Nummer 346 - April 2003 | Paraguay

„Stroessner, was für eine Zeit!“

ParaguayerInnen träumen vom „starken Mann“ im Chefsessel

Am 27. April finden in Paraguay Präsidentschaftswahlen statt. Drei Kandidaten stehen zur Wahl – aber keiner scheint eine Alternative zum derzeitigen neoliberalen Kurs zu bieten. Die Demokratisierung geht nur langsam voran. 14 Jahre nach dem Ende der Diktatur ist das Lager der Stroessner-Sympathisanten immer noch groß.

Niels-Oliver Walkowski

Wäre Donald Duck Präsidentschaftskandidat und Colo-rado, so würde er gewählt werden.“ Mit diesen Worten kommentierte der spätere Vizepräsident und Colorado Luis María Argañas die letzten Wahlen 1998 und den Sieg seines innerparteilichen Gegners Raúl Cubas Grau. Damals war es ein Anflug von Selbstironie. Argañas konnte nicht mehr lange lachen. Im März des folgenden Jahres wurde er ermordet.
Paraguay – das sind die Colorados oder die „Asociación Nacional Republicana“, wie sich die Partei formal nennt. Gegründet im Jahre 1887 hat sie die Geschichte Paraguays bestimmt – so auch während Südamerikas längster Diktatur des letzten Jahrhunderts. Der deutschstämmige Colorado Alfredo Stroessner hielt 35 Jahre lang, von 1954 bis 1989, die Kontrolle über Paraguay in seinen Händen. Erst durch einen Putsch aus den eigenen Reihen ausgeführt von General Andrés Rodríguez musste er von der politischen Bühne weichen.

Stroessners Strukturen blieben

Der Übergang von der Diktatur in ein post-diktatorisches System war ein noch feinerer als in vielen anderen lateinamerikanischen Staaten. Ein Bruch fand nie wirklich statt, eine Verarbeitung der Vergangenheit gibt es so gut wie gar nicht. So fahren 14 Jahre später immer noch Autos durch Paraguays Straßen mit Aufklebern auf denen steht: „Stroessner, qué tiempo!” (Stroessner, was für eine Zeit!). Am 27. April finden in Paraguay Präsidentschaftswahlen statt. Drei Kandidaten stehen zur Wahl – aber keiner scheint eine Alternative zum derzeitigen neoliberalen Kurs zu bieten. Die Demokratisierung geht nur langsam voran. 14 Jahre nach dem Ende der Diktatur ist das Lager der Stroessner-Sympathisanten immer noch groß.
Wenn Zeitungen in Umfragen wissen wollen, welchen Politikern die Leser eine Lösung der aktuellen Probleme zutrauen, findet Stroessner nach wie vor Anhänger. Und das sind gar nicht Wenige. Zwar ging der Ex-Diktator ins brasilianische Exil, die Colorados jedoch blieben und mit ihnen die Strukturen, welche sie sich in der Zeit der Diktatur aufgebaut hatten: das Kapital, der Zugang zu den Medien, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Positionen mit parteikonformen Personen. So gewann die Partei 1993 und 1998 klar die Präsidentschaftswahlen.
Eine erste Veränderung dieser Situation zeichnete sich vor vier Jahren in den Wahlen zum Vizepräsidenten ab, in denen sich der Kandidat der Liberalen Julio César Franco durchsetzte. Diese außerordentliche Wahl musste abgehalten werden, nachdem der gerade gewählte Präsident Raúl Cubas Grau schon wieder zurücktreten musste. Grund für den Rücktritt war eine Demonstration, die in Zusammenhang mit der Ermordung des innerparteilichen Gegenspielers Cubas Grau, des Vizepräsidenten Luis María Argañas, stand. Sie forderte mehrere Tote.
Luis González Macchi, bis dato Vorsitzender im Parlament und ebenfalls Colorado, wurde Präsident. Damit gehören Präsident und Vizepräsident zum ersten Mal in der Geschichte Paraguays unterschiedlichen Parteien an.

Hauptfeind ist die Korruption

In den vier Jahren seiner Amtszeit schaffte Macchi es, sich zur unbeliebtesten Person des Landes zu machen. Er teilte den neoliberalen Kurs seiner Amtskollegen in Argentinien und Brasilien und privatisierte unter anderem die Telefongesellschaft Antelco und die staatliche Wasserversorgungsgesellschaft Corposana. Während seiner Amtszeit sanken die Exporte, die Inflation stieg. Und es gibt immer mehr Menschen, die unter dem Existenzminimum leben. Momentan sind es ungefähr 65 Prozent der Bevölkerung. Im Februar kam es schließlich noch zu einem Amtsenthebungsverfahren wegen Korruption. Das scheiterte jedoch an der Abstimmung im Parlament.
Eines der beherrschenden Themen im Wahlkampf ist die Korruption. Auf der einen Seite ist das typisch für Lateinamerika. Andererseits ist es aber so, dass Paraguay auf einer UNO-Liste von 1998 als zweitkorruptestes Land der Welt geführt wird. Jüngster Beweis ist der Skandal um das verschwundene Geld zum Bau eines neuen Regierungsgebäudes, das jetzt in halb fertigem Zustand die Innenstadt von Asunción ziert. Ebenfalls auf der Beweisliste steht die Veruntreuung von Staatsgeldern eines Regierungsmitgliedes für eigene Zwecke. Die Veruntreuung löste in den Medien eine Debatte über die Existenz einer organisierten „Bande von Abgeordneten“.

Präsidentschaftskandidat sieht Staat verschwinden

Damit ist das Wahlkampfthema klar. Jeder Kandidat tritt mit dem Vorsatz auf, die Korruption zu bekämpfen – auch solche, die mit dem Klientel-System politisch groß geworden sind, wie der aktuelle Präsidentschaftskandidat der Colorados Nicanor Duarte Frutos. Geboren 1956, studierte er Jura, Philosophie und Politik.
Mit 24 Jahren kam er zur „Última Hora“ (zweitgrößte Zeitung Paraguays). Er verließ die Zeitung aber kurz nach dem Putsch (1990). Von 1993 bis 1997, sowie von 1999 bis 2001 bekleidete er das Amt des Ministers für Bildung und Kultur. Innerhalb der Colorados gab er den Anstoß, sich mit stroessnernahen Parteimitgliedern auszusöhnen. Eine noch sehr junge Initiative für eine Amnestierung von Stroessner kommentierte er anerkennend, aber diplomatisch.
Dies sind nicht die einzigen Berührungspunkte, die sich zum einstigen Diktator finden lassen. Im Wahlkampf bedauerte er wiederholt die Konsequenzen des „neoliberalen Diskurses“, in dem er vor allem den Staat verschwinden sieht. Dementsprechend fordert er eine Rückkehr zur „genuinen Essenz des coloradismo“: einem starken Staat.
Es bleibt fraglich, inwieweit er als Präsident tatsächlich vom wirtschaftspolitischen Kurs seines Vorgängers abweichen wird. Denn ebenso wie die anderen zwei Präsidentschaftskandidaten betont er, wie wichtig der Faktor Produktivitätssteigerung zur Verbesserung der Wirtschaftslage Paraguays sei. Aber genau mit dieser Forderung bewegt sich Nicanor Duarte Frutos genau in dem neoliberalen Diskurs, den er in populistischer Manier kritisiert.

Amnestie für Stroessner

Ein weiterer Kandidat für die Präsidentschaft ist der Kandidat der PLRA (Partido Liberal Radical Auténtico) und Arzt Julio César Franco. Bis vor kurzem noch Vizepräsident, verließ er vor zwei Monaten die Regierung, um sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Inwieweit die vier Jahre, die er als Vizepräsident in einer Zweckkoalition mit den regierenden Colorados verbracht hat, spurlos an seiner eigenen Position sowie an seinem Image vorbeigegangen sind, lässt sich schwer einschätzen.
Auf der einen Seite versuchte er, während seiner Amtszeit sein eigenes Profil zu schärfen. Und zwar indem er an Demonstrationen teilnahm, die sich gegen die Regierung richteten, in der er selber saß. Auf der anderen Seite wirbt er immer wieder für eine Annäherung an die Colorados. Von ihm stammt die Initiative einer Amnestie für Stroessner. Das ist ein großer Schritt für einen Mann, der einen Großteil der 80er Jahre unter Stroessner im Gefängnis verbrachte. Das Ziel ist eindeutig, Wähler am Rand der Colorados für die PLRA einzufangen.
Der dritte Kandidat, der eine Aussicht auf den Präsidentenstuhl hat, ist der 48 Jahre alte Millionär und ehemalige Manager der Bank ´Financiera Parapiti´ Pedro Fadul. Als Parteiloser gründete er 2001 die Bewegung „Patria Querida“. Von den drei Politikern ist er der einzige, dessen politische Laufbahn nach der Stroessner Zeit begann. Sein ideologisches Programm zehrt aus seiner Biographie als Manager. Er fordert ein „Buen Gobierno“ (Gute Regierung) und mehr Eigenverantwortung der Bürger. Der Staat soll sich als „produktive Instanz“ zurückziehen und nur noch eine passive regulative Funktion einnehmen.

„Helden“ für Paraguay

Der Wahlkampf zeigt eindeutig, dass sich alle drei Kandidaten als „starker Mann“ präsentieren wollen. So streckt Franco auf seinen Plakaten die Faust in die Luft und das mit energischem Gesichtsausdruck. Für den „starken Mann“ hatten die Paraguayer schon immer ein Faible. Das hat nicht nur Stroessner zu einer 35-jährigen Amtszeit verholfen.
Das Urbild des autark herrschenden Mannes an der Spitze des Staates gibt wohl ohne Zweifel „el supremo“ José Gaspar Rodriguez de Francía ab, der absolutistische Despot vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Ihm folgten Männer wie Francisco Solano Lopez, der Paraguay 1865 in den grausamsten Krieg des Kontinents stürzte. Dieser Krieg dezimierte die Bevölkerung um über die Hälfte auf rund 200000 Menschen.
Das Bild des starken Mannes hat tiefe Wurzeln in Paraguay und seine Konturen beherrschen noch immer den politischen Diskurs. Daher hat es auch ein Prozess der Demokratisierung besonders schwer in dem südamerikanischen Binnenstaat. Das gilt folglich auch für die am 27. April stattfindenden Wahlen.
Prognosen zufolge bekommen die Präsidentschaftskandidaten der Colorados der PLRA und der „Patria Querida“ etwa gleich viele Stimmen. Inwieweit diese Vorhersagen zutreffen, ist fraglich, da überwiegend Bewohner Asuncions und aus der Umgebung befragt wurden. Fakt ist jedoch: Die Hälfte der Paraguayer leben auf dem Land. Ebenso ungewiss ist, ob ein Wechsel der Partei auch einen Wechsel der Politik zur Folge hätte. So wie es aussieht, können die Wähler lediglich entscheiden zwischen einer reaktionären Staatsideologie mit klientelistischer Organisationsform und einem „modernen“ Wirtschaftsliberalismus, dessen Konjunktur in Lateinamerika eigentlich schon zu Ende zu gehen schien.

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