Film | Nummer 435/436 - Sept./Okt. 2010

Solidarität auf Reisen

Von den Erlebnissen einer deutschen Solidaritätsbrigade in Nicaragua

Wer immer schon einmal wissen wollte, was eigentlich eine Solidaritätsbrigade ist und vor allem, was sie heutzutage so tut, findet Antworten im Film Sandinos Langer Schatten.

Anna Schulte

Tiere als Mitbewohner. Lehmfußboden. Ein Topf über dem offenen Feuer, Reis und Bohnen zum Frühstück. Das Leben in Rancho Grande, im Norden Nicaraguas, ist anders als in Deutschland – vor allem ärmer. Es ist kein Ort, um Urlaub zu machen, auch wenn das Essen hervorragend schmeckt und die Menschen gastfreundlich sind. Im August 2008 fuhren sechs Frauen und zwei Männer mit einer deutschen Solidaritätsbrigade dennoch nach Rancho Grande.
Was eine Solidaritätsbrigade ist? Die Online-Enzyklopädie Wikipedia gibt darauf keine Antwort. Vielleicht liegt es daran, dass Wikipedia erst 2001 gegründet wurde, lange nach den „Hochzeiten” der deutschen Solidaritätsbewegung mit Nicaragua in den 1980er Jahren. Damals fuhren zahllose Solidaritätsbrigaden nach Nicaragua. Scharen an Freiwilligen zeigten aktiv ihre Unterstützung für die sandinistische Bewegung nach dem Sieg der Revolution 1979. Die gring@s halfen bei der Kaffeeernte, bauten Schulen und bildeten ein Schutzschild gegen die Angriffe der US-finanzierten Contra-Armee, die die SandinistInnen zu Fall bringen sollten. Doch was macht eine Solidaritätsbrigade heute?
Diese Frage stellten sich die beiden FilmemacherInnen Sasche Mache und Kirstin Büttner als sie 2008 eine Solidaritätsbrigade des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit aus München begleiteten. Ihr Film Sandinos langer Schatten versucht Antworten zu finden. Fragen der politischen Entwicklung Nicaraguas werden ebenso behandelt wie die Frage nach dem Sinn einer Solidaritätsbrigade am Anfang des 21. Jahrhunderts.
Der Film dokumentiert die Erfahrungen der BrigadistInnen, die einige Wochen in den einfachen Holzhäusern der Gastfamilien Rancho Grandes lebten und gemeinsam mit den DorfbewohnerInnen ein Gemeinschaftshaus bauten. Die Mitarbeit der Deutschen hat dabei eher symbolischen, aber bedeutenden Charakter: Das Zusammenarbeiten und -leben soll einen echten Austausch ermöglichen, zwar nicht ohne Sprachbarrieren, dafür aber mit gegenseitigem Interesse. Denn es kommen keine „Facharbeiter“, die BrigadistInnen wollen eher etwas lernen als „besserwissen“. Sie möchten den Alltag der Menschen kennen lernen und die politische Situation des Landes verstehen. Dabei kommt jedeR mit ganz eigenen Hoffnungen und Fragen: Wie ist die Bilanz des umstrittenen Präsidenten und einstigen Revolutionsführers Daniel Ortega und was bewegt die Menschen auf dem Land, dort, wo die Armut am größten ist? Geht es den LandbewohnerInnen ebenso wie vielen internationalen BeobachterInnen um das umstrittene Abtreibungsverbot oder die Repression gegen politische Konkurrenz?
Manchmal kommt die Kamera dem Alltag der NicaraguanerInnen, aber auch dem der BrigadistInnen fast schon zu nah. Doch genau dieser Effekt regt beim Zusehen viele Fragen an und zeigt vor allem eines: es bleibt ein schmaler Grat zwischen „Solidarität” und „Entwicklungstoursimus”. Dem Film gelingt es, keine reine Dokumentation einer Solidaritätsbrigade zu bleiben. Die Zuschauer müssen ihre Sichtweise auf die politische Situation Nicaraguas sowie die praktische Solidaritätsarbeit hinterfragen – denn die Perspektiven sind vielfältig.
// Anna Schulte

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