Nummer 426 - Dezember 2009 | Venezuela

Spannungen an der Grenze

Nach dem Massaker an einer Fußballmannschaft droht die Lage an der Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien zu eskalieren

Im venezolanischen Bundesstaat Tachira, an der Grenze zu Kolumbien, verschärft sich die politische Situation. Eine Woche nach dem Massaker an einer Fußballmannschaft zwangen Paramilitärs etwa tausend örtliche Geschäfte zur Schließung. Als daraufhin venezolanische Behörden Angehörige paramilitärischer Gruppen verhafteten, erschossen Unbekannte zwei Nationalgardisten. Auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Ereignissen bisher nicht belegt zu sein scheint, rückt für die venezolanische Regierung das Problem des Paramilitarismus in das Zentrum der aktuellen Politik.

Malte Daniljuk

Die aktuellen Auseinandersetzungen begannen während eines Fußballspiels. Am 11. Oktober wurde eine Gruppe von kolumbianischen Straßenhändlern entführt, die sich zu einem Fußballturnier auf der venezolanischen Seite der Grenze getroffen hatte. Während das Amateur-Derby lief, fuhren Kleintransporter auf den Platz und 25 Bewaffnete in schwarzen Uniformen umstellten die Spieler. Mit Namenslisten wurden zwölf Männer, darunter acht Kolumbianer, ausgesondert, auf die Autos geladen und mitgenommen. Die Entführung machte zu diesem Zeitpunkt nur in den lokalen Medien Schlagzeilen. Erst als die Entführten zwei Wochen später in der venezolanischen Ortschaft Chururú erschossen aufgefunden wurden, beachtete auch die internationale Presse den Fall. Am schnellsten äußerte sich der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe. Er behauptete, die Mörder seien Mitglieder der kolumbianischen Guerilla Heer der Nationalen Befreiung (ELN) und Venezuela biete den Aufständischen Unterschlupf. Ihm sekundierte der Gouverneur Tachiras, César Pérez Vivas. Der Oppositionspolitiker der christlich-sozialen Partei COPEI hatte vor wenigen Wochen Schlagzeilen gemacht, als er behauptete, der venezolanische Innenminister sei ein Kommandant der ELN.
Inzwischen steht Pérez Vivas selber im Mittelpunkt der Ermittlungen. Der Gouverneur hat in seinem Bundesstaat ein Gesetz erlassen, dass paramilitärische Sicherheitsinitiativen legalisiert und soll sich laut Informationen der Bundesregierung in Kolumbien mit Vertretern der dortigen Paramilitärs getroffen haben. „Wir werden nicht zulassen, dass Pérez Vivas die Souveränität des venezolanischen Staates untergräbt“, hatte Vizepräsident Ramón Carrizales schon im September angekündigt. Auch Iris Varela, in Sicherheitsfragen stets gut informierte Parlamentarierin der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (Psuv), beschuldigt den Gouverneur, die Paramilitärs zu unterstützen. Es würden Foto- und Tonaufnahmen existieren, die Funktionäre der Landesregierung Tachira zusammen mit Paramilitärs zeigen. „César Pérez Vivas ist dabei, informelle Sicherheitsstrukturen aufzubauen und den Privatunternehmen zur Verfügung zu stellen.“ Dabei würde die Regionalregierung auf die selben kolumbianischen Paramilitärs zurückgreifen, die in der Region zu sozialen Säuberungen aufgerufen hätten.
Varela bezog sich dabei auf die Flugblätter, die Paramilitärs unmittelbar nach dem Mord an den Straßenhändlern verteilt hatten. Darin drohten sie Menschen, die „mit den Streitkräften kollaborieren“, mit „sozialen Säuberungen“ – ein Begriff, der in Kolumbien für die Ermordung sozial unerwünschter Personen verwendet wird. Außerdem forderten die anonymen VerfasserInnen die LadenbesitzerInnen, Unternehmen und Schulen in der Region auf, am 30. Oktober zu schließen. Wer der Forderung nicht nachkomme, müsse die Konsequenzen tragen. Die Drohung wirkte: Etwa tausend und damit rund 90 Prozent der Läden blieben nach Schätzungen lokaler Medien in den Orten an der Grenze zu Kolumbien geschlossen. Laut der örtlichen Nationalgarde ist dies ein einmaliger Vorgang. Zwar habe es in den letzten Monaten immer wieder Drohungen gegeben, aber niemals hätten sie eine solche Wirkung gehabt. Das Militär verstärkte am Wochenende die Präsenz in drei der betroffenen Gemeinden und verhaftete acht Kolumbianer sowie zwei Venezolaner. Unter den Verhafteten befindet sich ein bekannter Führer der Paramilitärs.
Bereits zwei Tage später kam es zum nächsten Zwischenfall: In der Gemeinde Pedro María Ureña schossen unbekannte Motorradfahrer auf einen Kontrollpunkt der Nationalgarde. Die Kugeln trafen zwei der Gardisten in den Rücken. Sie starben an den Verletzungen. Der für die Region zuständige Brigadegeneral, Franklin Márquez, bezeichnete die Täter als Angehörige von „irregulären Gruppen, die Angst und Unsicherheit in der Region verbreiten wollen“ – ein deutlicher Hinweis, dass er damit Paramilitärs meinte. Dieser Überfall brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Präsident Hugo Chávez forderte César Pérez Vivas auf, die Konsequenzen seines Handelns zu bedenken und riet dem Oppositionspolitiker, sich um ein Asyl in Peru zu kümmern. Dort sind mehrere venezolanische Oppositionspolitiker untergetaucht, gegen die in Venezuela Strafverfahren laufen.
Die Vorgänge weisen darauf hin, dass sich irreguläre rechte Milizen an der Grenze zu Kolumbien so fest etabliert haben, dass sie die sozialistische Regierung in Caracas offen herausfordern können. Damit rückt das Problem des Paramilitarismus nun ins Zentrum der venezolanischen Politik. Untrennbar verbunden ist der Konflikt mit dem Nachbarland Kolumbien. Die venezolanischen Behörden sprechen zwar von „irregulären Kräften“, „Bandenkriminalität“ oder „Paramilitärs“, gemeint sind aber die Nachfolgeorganisationen der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), die dort nach einer aktuellen Bilanz der Staatsanwaltschaft für mindestens 25.000 Morde verantwortlich sind. Als scheinbar unabhängiger Kriegsakteur haben sie im Auftrag der Regierung Uribe den Konflikt mit Guerilla entscheidend beeinflusst. BeobachterInnen fühlen sich unterdessen an die 1980er Jahre in Nicaragua erinnert. Dort hatten mit den Contras ähnliche informelle Verbände, die mit Hilfe der USA von den rechts regierten Nachbarländern aus agierten, die sozialistische Regierung der FSLN in einen zermürbenden Kleinkrieg verwickelt. Auch aktuell kann die rechte Regierung in Kolumbien mit Unterstützung der USA rechnen. Erst Ende Oktober unterzeichneten Barack Obama und Alvaro Uribe eine Vereinbarung über sieben neue Militärstützpunkte für die USA in Kolumbien.
Ein weiteres Indiz für die zunehmenden Spannungen zwischen den Nachbarländern ist die Verhaftung von drei Kolumbianern Ende November, die als Mitarbeiter der kolumbianischen Geheimpolizei (DAS) in Venezuela spioniert haben sollen. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bei den Verhafteten zahlreiche Unterlagen sichergestellt, welche die Tätigkeit der mutmaßlichen Agenten belegen. Ihr Ziel sei gewesen, Informationen über die venezolanische Armee zu beschaffen. Die kolumbianische Regierung dementierte umgehend die Zugehörigkeit der Verhafteten zur Geheimpolizei. Die kolumbianische Seite hatte auf ähnliche Vorwürfe immer wieder geantwortet, dass Mitarbeiter der DAS ein „ausdrückliches Verbot“ hätten, sich nach Venezuela zu bewegen.
Die jüngsten Ereignisse bedeuten eine weiteren Tiefpunkt in den diplomatischen Beziehungen beider Länder, die seit Monaten auf Eis liegen, nachdem die kolumbianische Regierung behauptet hatte, die Chávez-Regierung habe Waffen an die kolumbianische Guerilla Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbien (Farc) verkauft. Die mutmaßlichen Beweistücke entpuppten sich zwar tatsächlich als venezolanische Waffen. Sie waren allerdings bereits vor Chávez‘ Amtszeit durch die andere Guerilla ELN bei einem Angriff auf das venezolanische Militär erbeutet worden.

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