Costa Rica | Nummer 478 - April 2014

Unerwarteter Spannungsabfall

Für die Stichwahl am 6. April möchte Präsidentschaftskandidat Araya nicht mehr antreten. Entschieden ist die Wahl trotzdem noch nicht

Eigentlich sollen die Costa-Ricaner_innen entscheiden, ob Johnny Araya der regierenden Partei der Nationalen Befreiung (PLN) oder Guillermo Solís von der oppositionellen Mitte-Links-Partei der Bürgeraktion (PAC) Präsident werden wird. Doch Araya gab überraschend seinen Rückzug bekannt – angeblich, um den Weg für einen Politikwechsel frei zu machen. Sein Gegner Solís steht nun aber vor der Herausforderung, genug Menschen an die Wahlurnen zu bringen.

Markus Plate

San José, Mittagspause am 5. März: Ganze Büros schalten den Fernseher ein, Taxifahrer_innen drehen das Radio laut: Johnny Araya steigt einen Monat vor der Stichwahl um das Präsidentenamt aus dem Wahlkampf aus. Es ist eine Sensation: Costa Ricas (ex-)sozialdemokratische Partei, die dominierende politische Kraft der letzten sechs Jahrzehnte, geht damit die nächsten vier Jahre in die Opposition. Doch ganz sicher ist das noch nicht.
Arayas Gegner Guillermo Solís ist an diesem 5. März ebenso überrascht wie die gesamte Öffentlichkeit. Nun wird er wohl der nächste Präsident des zentralamerikanischen Landes, nachdem er den ersten Wahlgang ebenfalls überraschend für sich entscheiden konnte (siehe LN 477). Zum ersten Mal seit 1948 würde Costa Rica damit weder von der PLN, noch von den Christsozialen regiert und die Zweiparteienherrschaft beendet sein.
Arayas Pressekonferenz, auf der er seinen Ausstieg aus dem Wahlkampf erklärte, verlief so seltsam wie der gesamte Wahlkampf. Den ganzen Morgen hatten sich bereits entsprechende Gerüchte verdichtet. Aber zunächst durfte die Nation eine Stunde lang ein leeres Podium bestaunen. Schließlich erscheint ein quietschvergnügter Noch-Kandidat, will reden, doch das Saalmikrofon ist kaputt. „Ein Zeichen Gottes“ hört die Presse Arayas Ehefrau rufen, doch Araya ist nicht gewillt, sich von solchen Zeichen oder kaputten Mikros umstimmen zu lassen.
Er habe in den letzten Wochen einen immer stärker werdenden Wunsch in der Bevölkerung nach einem Regierungswechsel wahrgenommen, eine Tendenz, die angesichts begrenzter finanzieller Mittel kaum umzudrehen sei, begründet Araya seine Entscheidung. Er wolle den Wahlkampf beenden und bis zum 6. April keine politischen Aktivitäten mehr unternehmen.
Seit den Wahlen am 2. Februar hatte sich Arayas Position dramatisch verschlechtert. Vom selbst gesteckten Ziel, einem Sieg in Runde eins der Präsidentschaftswahlen, war Araya meilenweit entfernt. Diese Schlappe hatte für die Regierungspartei drastische finanzielle Folgen: Da die Partei für den angepeilten Sieg in Runde eins viel Geld in den Wahlkampf gesteckt hatte, blieb ihr nach der Wahlkampfkostenerstattung für die zweite Runde nur 15 Prozent des Gesamtbudgets übrig – weniger als ein Viertel dessen, was die PAC noch ausgeben kann. Auch die politische Stimmung hatte sich nach der ersten Runde noch einmal gegen Araya und die PLN gewendet. Umfragen gaben Solís plötzlich einen Vorsprung von mehr als 40 Prozentpunkten.
Die Entscheidung Arayas klingt nachvollziehbar, hat aber so einige Verwirrungen und Verwerfungen zur Folge. Zunächst hatte Araya seine Partei im Vorfeld nicht informiert. Die Reaktionen, vom Wahlkampfmanager über Partei- und Ortsvorstände bis hin zur Chefin der Jugendorganisation der Partei waren heftig: Sogar „Deserteur“ und „Feigling“ musste sich Araya aus den eigenen Reihen nennen lassen. Er löste das Wahlkampfbüro auf und macht sich seitdem weitgehend rar. Teile der Partei kämpfen aber bis heute weiter.
Die Wahlen werden nämlich trotz Arayas Ausstieg wie geplant am 6. April stattfinden, wie das Oberste Wahlgericht postwendend klarstellte. Denn die costa-ricanische Verfassung verbietet es eingeschriebenen Präsidentschaftskandidat_innen, ihre Kandidatur vor den Wahlen zurückzuziehen. Seither firmiert Araya als „passiver Kandidat“, am Wahltag wird er neben Guillermo Solís auf dem Wahlzettel stehen – und kann theoretisch durchaus noch zum Präsidenten gewählt werden.
Das Abtauchen Arayas erspart Costa Rica nun zwar einen teuren und polarisierenden Wahlkampf. Allerdings besteht die Gefahr, dass viele Wahlberechtigte der eigentlich nun überflüssigen Stichwahl fernbleiben – und Guillermo Solís am Ende ohne starkes Mandat zu einem nicht genügend legitimierten Präsidenten gewählt werden könnte.
Das mag, so lassen costa-ricanische Journalist_innen und Analyst_innen durchblicken, durchaus im Kalkül Arayas und seiner Partei liegen. Denn die Partei macht munter weiter Wahlkampf – in Gestalt ihrer neugewählten Abgeordneten und des Vizepräsidentschaftskandidaten Jorge Pattonni. Das tue man schon aus Respekt vor den Hunderttausenden, die der PLN in der ersten Runde ihr Vertrauen ausgesprochen hätten, ließ der Parteivorstand verlauten. Parteigänger_innen bloggen und posten weiterhin und auch ohne Wahlkampfteam und -budget touren PLN-Promis durch das Land. Wenigstens die eigenen Leute will man zum 6. April noch mobilisieren.
Guillermo Solís ist derweil auf einer äußerst seltsamen Wahlkampftour. Seine „Karavane der Freude“ duelliere sich mit einem „Phantom“, so Solís, einem nicht sichtbaren Gegner, der aber immer noch zur Wahl steht. Zudem kämpfe man nach wie vor gegen eine Partei, die noch nicht das Handtuch geworfen habe. Die größte Gefahr droht Solís aber durch eine massive Wahlenthaltung, die dem ersten PAC-Präsidenten Costa Ricas vielleicht nicht die demokratische Legitimierung, aber doch ein großes Maß an Rückhalt und Autorität kosten würde.
Solís wird daher auch nicht müde, vor dem Schaden zu warnen, den die costa-ricanische Demokratie nehmen würde, wenn bei einer solch historischen Wahl eine Mehrheit der Wahlberechtigten zu Hause bleiben würde. Der einsame Kandidat versucht die Wahlen umzudeuten – als Plebiszit für den Wandel. Für eine Renaissance der Sozialdemokratie, weg von einer neoliberalen und korrupten PLN, hin zu einer Regierung, die die Wirtschaft ankurbeln, den Reichtum besser verteilen und die Korruption effektiv bekämpfen will. „Wenn wir nur eine dieser drei zentralen Punkte unseres Programms nicht erfüllen können, hätte ich mein persönliches Guantánamo“, sagt Solís in Anspielung auf das uneingelöste Wahlversprechen des großen Kollegen im Norden.
Soziale Organisationen sind derweil mit einem dicken Forderungskatalog hinter Solís und den neuen PAC-Abgeordneten her: Die Pläne für einen Riesenstaudamm auf indigenem Gebiet im Süden des Landes sollen endlich aufgegeben werden (siehe LN 449), Medienaktivist_innen fordern die Zulassung von Gemeinderadios, das Wasser soll als öffentliches Gut deklariert, Privatisierungen verboten werden. Die gesellschaftliche Modernisierung steht an, das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem muss restauriert werden. Die Liste ist nach Jahrzehnten sozialtauber Regierungen endlos.
Für viele dieser Ziele rackert sich auch Student Christian Alfaro seit Monaten für die PAC ab. Doch gerade den vielen Freiwilligen der Solís-Kampagne macht der von Araya verursachte Spannungsabfall zu schaffen: „Wir hatten uns auf einen intensiven Wahlkampf mit viel Rückenwind und einem ernstzunehmenden Gegner gefreut und vor allem darauf, am 6. April über das korrupte Polit-Establishment triumphieren zu können, das uns sechzig Jahre lang regiert hat“, meint Alfaro. „Jetzt müssen wir uns mächtig motivieren, um in einer Situation, wo scheinbar schon alles gelaufen ist, noch mal richtig Gas zu geben. Stell dir nur vor, die halbe Welt bleibt am 6. April zu Hause! Dann könnte am Ende sogar noch Araya gewinnen.“

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