Argentinien | Nummer 381 - März 2006

Unkritische Fußballdiplomatie

Deutschland und die WM 1978 in Argentinien

Während der Fußball-WM 1978 vergnügten sich Tausende in den Stadien und ignorierten erfolgreich die Menschenrechtsverletzungen, die oft in nächster Nähe stattfanden. Deutsche Nationalspieler konnten sich zu Kritik nicht entschließen. Und der DFB änderte seine freundschaftliche Haltung zur Militärdiktatur auch nicht, als eine deutsche Staatsbürgerin ermordet wurde.

Wolfgang Kaleck

Argentinien präsentierte eine große Mannschaft, die der Fußballwelt einen neuen Stil zeigt.“ So beschrieb der argentinische Nationaltrainer César Luis Menotti den Sieg seiner Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1978. Fußballerisch war die WM ´78 eher schlapp, urteilen Experten. Dafür brachen die begeisterten Argentinier alle Zuschauerrekorde.
Unter den 77.000 Fans, die sich am 25. Juli zum Endspiel eingefunden hatten, um Argentinien gewinnen zu sehen, war auch der damalige Militärdiktator Jorge Rafael Videla.
Am 24. März 1976 hatte er sich an der Spitze einer Militärjunta an die Macht geputscht. Die ersten zwei Jahre der Diktatur waren auch die blutigsten, in denen die meisten der mutmaßlich 30.000 Diktaturopfer umgebracht wurden. Nur wenige Kilometer vom Ort des Endspiels, dem River-Plate-Stadion, entfernt, befand sich eine der schlimmsten Folterstätten Lateinamerikas: die Mechanikerschule der Marine, kurz ESMA, in der mehrere tausend Menschen gefoltert wurden.

Kalter Krieg

Die internationalen Gäste der WM hatte Videlas Staatsstreich nicht überrascht. Zwar war es für die USA und ihre Verbündeten in Argentinien nicht notwendig, den Putsch der Militärs vom 24. März 1976 wie in Chile drei Jahre zuvor aktiv zu unterstützen. Doch wie später bekannt wurde, waren die Botschafter der westlichen Regierungen über den geplanten Putsch informiert worden, und nicht nur die deutschen Unternehmer am Rio de la Plata begrüßten ihn. Die Machtübernahme durch den als gemäßigt geltenden katholischen Militärgeneral Videla wurde als Ausweg aus dem „Chaos“ angesehen, das nach internationaler Meinung Argentinien in den frühen Siebzigern beherrschte.
Deutsche Diplomaten bemühten sich, das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen herunterzuspielen. Ganz im Lichte des Kalten Krieges wurden die Berichte der Menschenrechtsorganisationen als kommunistische Propaganda und als von bewaffneten Umstürzlern instrumentalisiert betrachtet. Im Laufe der Jahre 1977/ 1978 war das Ausmaß von Folterungen, Morden und „Verschwinden lassen“ nicht mehr zu leugnen. Doch selbst dann noch legte man im Kreise deutscher Diplomaten Wert darauf, dass die traditionell guten militärischen, ökonomischen und politischen Beziehungen zu Argentinien nicht von der Menschenrechtsfrage dominiert wurden.
Für einen Boykott der Weltmeisterschaft als angemessene Reaktion auf die Militärdiktatur sprach sich keiner der qualifizierten nationalen Fußballverbände aus. Dabei wurden nicht einmal zwei Jahre später die Olympischen Spiele in Moskau 1980 als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan von westlichen Staaten boykottiert – die Argumente hierfür hätten für die Militärdiktatur in Argentinien nicht weniger gegolten.
In den deutschen Berichten über die WM 1978 mischten vor allem Altnazis, deutsch-nationale Funktionäre und Anti-Kommunisten auf offizieller Seite der Berichterstattung mit. Ihnen gegenüber standen wackere Pastoren, einige sozial-demokratische Bundestagsabgeordnete und die Solidaritätsbewegung. In den Jahren 1977 und 1978 hatte eine bundesweite Koordination von Lateinamerika- und anderen Gruppen unter dem eingängigen Slogan „Fußball ja, Folter nein“ den Versuch unternommen, die bundesdeutsche Öffentlichkeit über die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur zu informieren und das Ereignis der WM 1978 für eine Solidaritätskampagne mit Argentinien zu nutzen. Man hatte sich auf vier Forderungen geeinigt: Bis zur Fußballweltmeisterschaft sollten mindestens 500 argentinische politische Gefangene in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden und allen in ausländische Botschaften geflüchtete ArgentinierInnen die freie Ausreise ermöglicht werden. Die argentinische Regierung sollte eine vollständige Liste aller politischen Gefangenen in Argentinien veröffentlichen. Eine unabhängige internationale Kommission sollte alle argentinischen Gefängnisse und Folterlager untersuchen.

Das Wort zum Sonntag

Diese Forderungen wurden nicht durchgesetzt. Erst Ende der 1970er Jahre bildete sich eine erste alternative Öffentlichkeit mit den dazu gehörenden Medien. In der bürgerlichen Presse wurde die Menschenrechtssituation kaum erwähnt. Eine der wenigen Ausnahmen war das „Wort zum Sonntag“, das die ARD am 25. Juni 1977 sendete. Der spätere Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Pfarrer Helmut Frenz, ging auf das Freundschaftsspiel zwischen Argentinien und Deutschland in Argentinien ein: „Ob einer unserer Fußballfunktionäre einmal in den Regierungspalast gegangen ist? Ob er den dortigen Militärdiktatoren die Verachtung der Menschenrechte in ihrem Land vorgehalten und die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert hat? Es ist kaum anzunehmen. … Ich finde das sehr schlimm: Wenn es um die Folterungen geht, dann ist Argentinien weit, weit weg. Geht es aber um Fußball, dann blickt fast unsere ganze Nation mit leidenschaftlicher Beteiligung auf dieses Land.“
Frenz hatte recht. Der deutschen Öffentlichkeit präsentierten die Boulevardmedien ein folkloristisches Argentinien der Gauchos. Dieses Medienbild einer WM in einem gastfreundlichen südamerikanischen Land sollte nicht durch einen progressiven Pfarrer gestört werden. So intervenierte der DFB-Präsident Hermann Neuberger mit einem Brief an den Intendanten des Süddeutschen Rundfunks am 01. Juli 1977: Der DFB forderte, dass der Intendant dafür sorge, dass „solche Dinge“ sich nicht wiederholen. Der „politische Zungenschlag“ dieses Wortes zum Sonntag sei allzu deutlich und es sei „ja so leicht, über irgendeinen anderen Menschen, ein anderes Land, ein anderes Volk, eine nicht passende Regierung den Stab zu brechen.“

Der Fall Käsemann

Dabei hätten Neuberger und der DFB allen Grund gehabt, sich gerade im Vorfeld des Freundschaftsspiels am 4. Juni 1977 um die argentinischen Verhältnisse zu kümmern. Kurz vor dem Spiel war die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann nach mehrmonatiger Folterhaft ermordet worden. Käsemann war am 9. März 1977 gemeinsam mit ihrer englischen Freundin Diana Houston in Buenos Aires verschleppt worden. Sie befand sich bereits mehrere Wochen in den geheimen Folterzentren Campo Palermo und El Vesuvio, als auf Druck von Großbritanien Diana Houston freigelassen wurde. Die Freigelassene berichtete über die schweren Folterungen, der ihre Freundin ausgesetzt war. Doch die deutsche Diplomatie war nicht in der Lage, den nötigen Druck für die Freilassung Elisabeth Käsemanns auszuüben. Vielmehr wurde sie wenig später gemeinsam mit anderen Mitgefangenen bei einem gestellten Gefecht erschossen. Der Obduktionsbericht des Institutes für Gerichtsmedizin der Universität Tübingen erbrachte eindeutig den Nachweis, dass vier Schüsse in den Rücken, darunter einer im Genickbereich, die Todesursache waren. Offiziell gab die deutsche Regierung durch den damaligen Botschafter in Argentinien, Jörg Kastl, den Tod von Elisabeth Käsemann am 06. Juni 1977 bekannt, also zwei Tage nach dem Freundschaftsspiel gegen Argentinien.
Seine Einbeziehung in den Fall Käsemann gab DFB-Präsident Hermann Neuberger im April 1978 in einem Interview zu: „Ich habe 1977 vor unserem Spiel in Argentinien ein sehr, sehr langes Gespräch mit dem dortigen Botschafter geführt, über diesen einen Fall, der ja dann bekannt wurde (aufgrund der Gesamtumstände kann das nur der Fall Elisabeth Käsemann gewesen sein, Anm. d. Red.). Ich war mir mit dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft klar, dass wir unser Freundschaftspiel dort absolvieren sollten.“
Damit gibt Neuberger selbst zu, dass sowohl ihm, als auch den deutschen Behörden schon vor dem Länderspiel am 04. Juni 1977 bekannt war, dass Elisabeth Käsemann umgebracht worden war. Die deutsche Öffentlichkeit wollte man aber erst Tage später über diesen Todesfall unterrichten, um das Freundschaftsspiel in Ruhe zu absolvieren.
Zwar gab es unter den damaligen Fußballnationalspielern einige, die ein kritisches Verhältnis zu der Diktatur hatten. Der damalige Fußballstar Paul Breitner warf Neuberger vor, dieser hätte als Vizepräsident des Weltfußballverbandes Möglichkeiten genug gehabt, politisch auf die Zustände in Argentinien einzuwirken. Breitner hatte gefordert: „Verweigert Argentiniens Generälen den Handschlag!“ Nationaltorwart Sepp Maier wollte soweit nicht gehen, berichtete aber, dass in der Mannschaft abgesprochen war, dass man im Falle des Erreichens des WM-Finales den Diktatoren so fest die Hände drücken wollte, dass diese den Schmerz fühlen sollten.
Manfred Burgsmüller sprach mit seinen abwägenden Worten sicher einigen aus der Seele:
„Man hätte die Weltmeisterschaft da gar nicht hingeben sollen. Was amnesty international macht, finde ich richtig. Aber wenn ich jetzt sage, dass ist eine Schweinerei, was da in Argentinien passiert, besteht doch die Gefahr, dass man uns das aufs Butterbrot schmiert und wir drüben vier böse Wochen erleben. Der Haken ist, wenn wir uns stark machen, kommt das vielleicht als Bumerang zurück.“

Kein Einsehen bis heute

Noch weniger konnte man von den Repräsentanten des DFB erwarten, die aus ihrer rechten Gesinnung kein Hehl machten. Neuberger hatte die argentinische Militärdiktatur bereits zuvor positiv kommentiert: „Die Wende zum Besseren trat mit der Übernahme der Macht durch die Militärs ein.“
Der DFB hat sich bis heute für sein damaliges Verhalten nicht entschuldigt und erst kürzlich ein Gespräch mit Kritikern aus der „Koalition gegen die Straflosigkeit“ ohne Begründung verweigert. Im Juni 2005 wurden beim Konföderations-Cup-Spiel zwischen Argentinien und Australien in Nürnberg ZuschauerInnen von Polizei und Sicherheitskräften überwacht. Transparente mit den Aufschriften „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“ und „Wo sind sie ?“ wurden ihnen auf dem Weg ins Frankenstadion abgenommen – politische Äußerungen seien dort nicht erlaubt.

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