Nummer 344 - Februar 2003 | Venezuela

Venezolanische Opposition in der Sackgasse?

Das vorläufige Scheitern der Opposition, Chávez aus dem Amt zu jagen

In Venezuela wissen zur Zeit weder Regierung noch Opposition einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Während Präsident Chávez weiter mauert, läutete das durchmischte Oppositionsbündnis den nächsten Schritt im Kampf um seine Absetzung ein.

Gregory Wilpert

Ein Jahr nach dem ersten „Generalstreik“ der Opposition, mit dem die Kampagne zur Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten, Hugo Chávez, begann, befinden sich die oppositionellen Kräfte seit dem 2. Dezember 2002 in ihrem vierten „Generalstreik“. Landesweit blieben viele Geschäfte und fast alle Privatschulen geschlossen, die Straßen waren so leer wie sonst nur am Sonntag.
Schon am zweiten Tag war jedoch klar, dass ein solcher Streik sich nicht allein würde tragen können. Doch die Opposition verlängerte ihn um einen weiteren Tag – immer wieder, bis heute. Auch als sich abzeichnete, dass er außer bei einigen großen Unternehmen wie McDonalds, Großsupermärkten und Privatschulen eine sehr geringe Resonanz erfuhr. Die Opposition hält trotzdem an ihrer Behauptung fest, der Streik sei ein überwältigender Erfolg.

Ölchefs für Opposition

Am vierten Tag des Streiks wendete sich das Blatt zu ihren Gunsten. Die Manager und Verwaltungsangestellten von Venzuelas Ölgesellschaft, PDVSA. protestierten vor der Hauptniederlassung der Ölgesellschaft. Trotz der kontinuierlichen Bemühungen des Präsidenten der PDVSA, mit den abtrünnigen Managern zu verhandeln, entschieden sich diese für den Streik. Der bekam aber erst mehr Dynamik, als sich einen Tag später auch Tankerkapitäne und Hafenarbeiter anschlossen.
Am achten Tag des Streiks umzingelten Chávez-AnhängerInnen die großen Fernsehstationen in der Hauptstadt und im Rest des Landes, und führten laute Kochtopfkonzerte auf. Nach einigen Stunden folgten die DemonstrantInnen der Aufforderung von prochavistischen Abgeordneten und des Generalssekretärs der Vereinigung Amerikanischer Staaten, César Gaviria, und zogen sich zurück. Für die oppositionsfreundlichen Medien waren diese Proteste der Beweis dafür, dass Venezuela ein totalitärer Staat ist.
Die Proteste lieferten der Opposition die Rechtfertigung, den Streik fortzusetzen. Für die staatseigene Ölgesellschaft PDVSA hatte das fatale Folgen. Durch die Schließung der größten Ölraffinerie Venezuelas und den Streik der Dockarbeiter halbierte sich der Ölumschlag von drei Millionen Barrels pro Tag (bpd) auf 1,5 bpd. Der Präsident der PDVSA, Alí Rodríguez, erklärte, dass die Wirtschaft durch den Stillstand der Ölförderung pro Tag an die 50 Millionen Dollar verliere. Fast die gesamte wirtschaftliche Aktivität in Venezuela hängt von den stetigen Ölförderungen ab.
In Bezug auf den Außenhandel warnte Rodríguez bereits Mitte Dezember davor, dass Venezuela die internationalen Ölabnehmer verlieren und zahlungsunfähig werden würde, wenn die Ölproduktion nicht bald wieder angekurbelt werde.

Verhaltener Optimismus

Ende Dezember 2002 und Anfang Januar 2003 behauptete die Regierung mehrmals, die Kontrolle über Ölproduktion und Verschiffung mit Hilfe des Militärs, der nicht-streikenden Teile der Geschäftsführer und Arbeiter, sowie ausländischen Beratern und Firmen größtenteils wiedererlangt zu haben. Das Ölangebot werde binnen weniger Tage auf dem vorherigen Stand sein.
Die Opposition bestritt jedoch beharrlich, dass die Regierung in der Lage sei, die Ölindustrie erfolgreich wieder in Gang zu setzen. Mitte Januar sagte Alí Rodriguez, dass die Ölproduktion wieder zwei Millionen Tonnen pro Tag erreicht hätte und dass die Raffinerien wieder in Betrieb wären. Dennoch gab es weiterhin lange Schlangen vor Tankstellen.

Demos um die Wette

Die ganze Zeit über versuchten Opposition und Regierung ihre Anhänger zu riesigen Demonstrationen zu mobilisieren. Am 7. Dezember organisierte die Regierung eine Demonstration vor dem Präsidentenpalast, die mehrere Hunderttausende von UnterstützerInnen anzog. Die Opposition konterte mit einer Großdemonstration am 14. Dezember, bei der ebenfalls Hunderttausende zusammenkamen.
Die genaue Betrachtung dieser Demonstrationen zeigte, dass die AnhängerInnen der Regierung überwiegend aus den ärmeren – dunkelhäutigen – Schichten kommt, während die der Opposition weitgehend aus der hellhäutigeren Mittelklasse stammt. Die privaten Massenmedien Venezuelas vermeiden es jedoch, über Pro-Chávez-Demonstrationen zu berichten und den Klassencharakter, der dem Konflikt zu Grunde liegt, zu erwähnen.
Bei ausländischen Medien ohne eigene Beobachter, entsteht so der Eindruck, die Opposition hätte eine massive Unterstützung quer durch alle Schichten der venezolanischen Gesellschaft.

Vermittlung durch OAS

Während des Streiks hatte der Generalsekretär der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), César Gaviria, den nicht beneidenswerten Job zwischen der Regierung und der Opposition zu vermitteln. Die Verhandlungen blieben bis Ende Januar nahezu erfolglos.
Die drei großen Probleme Venezuelas wurden nicht gelöst: Durch Neuwahlen zu einem Ende der Krise zu kommen; eine Wahrheitskommission einzurichten, um die Geschehnisse während des Putschversuchs vom 11. bis 13. April zu untersuchen; und einen Entwaffnungsplan für die schwer bewaffnete Bevölkerung aufzustellen. Nach wie vor ist völlig unklar, in welcher Weise die Verfassung geändert werden soll, zu welchem Zeitpunkt Neuwahlen angesetzt werden können und was überhaupt auf den Verhandlungstisch kommen soll.

Freunde für Venezuela

Um mehr Druck auf die Verhandlungen auszuüben, schlug der neue brasilianische Pasident Luis Ignacio „Lula“ da Silva vor, gemeinsam mit mehreren Ländern eine „Gruppe der Freunde Venezuelas“ zu bilden, um bei der Lösung der Probleme zu vermitteln.
Um nicht ins Abseits manövriert zu werden, griff die US-Regierung diesen Vorschlag auf und versuchte, ihn sich zu eigen zu machen, indem sie verschiedene Länder als mögliche „Freunde Venezuelas“ empfahl. Darunter waren die USA selbst und Spanien. Beide haben eine ablehnende Haltung gegenüber der Regierung Chávez.
Doch wenn man davon ausgeht, dass Chávez glaubt, den Streik gebrochen und die Kontrolle über die Ölindustrie wiedererlangt zu haben, wird er sowieso kaum neuen Vereinbarungen zuzustimmen. Parallel zu den Verhandlungen und zum Streik tobte eine Debatte um ein Referendum. Am 4. November legte die Opposition über zwei Millionen Unterschriften vor, die eine „konsultative“ Befragung über einen freiwilligen Rücktritt des Präsidenten forderten. Die neue Verfassung Venezuelas lässt eine Befragung vor Ablauf der ersten Hälfte der Amtszeit nicht zu, die im Falle Chávez Mitte August 2003 um wäre. Da die Opposition aber Chávez so schnell wie möglich loswerden will, stimmt sie für den schnelleren und einfacheren Weg und fordert die Volksbefragung. Weil weniger Unterschriften dafür notwendig sind, ist sie einfacher durchzuführen. Außerdem führt sie schneller zu Ergebnissen, da weniger Stimmen benötigt werden.
Der nationale Wahlrat, der scheinbar mit der Opposition sympathisiert, erklärte die Unterschriften für gültig und legte den 2. Februar für ein Referendum fest. Der Oberste Gerichtshof verweigerte aber seine Zustimmung.
Es sieht so aus, als wäre die Opposition möglicherweise gescheitert, Chávez durch einen Streik in der Ölindustrie, über Verhandlungen oder über eine Volksbefragung aus dem Amt zu jagen. Nun hat sie eine neue Strategie eingeschlagen: den Steuerboykott, ein eindeutig illegaler Schritt. Doch laut der Opposition ist die Chávez-Regierung ein diktatorisches Regime – und die neue Verfassung erlaubt den zivilen Ungehorsam gegen undemokratische Regierungen.

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