Guatemala | Nummer 447/448 - Sept./Okt. 2011

„Soziale Kämpfe werden zunehmen“

Interview mit der guatemaltekischen Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchú vom Linksbündnis Frente Amplio

In Guatemala steht Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum ein zweites Mal als Präsidentschaftskandidaten zur Wahl. Als indigene Frau bricht sie damit die Traditionen in einem Land, dessen koloniales Kastensystem bis heute nur spärlich aufgebrochen scheint. Die Überlebende des Bürgerkrieges, in dem ganze Maya-Dörfer als angebliche Guerillabasis ausgelöscht wurden, gilt als eine der bedeutendsten Vorkämpferinnen für indigene Rechte weltweit. Doch ihr Bekanntheitsgrad ist international weit größer als in Guatemala selbst; auch dieses Jahr sprechen die Wahlprognosen ihrem Bündnis Frente Amplio (FA) nicht mehr als drei Prozent zu. Kurz vor Abschluss des Wahlkampfes sprachen die Lateinamerika Nachrichten mit ihr.

Interview: Kathrin Zeiske

Sie haben einen anstrengenden Wahlkampf hinter sich, doch wie schon bei den letzten Wahlen scheinen Sie chancenlos zu sein. Sind Sie enttäuscht?
Nein, keinesfalls. Ich bin sehr zufrieden, mit dem, was wir erreicht haben. Die wichtigste Funktion meines Wahlkampfes war wie auch im Jahre 2007 die Institutionen zu dekolonialisieren und sie endlich für die indigene Bevölkerungsmehrheit der Mayas zu öffnen. Es ist ein historischer Wandel, diese an der Politik aktiv zu beteiligen, zu dem wir entschieden beigetragen haben. Im Gegensatz zum Vorjahr haben diesmal auch die Medien über uns berichtet und uns einen Platz im Wahlkampfszenarium eingeräumt. Doch neben allen hohen Ziele werden wir auch ein paar Abgeordnetensitze und Bürgermeisterämter durch die Wahl gewinnen.

Abgesehen davon, dass Sie die einzige indigene Präsidentschaftskandidatin darstellen, sind sie auch nahezu die einzige Frau. Die drei Spitzenkandidaten sind weiße Männer. Ist Guatemala bereit für Frauen in Staatsämtern?
Das wäre wünschenswert. Auf kommunaler wie nationaler Ebene sind Frauen als Kandidatinnen für knapp die Hälfte aller Posten meiner Partei Winaq aufgestellt. Es sind Frauen mit politischer Erfahrung und Führungsqualitäten und sie werden unsere Partei in den nächsten Jahren nach vorne bringen. Wo Winaq gewählt wird, kommen verstärkt Frauen an die Macht. Das ist wahrlich ein großer Unterschied zu den anderen, stets männlich dominierten Parteien, der sich auch ebenso in unserer Basis widerspiegelt.

Ihr Wahlkampf hat sich von dem ihrer Gegenkandidaten fundamental unterschieden. Während diese Guatemala seit Monaten mit Plakaten pflastern und nur in großen Stadien sprechen, laden Sie zu Pressekonferenzen in die eigene Küche. Woher kommen die gigantischen Summen, die in den guatemaltekischen Wahlkampf gesteckt werden?
Es sind ganz klar illegale Gelder aus dem Drogenhandel. Wie Mexiko befindet sich Guatemala im Drogenkorridor zwischen Kolumbien und den USA und wird von den Kartellen beherrscht. Wir als kleines Wahlbündnis können und wollen mit den Millionensummen der anderen Parteien nicht mithalten. Dadurch, dass wir keine Wähler bezahlen und sie mit Bussen zur nächsten Wahlurne fahren lassen, ist schwer kalkulierbar, wie viele Stimmen wir am Wahltag tatsächlich erhalten. Der Drogenhandel hat das politische System in Guatemala korrumpiert und kommerzialisiert. Wir versuchen dem eine Politik der Würde gegenüberzustellen, auch wenn es uns vielleicht nicht möglich sein wird, den Wahlsieg davonzutragen.

Bereits zum zweiten Mal treten Sie dabei gegen einen mutmaßlichen Verantwortlichen des Genozids an der indigenen Bevölkerung an: Der ehemalige General Otto Pérez Molina hat sich ebenfalls erneut aufgestellt. Wie geht es Ihnen damit als Überlebende?
Ich habe Angst, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Natürlich nicht in diesem Maße, aber Pérez Molina war lange Jahre Militärgeheimdienstchef, und dass er mit diesem Hintergrund nun der chancenreichste Präsidentschaftskandidat ist, sind keine guten Zukunftsaussichten. Im Staatsamt wird er nur schwer kontrollierbar sein. Abgesehen von den Schatten der Vergangenheit, fürchte ich jedoch auch, dass sich die wirtschaftliche und soziale Krise in Guatemala unter seiner Präsidentschaft noch verschärfen wird. Soziale Kämpfe werden definitiv zunehmen.

Werden Sie sich 2015 erneut als Präsidentschaftskandidatin aufstellen?
Nein, das schließe ich aus. Ich sehe meine Aufgabe vielmehr darin, geeignete Kandidaten und Kandidatinnen in unseren Reihen auszumachen. Angesichts der politischen Krise in unserem Land halte ich dabei Unbestechlichkeit für ein ausschlaggebendes Kriterium. Des Weiteren sollten besonders junge Leute gestärkt werden, denn auch durch einen Generationenwechsel kann Machtkonzentration vermieden werden. Auch darin unterscheiden wir uns von den herkömmlichen Parteien in Guatemala: in unserer Basis befinden sich viele junge Menschen, und wir beteiligen sie auch aktiv an unseren Strukturen. In einem Land mit einer so jungen Bevölkerung sollte dies selbstverständlich sein.

Haben Sie schon Pläne, was Sie nach Ihrer politischen Karriere machen werden?
Mein bisheriges Leben habe ich den Kämpfen der indigenen Bewegung in Guatemala gewidmet; und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Mich erfüllt es mit großer Freude zu wissen, dass wir keine Wahlkampffahnen weißer Rassisten und ihrer ausschließenden Parteien mehr tragen müssen. Zu den nächsten Wahlen werden sich hoffentlich schon mehrere indigene Kandidaten aufstellen.

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