach der Übergabe der Luftwaffenbasis Fort Howard dort ein multinationales Anti-Drogenzentrum einzurichten. Bereits seit 1992 entfaltet das US-Militär dort Anti-Drogenaktivitäten, zum Beispiel kontrollieren AWACS-Flugzeuge den Flugverkehr in der Region.
Verbindungsoffiziere aus Kolumbien, Peru und Venezuela sorgen dafür, daß die Anti-Drogenpolitik schon heute international bestückt ist. Die Fortführung des Anti-Drogenzentrums wäre ein Erfolg der umstrittenen US-Strategie, den lateinamerikanischen Militärs die Drogenbekämpfung als neue zentrale Aufgabe schmackhaft zu machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der ehemalige Befehlshaber des Südkommandos in Panama, Barry McCaffrey, jetzt oberster Drogenbekämpfer unter der Regierung Clinton. Noch sträuben sich allerdings viele lateinamerikanische Militärs gegen diese neue Funktion.
Die wirtschaftlichen Motive machen die panamaische Regierung verhandlungsbereit. Informelle Gespräche sollen bereits stattgefunden haben. Mit der Ernennung eines Unterhändlers auf panamaischer Seite ist in nächster Zeit zu rechnen. Vermutlich wird es darauf hinauslaufen, daß zwei bis drei Basen mit Kommunikations- und Überwachungsfunktionen erhalten bleiben.
Der Wert des vom US-Militär zu übergebenden Bodens samt Liegenschaften wird auf 4,6 Millarden US-Dollar geschätzt, eine angemessene Nutzung vorausgesetzt. Um die Verwertung der ehemaligen Kanalzone zu organisieren, wurde die Autoridad de la Región Interoceánica (ARI) gegründet, an deren Spitze der panamaische Ex-Präsident Nicolás Ardito Barletta steht. Ihre Strategie stützt sich zunächst auf Verbesserung der Transitwege und stärkere Verflechtung der panamaischen Wirtschaft mit der internationalen Schiffahrt, zum Beispiel durch den Verkauf von Treibstoff und Lebensmitteln sowie Reparaturleistungen. Außerdem sind drei weitere Pfeiler vorgesehen.

Pläne für ein Singapur am Kanal

Pfeiler eins: In freien Produktionszonen an den Kanalausgängen sollen maquila-Betriebe angesiedelt werden, deren Standortvorteil die verkehrsgünstige Lage ist. In der ehemaligen Militärbasis Fort Davis wurde – mit taiwanesischen Geldern – bereits mit dem Bau eines Industrieparks begonnen.
Pfeiler zwei: Die “feineren” Gegenden der Militärbasen, wie Viertel der Offiziersfamilien, sollen einem “gehobenen” Tourismus dienen, etwa als Anlaufpunkt für Kreuzfahrten. Es wird auch an “Öko-Tourismus” in den Nationalparks gedacht, die zur Stabilisierung des Wasserhaushalts um den Kanal liegen.
Pfeiler drei: Nach dem Vorbild des seit langem in Panama ansässigen Smithsonian-Instituts sollen Forschungseinrichtungen und eine internationale Universität Tropenforschung betreiben. Unternehmen sollen sich in Panama mit der Erfassung des genetischen Reichtums der Region beschäftigen.
Als Vorbild für die angestrebte wachstumsintensive Integration gilt der Stadtstaat Singapur. Ganz im Zuge der globalen Tendenzen wird in der Privatwirtschaft der treibende Akteur gesehen. Nachdem die “Post-Invasions-Regierung” Endara mit ihren Liberalisierungs- und Privatisierungsplänen nicht sehr weit kam, ist es ironischerweise die vom General Torrijos gegründete PRD unter dem Präsidenten Ernesto Pérez Balladares, die die gleiche Strategie offensichtlich erfolgreicher verfolgt. Die Hauptkandidaten für die Privatisierung sind die Häfen und die staatlichen Telekommunikations- und Strommonopole.
Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation und einem, wenn auch graduellen, Zollabbau sollen auch die Landwirtschaft und die Industrie verstärkt in den Weltmarkt eingebunden werden. Sie sollen sich auf den Export orientieren, am besten in Verbindung mit ausländischem Kapital. Beide Sektoren erwirtschaften einschließlich der Bauwirtschaft lediglich etwa ein Viertel des Bruttosozialprodukts, stellen jedoch knapp 40 Prozent der Arbeitsplätze.
Die Globalisierung und der Vormarsch der Dienstleistungen in der Weltwirtschaft bieten der Wirtschaft Panamas neue Chancen. Mit dem Ausbau und der Diversifizierung der Transitfunktion wird Panama wohl auch gegenüber möglichen Konkurrenten (zumindest in Mexiko, Honduras, Nicaragua und Costa Rica wird hin und wieder vom Bau transisthmischer Bahn- oder Straßenverbindungen gesprochen, die einen Teil der über Panama laufenden Transporte abschöpfen sollen) seine Position behaupten können. Eine stärkere Verflechtung mit den Transitaktivitäten würde die nationale Wertschöpfung steigern.
Die aktuelle Strategie zur Wahrnehmung dieser Chancen trifft allerdings auch auf Unwägbarkeiten. So stagnierten in den letzten Jahren trotz wachsenden Verkehrs die Investitionen zur Instandhaltung des Kanals. Dies könnte bedeuten, daß die Investitionen, die nach der Übergabe des Kanals fällig sind, deutlich höher sein müssen als erwartet. Außerdem erhöht der Ausbau des Kanals seinen Wasserbedarf drastisch. Schon bei den alten Schleusen “kostet” eine Kanaldurchquerung etwa 200 Millionen Liter Süßwasser. Der Kanals ist jetzt schon sehr sensibel gegenüber Klimaschwankungen, die kaum allein durch die Wiederaufforstungsprojekte und die Verhinderung der Abholzung in seiner unmittelbaren Umgebung kontrolliert werden können.
Andere bereits bestehende Pfeiler des Dienstleistungszentrums Panama, wie die Freihandelszone in Colón und das internationale Bankenzentrum, sind von den Globalisierungstendenzen eher negativ betroffen. Das Gewicht der Freihandelszone, in der etwa 13.000 Menschen arbeiten, wird wohl trotz expandierenden regionalen Handels eher abnehmen. Gründe sind die generellen Liberalisierung des Aussenhandels, die Verbilligung des Transportes, die Umstellung von Firmenstrategien (“just-in-time”) und die wachsenden Konkurrenz durch ähnliche Einrichtungen in anderen Ländern. Auch das Bankenzentrum unterliegt verschärfter Konkurrenz und hat – von der Krise 1988/89 schwer getroffen – bis 1995 nicht wieder das Aktivitätsniveau von Mitte der achtziger Jahre erreicht.
Wichtiger ist jedoch die Frage, welches die sozialen Folgen des “Modells Singapur” sind. Panama liegt in der Ungleichheit der Einkommensverteilung in Lateinamerika mit an der Spitze, was zum Teil am Nebeneinander von lukrativen, aber wenig arbeitsintensiven Tätigkeiten und solchen mit niedriger Produktivität und niedrigem Arbeitseinkommen liegt. Die offizielle Strategie hat kein Rezept für die Teile Panamas, die in der den Kanal umschließenden Zentralregion (Provinzen Panamá und Colón) liegen. Das Original-Singapur hatte auch keines, hatte es allerdings auch nicht nötig. In Panama leben jedoch etwa 40 Prozent der Bevölkerung in diesen Regionen.
Aber auch für die Bevölkerung der Zentralregion sind die Aussichten nicht uneingeschränkt rosig. Die Zollsenkungen dürften zumindest kurzfristig Produktionsrückgänge und Arbeitsplatzverluste in der Industrie bewirken. Es bleibt abzuwarten, ob die maquila-Industrie die versprochenen Arbeitsplätze schafft. Bei dem in regionalem Vergleich relativ hohen Lohnniveau müßte die Konkurrenzfähigkeit über die Qualifizierung der Beschäftigten und eine effiziente Infrastruktur gesucht werden.
Bislang ist jedenfalls ein Großteil der Bevölkerung auch der Región Metropolitana von den Segnungen der Dienstleistungswirtschaft ausgeschlossen, was sich in einer Arbeitslosenrate von rund 16 Prozent und einem großen informellen Sektor ausdrückt. So ist es kaum verwunderlich, daß es in der Hafenstadt Colón am Atlantikausgang des Kanals wie schon häufiger in den Jahren zuvor im Juli 1996 erneut zu massiven Protesten gegen die herrschende Arbeitslosigkeit kam.
Während es bei den Auseinandersetzungen in Colón darum geht, an den globalen Integrationsprozessen teilzuhaben – und sei es über einen Arbeitsplatz -, entwickelt sich ein anderer sozialer Konflikt zwischen lokalen und globalen Interessen. Im seinem Mittelpunkt stehen die wieder ausgegrabenen Pläne zur Ausbeutung der Kupfervorkommen des Cerro Colorado im Westen des Landes. Er gilt als eine der größten Kupferreserven der Welt und liegt in einem Gebiet, das die Ngobe-Buglé (oder Guaymies), das größte indianische Volk Panamas, für ihre teilautonome Region (Comarca) beanspruchen. Mit einem Marsch nach Panama-Stadt demonstrierten sie Ende Oktober ihren Widerstand gegen das Projekt.
Neben der Schwächung der nationalen Integration – sowohl sozial als auch geographisch – steht durch das “Modell Singapur” auch die Zukunft der regionalen Integration in Frage. Seit Anfang der neunziger Jahre nimmt Panama an den zentralamerikanischen Gipfeltreffen teil, 1996 beteiligte sich Pérez Balladeres auch am Gipfel der Länder des Andenpakts. Wie die verstärkte Kooperation mit den lateinamerikanischen Nachbarn mit der globalen Orientierung des “Modells Singapur” vereint werden soll, bleibt allerdings noch ein Geheimnis.

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