Bolivien | Nummer 368 - Februar 2005

Suez hat den Kanal voll

Nachbarschaftsräte zwingen französischen Wasserkonzern zum Abzug. Landesweit gehen Menschen gegen die Politik der Regierung auf die Straße

Nach massiven Protesten und drei Tagen Generalstreik gelang es den BewohnerInnen der Anden-Großstadt El Alto Mitte Januar, Präsident Carlos Mesa zur Annullierung des Vertrages mit dem Wasser-Multi Aguas de Illimani zu zwingen. Aber nicht nur in El Alto brodelt es zurzeit kräftig. Auch in der Tieflandregion Santa Cruz kommt es zu Protesten und Blockaden. Zumindest in der Forderung nach einer Rücknahme der Treibstoffpreiserhöhungen sind hier UnternehmerInnen, Studierende und Landarbeitergewerkschaft im Kampf vereint.

Anne Becker

Was ein Protestmarsch werden sollte, wurde ein Siegeszug. Unter Rufen wie „Aguas de Illimani verlässt Bolivien!“ und „Bolivien ist nicht zu verkaufen!“ marschierten nach Bekanntmachung der „sofortigen Beendigung“ des Vertrages zwischen dem bolivianischen Staat und der Suez-Tochterfirma Aguas de Illimani rund 20.000 AnwohnerInnen von El Alto in den angrenzenden Regierungssitz La Paz hinunter. Der regionale Gewerkschaftsverband COR und die Nachbarschaftsräte von El Alto FEJUVE, die die Proteste angeführt hatten, erklärten den dreitägigen Generalstreik für beendet. Die Streikenden hatten die Rücknahme der jüngsten Treibstoffpreiserhöhung, die Verabschiedung eines Gesetzes über die Nationalisierung des bolivianischen Erdgases und vor allem den „Rauswurf von Aguas de Illimani“ aus Bolivien gefordert. Das Firmenkonsortium war seit 1997 für die Wasserversorgung von El Alto und La Paz zuständig. Extreme Preiserhöhungen, schlechte Wasserqualität und unterlassener Ausbau der Infrastruktur waren die Folge. Die Regierung hatte zunächst nur eine Vertragsbeendigung in Aussicht gestellt, doch die Nachbarschaftsräte forderten eine „sofortige Beendigung“ per Dekret. Unter Eindruck der sich zuspitzenden Proteste und der Auswirkungen einer Blockade der Zufahrtswege nach La Paz wählte Präsident Mesa den Weg der Deeskalation. Denn gewalttätige Ausschreitungen und Blutvergießen hätten ihm mit großer Wahrscheinlichkeit sein Präsidentenamt gekostet.

Machenschaften eines Großkonzerns

„Wir haben einen historischen Sieg errungen“, freut sich der Präsident der FEJUVE von El Alto, Àbel Mamani, über die sofortige Vertragsbeendigung. „Doch die Arbeit geht jetzt weiter, damit die künftige Wasserversorgung wirklich zugunsten der Bevölkerung in El Alto und La Paz geht“, meint Mamani, der vor den Protesten noch wegen seines vermeintlich autoritären Führungsstils von der COR als rey chiquito (kleiner König) kritisiert worden war.
El Alto, einst das Armenviertel von La Paz, ist heute eine über 700.000 EinwohnerInnen zählende Großstadt. Vor allem durch den Zuzug von MigrantInnen aus dem Hochland wächst die Stadt sehr schnell. Die Hälfte der Menschen lebt in Armut; ein Viertel in extremer Armut, muss also mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. Die Wasserversorgung ist ein äußerst prekäres Thema: Rund 70 Prozent der Haushalte verfügen nicht über Trink- und Abwasserleitungen. Anstatt diese Situation zu verbessern, haben die letzten sieben Jahre zu einer Verschlechterung der Wasserversorgung geführt. „Heute in El Alto fließend Wasser zu besitzen, ist mehr denn je ein Luxus“, erklärt ein aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen entlassener Arbeiter der Wasserfirma Aguas de Illimani (AISA).
Das Firmenkonsortium AISA , das zu 38 Prozent dem französischen Konzern Suez-Lyonaisse des Eaux gehört (siehe Kasten), hatte 1997 im Rahmen der Privatisierungspolitik von Präsident Sánchez de Lozada die Konzessionen für die Wasserversorgung von La Paz und El Alto für dreißig Jahre erhalten. Die internationalen Kreditgeber, unter ihnen Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Corporación Andina de Fomento vermarkteten damals das Projekt als „Beitrag zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der armen Bevölkerung“. 68 Millionen US-Dollar sollten in den ersten fünf Jahren investiert und 70.000 Haushalte mit Trinkwasserleitungen versorgt werden. Man errechnete, dass damit fast alle AnwohnerInnen Zugang zu Wasser erhalten würden. Ein weiteres Ziel bestand in der Einrichtung von Abwasserleitungen für mindestens die Hälfte der BewohnerInnen El Altos bis 2001.
Doch die heutige Realität zeigt einmal mehr, dass die Privatisierung und Kommerzialisierung des Wassersektors zu Lasten der Bevölkerung und der Umwelt und zugunsten der transnationalen Unternehmen geht: Der vertraglich geregelte Ausbau der Infrastruktur fand nicht im geplanten Ausmaß statt. Der Versuch der Regierung Mesa, AISA wenigstens zu einer Neuverhandlung der Verträge zu bewegen, um eine Ausweitung ihrer Zuständigkeit zu ermöglichen, scheiterte im vergangenen Jahr auf ganzer Linie. Nach Angaben der Regierung waren 200.000 Personen ohne Wasseranschluss bei Vertragsschließung nicht berücksichtigt worden. Allein ein Tricksen mit der Statistik ermöglichte es der Firma 2001 ein positives Zwischenergebnis abzuliefern. Statt für das vertraglich vereinbarte Konzessionsgebiet, errechnete die Firma ihre Zahlen für ein wesentlich kleineres Gebiet von El Alto, dessen Grenzen von der Vorgängeradministration benutzt worden waren. Dies legte im Oktober 2004 der Wissenschaftler Carlos Crespo Flores in einem unabhängigen Bericht über Aguas de Illimani offen. Gleichzeitig weigerte sich das Unternehmen, außerhalb des besagten Teilgebietes die Wasserversorgung zu übernehmen – es sei denn die AnwohnerInnen kamen selbst für die Unkosten einer Neuinstallation der Leitungen auf. Für Crespo ist dies ein klarer Fall von Vertragsbruch. Auch die Priorität von AISA, die Dichte des bereits bestehenden Wassernetzes zu erhöhen, anstatt die ärmsten, gänzlich von der Wasserversorgung abgeschnittenen Gegenden neu zu erschließen, stünde in einem Widerspruch zu der offiziellen Ausrichtung des Projekts auf die am meisten Bedürftigen.

Exorbitante Tarife

Ein weiterer Konfliktpunkt, der dann Mitte Januar ausschlaggebend für die massiven Proteste gegen das Unternehmen war, waren die eklatanten Preiserhöhungen. Über die Jahre war das Wasser immer teurer geworden. Die Dollarisierung der Tarife im Jahr 2001 ließ die Preise in El Alto um 120 Prozent in die Höhe schnellen. Zudem wurden Beschwerden über eine Verschlechterung der Wasserqualität, marode Rohre und lang auf sich warten lassende Reparaturarbeiten laut. Die Nachbarschaftsräte von El Alto organisierten über die Jahre hinweg immer wieder Proteste gegen die Machenschaften des Konzerns oder verhalfen sich selbst zu Wasser, in dem sie die bestehenden Rohre anzapften
Anders als beim so genannten „Wasserkrieg“ in Cochabamba im Jahre 2000 waren Regierung und AISA 1997 so geschickt, die Tarife nicht mit der Übernahme, sondern schon mehrere Monate vorher zu erhöhen, um so die Mobilisierungskraft der AnwohnerInnen im Moment der Privatisierung zu neutralisieren. Genau dieser „Fehler“ der Gleichzeitigkeit hatte in Cochabamba im Jahr 2000 zu einer breiten und schlagfertigen Protestwelle geführt, die es vermocht hatte, dem Großkonzern Aguas de Tunari die Konzession nach wenigen Monaten der Administration wieder zu entziehen.

Unattraktives Geschäft mit den Armen

Den Versuch der sozialen Organisationen von El Alto und La Paz, eine soziale Kontrolle oder Mitbestimmung ihrerseits zu erwirken, scheiterte 2001 am Widerstand von AISA und Weltbank. Das im Zusammenhang mit den Wasserprotesten in Cochabamba von den sozialen Organisationen erkämpfte, neu eingeführte „Gesetz über Trinkwasser und Sanitäranlagen“ gelte für sie nicht, hieß es seitens der Chefetagen schlicht. Das Gesetz sieht eine Modifizierung in der Tarifbestimmung und Mechanismen der Volksbefragungen zu Konzessionsvergabe und Tarifregelungen vor.
Statt die Situation der BewohnerInnen ernst zu nehmen, beklagte sich der damalige Chef von Aguas de Illimani, Arnau Bazire, im Dezember 2000 auch noch über seine KundInnen. „Die Alteños sind die schlechtesten Kunden und Konsumenten der Welt“, sagte er damals. Und Àlvaro Larrea Alarcrón, Ingenieur beim nationalen Fonds für regionale Entwicklung, sprach von einem „Kulturproblem“. Die Leute hätten keine Ahnung, man müsse „ihnen erst beibringen, sich täglich zu reinigen, die Pflanzen zu gießen und das Auto zu waschen“, sinnierte er weltfremd. Aus seinen Worten spricht dabei nicht nur das rassistische Stereotyp, die „Indios würden sich nicht ordentlich waschen“, sondern auch eine vollkommene Unkenntnis der sozialen Lage der Großstädter. Denn Autos haben die wenigsten, das Geld reicht oft gerade mal für den Bus. Dass die BewohnerInnen El Altos jedoch schlechte KundInnen sind, ist dagegen zumindest aus der kapitalistischen Sicht des Firmenchefs richtig. Gibt es in La Paz zahlreiche Bezirke mit einem hohen Wasserverbrauch, sucht man diese in El Alto vergeblich. Der durchschnittliche Wasserkonsum liegt hier bei lediglich sieben Kubikmeter pro Monat. Der Spitzenwert in La Paz beträgt 150 Kubikmeter. Die Effekte der Wirtschaftskrise in Argentinien und die Verteuerung des Wassers haben die BewohnerInnen in den letzten Jahren zusätzlich zur Sparsamkeit gezwungen.
Weltweit gilt: Mit den Armen lassen sich lukrative Geschäfte nur begrenzt machen. So ist es nicht verwunderlich, dass Suez-Lyonaisse des Eaux unlängst die Firmenstrategie änderte und 2003 den Rückzug aus den armen Ländern der Welt bekannt gab.
Aus dieser Perspektive betrachtet ist der Rausschmiss von AISA aus La Paz und El Alto also nicht nur ein Sieg der mobilisierungskräftigen sozialen Bewegung und eines schwachen Präsidenten, sondern für Suez wahrscheinlich auch ein willkommener Anlass den 1997 geschlossenen Vertrag vorzeitig beenden zu können. Und obwohl Carlos Mesa auf eine „einvernehmliche Vertragsbeendigung“ mit dem Konzern setzt, könnten Entschädigungsforderungen an den bolivianischen Staat durchaus noch folgen. Kurz vor Vertragsannullierung hatte der jetzige Leiter von AISA, Antoine Kuhn, in einem Schreiben an den Präsidenten diesen noch an seine „Pflicht, französisches Kapital in Bolivien uneingeschränkt zu schützen“, hingewiesen und ihm indirekt nahegelegt, mit Gewalt gegen die Demonstrierenden vorzugehen.
Nach einem dreimonatigen Übergang soll eine neue, gemeinnützige Institution die Wasserversorgung von El Alto und La Paz übernehmen und deren Ausbau vorantreiben. Diese soll demokratisch organisiert sein und von den Nachbarschaftsräten beider Städte sowie der Kirche und der Ständigen Versammlung der Menschenrechte kontrolliert werden.

Konflikte um Treibstoffpreise

Der andere Schauplatz massiver sozialer und politischer Proteste in Bolivien ist seit Beginn des Jahres die Stadt Santa Cruz im Osten des Landes. Noch kurz vor Jahresbeginn hatte Präsident Mesa die staatlichen Subventionen auf Treibstoffe gekürzt, was Preissteigerungen von bis zu 23 Prozent mit sich brachte. Deutliche Auswirkungen hatte diese Maßnahme, die Mesa mit „der Notwendigkeit, die Staatsausgaben zu senken“ begründete, auch auf die Preise von Grundnahrungsmitteln. Hintergrund des Subventionsabbaus ist die Koppelung neuer Kredite des IWF an eine Haushaltskonsolidierung und an eine geringere Neuverschuldung. Die Proteste ließen jedoch nicht auf sich warten. Im Parlament kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, aber auch außerhalb des Parlaments vereinten sich im Widerstand gegen den gasolinazo die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Sektoren. Zubringerstraßen wurden von TransportarbeiterInnen blockiert, Staatsgebäude von Studierenden besetzt und in den Komitees der Bürgervereinigungen traten UnternehmerInnen und StudentInnen in den Hungerstreik. Ein 48-stündiger Streik brachte Santa Cruz zum Erliegen. Die Präsenz von Streitkräften in den Straßen verstärkte sich. Das Bürgerkomitee von Santa Cruz avancierte schnell zum einflussreichsten Sprachrohr der Proteste. Diese Entwicklung spaltete wiederum die DemonstrantInnen und brachte die Landarbeitergewerkschaft und die Landlosenbewegung dazu, kurzfristig einen Marsch auf Santa Cruz abzublasen. Mit den Forderungen des Komitees nach Autonomie der Region wollten sie sich nicht solidarisieren.

Gespaltene Bewegungen

Seit einigen Monaten arbeiten die Bürgerkomitees von Santa Cruz und Tarija verstärkt auf eine regionale Autonomie dieser neuen Wirtschaftzentren Boliviens hin. Hier befinden sich die Erdgas- und Erdölvorkommen des Landes. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine prosperierende, vornehmlich kreolische Unternehmerklasse herausgebildet, die enge Verbindungen zu den Erdöl-Multis REPSOL und British Gas in der Region unterhält. Aus ihrer Abneigung gegen die sozialen Bewegungen des Hochlands macht sie keinen Hehl. Im letzten November ließ der Unternehmer und Präsident des Bürgerkomitee Pro Santa Cruz , Rubén Costas, unzweideutig verlauten: „Die Autonomiebewegung ist eine Gegenbewegung zu der Rebellion vom Oktober 2003. Ihre Agenda von sozialen und ökonomischen Veränderungen ist nicht haltbar, die Regierung muss sich von Evo Morales und seiner Partei der Bewegung zum Sozialismus (MAS) distanzieren.“ Gemeint dürfte hier in erster Linie die Erdgaspolitik sein. So fordert das Bürgerkomitee von Santa Cruz die Rücknahme der von der MAS im Parlament eingebrachten Gesetzesvorlage zur höheren Besteuerung der Erdgas- und Erdölproduktion. Zurzeit müssen transnationale Unternehmen 18 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen, die MAS fordert eine Erhöhung auf 50 Prozent. Für den Fall, dass ihren Forderungen nicht nachgekommen wird, droht das Komitee damit, „die Autonomie mit Gewalt durchzusetzen“. Für Anfang April ist eine Volksbefragung zur Autonomie angesetzt.

Autoritäre Avancen

Die Universitätsprofessoren Echazú Alvarado und Luis Alberto halten für den Fall, dass das Anliegen des Komitees über den demokratischen Weg nicht zum Erfolg führe, einen Putsch für durchaus realistisch. Es handele sich hier um eine erzautoritäre und rechte Bewegung, schreiben sie.
Einen Schlingerkurs bezüglich des Subventionsabbaus und der daraus folgenden Proteste lieferte Oppositionspolitiker Evo Morales von der MAS. Zunächst erklärte er den Präsidenten kurzerhand zum „Feind Nummer Eins des bolivianischen Volkes“ und forderte von Mesa die Rücknahme der Treibstoffpreiserhöhung oder vorgezogene Neuwahlen. Wenige Tage später machte er jedoch einen Rückzieher und stellte sich wieder stärker hinter die Regierung. Grund dafür könnte der erstarkende Einfluss bei den Protesten im Tiefland von eben jenen rechten UnternehmerInnen, die sich in der Vergangenheit deutlich gegen ihn gestellt hatten.
Ein paar Tage nach Beginn der Proteste senkte Präsident Mesa die Treibstoffpreise wieder um einige Centavos. Der Gewerkschaftsdachverband COB bezeichnete diesen Betrag jedoch als einen schlechten Witz. Die Proteste gehen somit vorerst weiter. Sollte Mesa mit der Vertragskündigung von Aguas de Illimani und den Minikorrekturen bei den Treibstoffsubventionen darauf spekuliert haben, die sozialen Proteste zu neutralisieren, hatte er damit bis jetzt nur bedingt Erfolg.

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