Costa Rica | Nummer 477 - März 2014

Spagat mit drei Beinen

Nach dem überraschenden Wahlsieg des Kandidaten der oppositionellen PAC kommt es zu einer Stichwahl – und einer schwierigen Mehrheitssuche

Die Entwicklungen Tage vor der Wahl am 2. Februar hatten bereits erahnen lassen, dass ein Kandidat auf dem Vormarsch ist, den vorher nur wenige auf dem Zettel hatten. Doch am Wahlwochenende dominierten plötzlich die lange Zeit kaum sichtbaren gelb-roten Flaggen der sozialdemokratischen Partei der Bürger_innenaktion PAC. Deren Kandidat, Luís Guillermo Solís, geht nun als knapper Favorit in die Stichwahl am 6. April.

Markus Plate

„Ich hoffe, dass die PAC gewinnt. Aber das Wichtigste ist, dass die PLN nicht gewinnt“, sagte eine Passantin am Wahlsonntag. Ihre Meinung steht stellvertretend für das Ergebnis der Wahlen am ersten Februarsonntag. Sowohl bei den Präsidentschafts- als auch bei den Parlamentswahlen hat die regierende Partei der Nationalen Befreiung (PLN) eine historische Niederlage eingefahren. Johnny Araya, Präsidentschaftskandidat der PLN, verfehlte mit nicht einmal 30 Prozent der Stimmen deutlich den Wahlsieg und blieb weit hinter seinem selbstgesteckten Ziel zurück, im ersten Wahlgang Präsident werden zu können. Gewinner der ersten Runde ist der Universitätsprofessor Luís Guillermo Solís von der oppositionellen sozialdemokratischen Partei der Bürgeraktion (PAC). Vor der Wahl hatten Meinungsumfragen Solís zwar im Aufwind gesehen. Dass er aber mit über 30 Prozent der Stimmen knapp vorne liegen würde, damit hatte in Costa Rica kaum jemand gerechnet.
„Die Costa-Ricaner haben sich für den Wandel und gegen ein ‚Weiter so‘ entschieden. Man kann sehr wohl eine prosperierende Wirtschaft mit einer gerechteren Gesellschaft in Einklang bringen und das Land von der Korruption befreien“ – Solís Worte auf der Wahlparty der PAC sind eine ziemlich akkurate Wahlanalyse. Die Partei präsentiert sich als einzig realistische Alternative zur korrupten und abgewirtschafteten Regierungspartei. Als moderate Alternative der Mitte war die PAC vor allem für diejenigen wählbar, denen der zuvor hoch gehandelte libertäre Otto Guevara zu neoliberal und die linke Wahlüberraschung José María Villalta der Frente Amplio zu radikal erschien.
Nun heißt es in der zweiten Runde am 6. April PAC gegen PLN, Solís gegen Johnny Araya. Dieses Ergebnis und die Verlängerung des Wahlkampfes sind eine Sensation in Costa Rica. Es ist erst die zweite Stichwahl in der Geschichte des Landes, zum ersten Mal seit der Revolution von 1948 liegen weder PLN noch die Christsozialen der PUSC vorne. Damit gehört das über Jahrzehnte prägende Zweiparteiensystem wohl endgültig der Vergangenheit an.
Beiden Kandidaten fehlen rund 20 Prozentpunkte zur Mehrheit, es müssen also Anhänger_innen anderer Parteien gewonnen werden. Bei einem Parlament, das in Zukunft mit neun Parteien so vielfältig sein wird wie nie, ist einiges an Verhandlungsgeschick gefragt. Eine Mehrheit rechts von PAC und Frente Amplio ist für die PLN dagegen nur mit den rechtskonservativen Christsozialen, der stark gestutzten rechtsliberalen Libertären Bewegung (ML) und evangelikalen Splitterparteien möglich. Die eher progressiven Kräfte, bestehend aus PAC und Frente Amplio, können mit knapp 50 Prozent rechnen. José María Villalta, der es mit 17 Prozent auf den dritten Platz geschafft hatte, dämpfte allerdings noch am Wahlabend die Erwartungen der PAC, seine Anhänger_innen würden ohne Weiteres in der Stichwahl für Solís stimmen. „Vor der Stichwahl sind wir bereit für einen Dialog, aber nur wer bereit ist, die lange Nacht des Neoliberalismus zu beenden, kann auf die Unterstützung der Frente Amplio zählen.“
Luís Guillermo Solís muss am 6. April den Spagat vollbringen, zwischen rechts und links alle für sich zu mobilisieren, die eine weitere Regierung der PLN verhindern wollen. Gleichzeitig müsste die PAC auch im Parlament Mehrheiten suchen, soll Solís nicht gleich als „lahme Ente“ in seine Präsidentschaft starten. Im 57 Abgeordnete zählenden Parlament ist die PLN mit nur noch 18 Sitzen zwar deutlich geschwächt, aber immer noch vier Sitze stärker als die PAC. Selbst in einer Koalition mit der Frente Amplio, die mit neun Abgeordneten das mit Abstand beste Ergebnis einer linken Partei in Costa Rica einfuhr, ist für die Progressiven eine parlamentarische Mehrheit fünf Sitze entfernt.
Allerdings hat es die politische Linke geschafft, spannende Leute ins Parlament zu schicken: Für die Frente Amplio sitzt mit Edgardo Araya eine der Galionsfiguren des erfolgreichen Kampfes gegen den Goldbergbau in der Gesetzgebenden Versammlung. Franc Camacho ist einer der wichtigsten Förderer alternativer und lokaler Kultur im Land und der ehemalige Priester Gerardo Vargas Varela engagiert sich seit Jahren für die Gemeinden, die unter dem gewaltigen Pestizideinsatz der Ananas-Produktion in der Provinz Limón leiden. Auch die PAC kann mit einigen interessanten Personalien aufwarten: Marcela Guerrero ist eine profilierte linke Politikerin, die in der Lage ist, innerhalb der PAC-Fraktion der grauen Eminenz der Partei, dem ebenfalls gewählten Ottón Solís von der Parteirechten, Paroli zu bieten. Und Henry Mora ist einer der wichtigsten alternativen Ökonomen Costa Ricas, der die Expertise für eine auch vom PAC versprochene, ökologisch nachhaltigere und sozial gerechtere Wirtschaftspolitik liefert.
Das vielleicht größte Problem der PAC ist der äußerst bescheidene Zuspruch auf dem Land. Hier ist die Partei nur dritte oder gar vierte Kraft. Gerade in den Küstenregionen ist die Frente Amplio stark, vor allem wegen ihres Einsatzes für die von Monokulturen oder Megaprojekten betroffenen Gemeinden. Es scheint, als komme Solís nicht an der Frente Amplio vorbei, will er in der Provinz genug Stimmen sammeln, um am 6. April die 50-Prozent-Marke zu knacken. Allzu deutlich dürfen seine Avancen aber auch nicht werden, will Solís nicht Opfer derselben Anti-Kommunismus-Kampagne werden, die in der ersten Runde bereits ein noch besseres Ergebnis für Frente Amplio verhindert hat. Sein Gegner Araya wird sich noch weiter von der unpopulären Regierung seiner Partei absetzen müssen. In welche Richtung ist allerdings noch nicht klar. Eine Abkehr von den neoliberalen Konzepten der letzten 20 Jahre dürften rechte Wähler_innen ebenso in die Wahlenthaltung treiben, wie Konzessionen an die junge Wähler_innenschaft, die ein offeneres und laizistisches Costa Rica fordert. Ein Rechtsschwenk, wie er sich durch Treffen mit dem Unternehmerverband und der Bischofskonferenz anzudeuten scheint, dürfte dagegen die Reste der sozialdemokratischen Basis kosten.
So ist Araya an mehreren Fronten in die Defensive gedrängt, während Solís leicht favorisiert in die Stichwahlen geht. Gelingt es ihm, die sozialen Bewegungen und Frente Amplio-Wähler zu gewinnen, den privaten Sektor nicht zu verschrecken und es sich gleichzeitig nicht mit der mächtigen katholischen Kirche zu verscherzen, ist ein Sieg am 6. April wahrscheinlich. Aber das bedeutet für Solís eben einen Spagat mit drei Beinen.

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