Kolumbien | Nummer 385/386 - Juli/August 2006

Uribe bis 2010

Kolumbien bleibt eine rechte Ausnahme auf dem „linken“ Subkontinent

Entgegen dem südamerikanischen Trend gewinnt der rechtsgerichtete Hardliner Álvaro Uribe die kolumbianischen Präsidentschaftswahlen mit großem Vorsprung. Sein linker Gegenkandidat Carlos Gaviria landet weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz, während die traditionellen Parteien in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Sven Schuster

Am 28. Mai – kurz nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe – stimmten mehr als 62 Prozent der KolumbianerInnen für Álvaro Uribe. Dieser kann nun seine vor vier Jahren begonnene Präsidentschaft bis 2010 fortführen, ohne sich einer Stichwahl zu stellen. Obwohl Wahlforscher schon seit Wochen den Erfolg des rechten Hardliners prognostiziert hatten, kam ein derart klarer Sieg dennoch überraschend. Trotz der hohen Enthaltung von 55 Prozent handelt es sich um das beste Wahlergebnis, das je ein kolumbianischer Präsident errungen hat. Das linke Bündnis Polo Democrático Alternativo (PDA) um den Ex-Verfassungsrichter Carlos Gaviria kam hingegen auf 22 Prozent, während die Liberale Partei mit 12 Prozent abgestraft wurde. Die Konservativen hatten erst gar keinen Kandidaten aufgestellt.

Ende des Zwei-Parteien-Systems

Die herbe Niederlage der Liberalen und der Konservativen, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die politische Macht in Kolumbien geteilt hatten, bedeutet zugleich das definitive Ende des traditionellen Zwei-Parteien-Systems. Anders als in den Nachbarländern, ist es der Linken in Kolumbien jedoch kaum gelungen, von der Ausdifferenzierung des Parteiensystems zu profitieren. Stattdessen begeistert sich die Mehrheit der KolumbianerInnen für einen rückwärtsgewandten Nationalismus und den von Uribe propagierten „Krieg gegen den Terror“.
Als Uribe im Jahre 2002 zum ersten Mal das Präsidentenamt antrat, versprach er, mit militärischen Mitteln gegen die aufständischen Gruppen FARC und ELN vorzugehen. Daneben leitete er umfassende Reformen des Staatsapparats ein. Nach der Dezentralisierung der Verwaltung und einer Welle von Privatisierungen, befindet sich Kolumbien zumindest im makroökonomischen Sinne auf dem „richtigen“ Weg. Das jährliche Wirtschaftswachstum von etwa vier Prozent kommt dabei freilich nur einer Minderheit zugute, während die Armutsrate weiter ansteigt. Zusätzlich hat sich die Qualität der formellen Arbeit verschlechtert. Dass Uribe im Amt bestätigt wurde, lässt sich also kaum auf eine erfolgreiche Sozialpolitik zurückführen.
Der Präsident, dem allgemein Fleiß, Führungsstärke und Glaube an die neoliberalen Dogmen nachgesagt werden, bezieht seine Legitimation im Wesentlichen aus seiner Sicherheitspolitik. So ist es ihm gelungen, die linksgerichtete Guerilla in Randgebiete abzudrängen und das staatliche Gewaltmonopol in einigen Landesteilen zurückzuerobern. Dem gingen die Verdoppelung der staatlichen Sicherheitskräfte sowie die Aufstockung des Waffenarsenals mit US-Hilfe voraus. Ebenfalls mit Unterstützung der USA intensivierte Uribe den Kampf gegen die Drogenmafia. Wie erfolgreich dieser Kampf nun ist, lässt sich bislang nicht klären. Für die Mehrheit ist allerdings entscheidend, dass unter Uribe erstmals wieder Reisen in entfernte Landesteile möglich sind. Zudem ist es der Regierung gelungen, die rechtsradikalen Paramilitärs, denen zahlreiche Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt werden, vollständig zu demobilisieren. KritikerInnen weisen zwar darauf hin, dass es sich dabei eher um die „Legalisierung“ paramilitärischer Strukturen handele – die meisten KolumbianerInnen halten den Prozess dennoch für einen Erfolg.

Sonderfall Kolumbien

Nach Jahren des bewaffneten Konflikts zwischen Regierung, Aufständischen und Paramilitärs, wählten die KolumbianerInnen im Jahre 2002 mit Uribe die militärische Option. Das damalige Motto lautete: “give war a chance“. Nun, vier Jahre später, hat sich ein autoritäres Regime installiert, das nur aufgrund einer Verfassungsänderung überhaupt zur Wiederwahl stand. De facto handelt es sich um die erste konsekutive Wiederwahl seit mehr als 100 Jahren. Dabei nimmt die Mehrheit der Bevölkerung billigend in Kauf, dass unter Uribe die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen getreten werden. Schon seit geraumer Zeit gewähren diverse Anti-Terror-Gesetze dem militärisch-polizeilichen Apparat eine nie gekannte Autonomie, während sich die politische Macht immer mehr zu Gunsten der Exekutive verschiebt. Der kolumbianische Kongress, in dem die partikularen Interessen der Abgeordneten überwiegen, hat seine Kontrollfunktion längst eingebüßt.
Obwohl der linke PDA mit 22 Prozent der Stimmen die zweitstärkste politische Kraft darstellt, ist der Abstand zum uribistischen Wahlbündnis Primero Colombia mehr als deutlich. Hierbei ist anzumerken, dass linke Bewegungen in Kolumbien schon immer mit erheblichen Widerständen zu kämpfen haben. Neben dem allgemeinen Klima der Repression, sind insbesondere die linksgerichteten Guerilleros für die Schwäche der linken Parteien verantwortlich. Da sich FARC und ELN in den letzten Jahrzehnten immer mehr von ihren sozialistischen Idealen entfernt haben und sich mit dem Status Quo begnügen, ist das linke Projekt insgesamt diskreditiert worden. Aufgrund ihrer offenkundigen Verbindungen zur Drogenökonomie haben die Aufständischen jegliche Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren. Hinzu kommt, dass ehemalige Guerilleros des M 19 mittlerweile hohe Positionen in Staat und Verwaltung besetzen und nicht selten in Korruptionsskandale verwickelt sind. Sämtliche Versuche eine politische Alternative zum Zwei-Parteien-System zu bieten, wurden in der Vergangenheit mit Gewalt und politischer Ausgrenzung beantwortet. So standen linke Parteien bis in die 90er Jahre automatisch im Verdacht, als politischer Arm der Guerilla zu fungieren.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus als Erfolg zu werten, dass der PDA im Vergleich zur letzten Wahl seinen Stimmenanteil vervierfachen konnte. Uribes autoritärer Diskurs der „harten Hand“ ist für die Mehrheit der KolumbianerInnen jedoch noch immer überzeugender.

Mit den USA gegen Chávez?

Eine der wichtigsten Herausforderungen Uribes wird sicherlich der Umgang mit Hugo Chávez sein. Denn während die USA eine Isolationspolitik gegenüber der venezolanischen Regierung betreiben, soll Kolumbien zum Musterverbündeten aufgebaut werden. Neben der Ratifikation eines bilateralen Handelsabkommens stehen deshalb auch Verhandlungen über eine mögliche NATO-Assoziation auf dem Programm. Sowohl im militärischen, als auch im wirtschaftlichen Bereich handelt es sich um Schritte, die eindeutig gegen Chávez gerichtet sind. Dieser reagierte seinerseits mit dem Austritt aus dem Andenpakt und denkt nun offen über den Ankauf russischer Waffensysteme nach. Manche Analysten sprechen deswegen bereits von einer Neuauflage des Kalten Krieges auf südamerikanischem Boden.
Andererseits ist Uribe nur bedingt gewillt, vollständig mit Venezuela zu brechen. Denn immerhin ist das Land der zweitwichtigste Handelspartner nach den USA. Das Projekt einer gemeinsamen Ölpipeline ist beispielsweise einer der Eckpfeiler von Uribes Wirtschaftsagenda. Trotzdem kommt es zwischen beiden Nationen immer wieder zu ernsthaften Verstimmungen. Erst im Dezember 2004 beendete Venezuela für kurze Zeit die diplomatischen Beziehungen, nachdem kolumbianische Sicherheitskräfte ihre Verstrickung in die Gefangennahme eines FARC-Guerilleros in Caracas zugegeben hatten. Venezuelas Provokation besteht nach Meinung Uribes darin, den aufständischen Guerilleros einen Rückzugsraum zu bieten.
Angesichts dieser Umstände bleibt zu hoffen, dass sich beide Seiten in Zukunft auf ihre inneren Probleme konzentrieren. Für die nächsten vier Jahre ist anzunehmen, dass Uribe die Militarisierung der kolumbianischen Gesellschaft vorantreibt, seinen neoliberalen Kurs beibehält und die Menschenrechte weiter mit Füßen tritt. Gemeinsam mit Paraguay bildet Kolumbien somit die unrühmliche Ausnahme auf dem ansonsten „linken“ Subkontinent.

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