Nummer 501 - März 2016 | Venezuela

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Die venezolanische Regierung reagiert mit Wirtschaftsreformen auf die Krise

Mit der deutlichen Erhöhung der seit 20 Jahren eingefrorenen Benzinpreise und einer Währungsabwertung will die venezolanische Regierung die tiefe Wirtschaftskrise in den Griff bekommen. Die Opposition diskutiert derweil darüber, wie sie schnellstmöglich einen Regierungswechsel durchsetzen kann.

Von Tobias Lamber

Das Geld wird knapp. Seit dem Tod des damaligen Präsidenten Hugo Chávez vor drei Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation in Venezuela stetig verschlechtert. Doch mit dem Einbruch des Erdölpreises sind auch die Staatseinnahmen drastisch zurückgegangen. Mit etwa 25 US-Dollar pro Barrel lag das venezolanisches Öl zuletzt nur noch unwesentlich über den Produktionskosten. „Im Januar 2016 hatten wir Einnahmen von kaum 77 Millionen Dollar“, erläuterte der venezolanische Präsident Nicolás Maduro Mitte Februar die brenzlige Lage. Im Januar des Vorjahres seien es hingegen noch 815 Millionen und im Januar 2014 gar drei Milliarden US-Dollar gewesen. Angesichts der verlorenen Parlamentswahl im Dezember und den durch den niedrigen Ölpreis wegfallenden Staatseinnahmen, gab Maduro eine Reihe wirtschaftspolitischer Entscheidungen bekannt. Zunächst setzte er den Unternehmer Miguel Pérez Abad als neuen Vizepräsidenten für Produktive Wirtschaft ein, dem wichtigsten wirtschaftspolitischen Posten des Kabinetts. Nach nur sechs Wochen löst dieser damit den linken Ökonomen und Soziologen Luis Salas ab, der das Amt laut eigenen Angaben „aus familiären Gründen“ räumt. Unabhängig davon, ob dies zutrifft, deuten Beobachter*innen den personellen Wechsel als einen Annäherungsversuch an den Privatsektor.
Nachdem das Oberste Gericht (TSJ) grünes Licht für den umstrittenen, von Maduro bereits am 14. Januar verhängten Wirtschaftsnotstand gegeben hatte, verkündete der Präsident mehrere Wirtschaftsreformen. Die oppositionelle Mehrheit in der Nationalversammlung hatte das Notstandsdekret zwar abgelehnt, laut der Begründung des TSJ allerdings nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 48-Stunden-Frist.
Die Wirtschaftsreformen, denen das Parlament aufgrund des Wirtschaftsnotstandes nun nicht zustimmen muss, zielen überwiegend auf eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen ab. So hebt die Regierung, wie bereits seit langem angekündigt, den Benzinpreis in Venezuela deutlich an. Durch die bisherige Subventionierung entstanden dem Staat Kosten von bis zu 15 Milliarden US-Dollar jährlich. Das Thema ist heikel, da eine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verfügte Benzinpreiserhöhung im Februar 1989 massive Unruhen und Plünderungen auslöste, die bis zu 3.000 Toten mit sich brachten und als caracazo in die Geschichte eingingen. Seit 1996 waren die Benzinpreise eingefroren, obwohl die Inflation in dem Zeitraum laut offiziellen Angaben insgesamt etwa 1.000 Prozent betrug. Einen Tank füllten Autofahrer*innen bisher mit einer Hand voll Münzen, mit denen schon lange nichts mehr anderes zu kaufen ist.
Ein Liter Normalbenzin kostet seit dem 19. Februar nun nicht mehr 0,07 Bolívares, sondern einen Bolívar, das entspricht einer Steigerung von gut 1.300 Prozent. Der Liter Super steigt sogar um über 6.000 Prozent, von 0,097 auf sechs Bolívares. Egal welcher Wechselkurs zur Berechnung herangezogen wird, zählt der Benzinpreis in Venezuela damit immer noch zu den günstigen weltweit. Die hierdurch erzielten Erlöse sollen in den Fonds für Sozialprogramme fließen, 30 Prozent davon gezielt in den öffentlichen Nahverkehr. Proteste gab es dieses Mal nicht, die Preiserhöhung stieß überwiegend auf Verständnis.
Als zweite Maßnahme wird die Landeswährung Bolívar abgewertet. Künftig soll es zudem nur noch zwei statt drei offizielle Wechselkurse geben. Der Referenzkurs, der für den Import von Lebensmitteln und Medikamenten gilt, steigt von 6,3 auf zehn Bolívares pro US-Dollar. Der zweite Kurs beträgt zunächst 200 Bolívares pro Dollar und soll frei floaten. Hierdurch wird die Wechselkurspolitik vereinfacht, allerdings bleiben durch die zwei unterschiedlichen Wechselkurse bestehende Anreize für Korruption erhalten. Auf dem Schwarzmarkt wurden zuletzt über 1.000 Bolívares für einen Dollar gezahlt.
Die staatlich festgesetzten Preise, die für zahlreiche Lebensmittel gelten, bleiben vorerst bestehen, sollen aber grundsätzlich überarbeitet werden. Angesichts zahlreicher Korruptionsfälle im Lebensmittelsektor will Maduro das staatliche Supermarkt-Netz komplett umgestalten. Zur sozialen Abfederung wird schließlich der Mindestlohn um 20 Prozent und der Wert der Essensmarken, die häufig zusätzlich zum Lohn ausgezahlt werden, um etwa 50 Prozent erhöht. Zudem kündigte Maduro eine Steuerreform, zusätzliche Unterstützungsangebote für arme Haushalte und Investitionen im Infrastrukturbereich an.
Francisco Martínez, der Präsident des größten Unternehmerdachverbandes Fedecamaras kritisierte die Maßnahmen als „unzureichend für das Ausmaß der Krise im Land“. Politiker*innen des Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) äußerten sich ähnlich. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gehört vorerst allerdings nicht zur Priorität der Parlamentsfraktion des MUD, die bisher zwei konkrete Gesetzesvorhaben in erster Lesung verabschiedet hat: Ende Januar ein Gesetz, das den Begünstigten des sozialen Wohnungsbaus Eigentumstitel verleihen soll und Mitte Januar ein Amnestiegesetz. Die Bewohner*innen der einen Million Wohneinheiten, die die Regierung seit 2011 errichtet hat, würden statt sozial verträglicher Darlehen künftig reguläre Kredite abbezahlen. Das Amnestiegesetz für alle als politische Gefangene angesehen Personen ist zurzeit das wichtigste Projekt der Opposition. Die Regierung kündigte hierzu allerdings Widerstand an. Ein Vetorecht besitzt der venezolanische Präsident zwar nicht, doch er kann sich weigern, ein Gesetz zu unterzeichnen und dieses zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit an das Oberste Gericht weiterleiten. Die Unabhängigkeit des TSJ wird derweil von vielen Seiten angezweifelt. Die Opposition sieht in den Richter*innen, die durch die alte, chavistische Parlamentsmehrheit gewählt wurden, einen verlängerten Arm der Regierung. Und so diskutiert die Opposition intern vor allem darüber, wie sie zeitnah einen Regierungswechsel durchsetzen kann. Die erwogenen Möglichkeiten reichen vom erzwungenem Rücktritt des Präsidenten bis zu einer Verfassungsreform zur Verkürzung der Amtszeit. Für ein Abberufungsreferendum, das den in der Verfassung explizit vorgesehenen Weg darstellt, macht sich bisher vor allem Ex-Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles Radonski stark. „Nicht einmal die Chavisten selbst wollen ihn an der Macht“, gab er sich auf einer politischen Kundgebung Mitte Februar zuversichtlich über eine mögliche Abwahl Maduros.
Laut Verfassung könnte der MUD ab April, nach Ablauf der Hälfte von Maduros Amtszeit, Unterschriften für ein Abberufungsreferendum sammeln. Allerdings liegt das Risiko auf der Hand: Die Opposition müsste erneut auf den Straßen mobilisieren und im Falle eines Referendums nicht nur eine Mehrheit erreichen, sondern es darüber hinaus schaffen, in absoluten Stimmen über den 7,6 Millionen zu liegen, mit denen Maduro 2013 in den Präsidentenpalast gewählt wurde. Zwar nimmt die Kritik an ihm auch innerhalb des heterogenen chavistischen Lagers spürbar zu. Ob Maduro aber ein Abberufungsreferendum verlieren würde, ist längst nicht ausgemacht.

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