Nicaragua | Nummer 217 - Juli 1992

Verwirrung um Finanzstopp

Nicaraguas Wirtschaft im US-Wahlkampf

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, wie abhängig die nicaraguanische Regierung von internationaler Finanzierung ist, so ist dieser in den letzten Wochen erbracht worden. Einhundert Millionen Dollar Wirtschaftshilfe der USA für Nicaragua wurden kurzfristig eingefroren. Die Initiative für diese Sperrung ging aus vom Demokratischen Kongreßabgeordneten David Obey, der als Vorsitzender des Unterausschusses für Auslandshilfe des US-Kongresses einen solchen Stopp durchsetzen kann. Heftige Debatten sind sowohl in Nicaragua als auch in den USA ausgebrochen. Die Gründe für das Einfrieren der Hilfe werden unterschiedlich dargestellt. Während Obey vorgibt, die Verwendung von US-Wirtschaftshilfe nach entwicklungspolitischen Kriterien überprüft haben zu wollen, benutzt die ultra-rechte Republikaner-Fraktion das Druckmittel Wirtschaftshilfe, um die nicaraguanische Regierung zu einer radikaleren Konfrontationspolitik gegenüber den SandinistInnen zu zwingen. Die nicaraguanische Wirtschaft reagierte prompt und sensibel.

Bernd Pickert

Seit einem Jahr hat Nicaraguas Rechte in Parlamentspräsident und Ex-Contra-Führer Alfredo César einen neuen Wortführer. Spätestens seit die Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro im September 1991 einen von César eingebrachten und von der rechten Mehrheit des Parlamentes verabschiedeten Regierungsentwurf zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse stoppte, gilt Parlamentspräsident César als unumstrittener Führer der rechten Opposition zur Regierung.
Am 20. Mai verkündete César, er wisse von einem Brief, den 24 US-Abgeordnete an die Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro geschrieben hätten. Laut César enthielt dieser Brief den Vorwurf an die Regierung, die den USA gegebenen Versprechen nicht eingehalten zu haben. Namentlich: Armee und Polizei seien noch immer unter sandinistischer Kontrolle, die Umstrukturierung sei nicht weit genug gegangen. Sandinistische Unternehmen würden von den staatlichen Banken bei der Kreditvergabe bevorzugt, die mit US-Mitteln finanziert werde. Die USA würden nicht eine “Doppelregierung” mit den SandinistInnen finanzieren wollen, sondern die Politik der bei den Wahlen erfolgreichen “Nationalen Oppositions-Union (U.N.O.). Dies könne dazu führen, so César, daß die USA ihre Hilfe für Nicaragua überdenken könnten.
Die angesprochenen RegierungsvertreterInnen reagierten heftig. Heereschef Humberto Ortega erklärte vor dem Parlament, César betreibe einen Plan, um die ausländische Hilfe zu blockieren und die Regierung unter Druck zu setzen. Der Minister für Auslandskooperation Erwin Krueger betonte, daß die Banken ausschließlich nach finanzwirtschaftlichen Kriterien agieren würden. Außerdem sei es “in Nicaragua kein Verbrechen, Sandinist zu sein.”
Doch der Zug war bereits angefahren. In der “Washington Post” griff die ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Jeane Kirkpatrick, Césars Stellungnahmen auf. Kirkpatrick, zu Zeiten Präsident Reagans eine der vehementesten UnterstützerInnen der Contra, wiederholte damit ein Vorgehen, das in der Vergangenheit so oft geklappt hatte: Von den USA gestützte nicaraguanische PolitikerInnen werden als “authentische Stimmen” zitiert. Diese wiederum greifen die Kritik aus den USA auf, um ihre eigene Position zu stärken. Die Contra-Connections funktionieren noch.
Aber noch war nichts geschehen. Die Geschichte hätte als plumpe Provinzposse enden können, wäre nicht wenige Tage später dem Kongreßabgeordneten und Vorsitzenden des Unterausschusses für Auslandshilfe David Obey die Idee gekommen, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die bevorstehende Auszahlung von 100 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe an Nicaragua zu blockieren. Obeys Begründung: Das nicaraguanische Bankwesen habe im letzten Jahr zu große Verluste erwirtschaftet, die Hilfe sei mehr für den Import von Konsumgütern als für Investitionen ausgegeben worden. Gleichzeitig kündigte Obey an, die US-Regierung würde sich noch wundern, was alles am Bewilligungsausschuß scheitern könnte. Die Demokraten wollen insgesamt 1,2 Milliarden Dollar aus den Anträgen der Bush-Regierung für Auslandshilfe für das kommende Jahr streichen. Offenbar empfehlen sie sich so als zum Sparen fähige Partei – es ist Wahlkampf.
Ein weiterer Punkt: Nach dem Rücktritt des bisherigen US-Botschafters in Managua, Harry Shlaudeman, steht die Neubesetzung dieses Postens aus. Vorgesehen dafür ist Joseph Sullivan, der im Verdacht steht, in einen CIA-Deal während des nicaraguanischen Wahlkampfes verwickelt zu sein. Ein Betrag von 600.000 US-Dollar soll an den offiziellen Kanälen vorbei an die U.N.O. geflossen sein. Ein Parlamentsausschuß fertigte einen Untersuchungsbericht über die Vorwürfe an, der unmittelbar nach Abschluß als “streng geheim” klassifiziert wurde. Offenbar auch, um die Veröffentlichung dieses Berichtes zu erzielen, verfügte der Demokrat Obey die Sperrung der Gelder.
Damit sei Obey “voll in die Falle der Ultra-Rechten getappt”, kommentieren US-Solidaritätsgruppen diesen Vorgang. Es scheint tatsächlich, als ob die Gruppe der 24 Abgeordneten rechtzeitig von Obeys Plänen erfahren habe und Alfredo César informierte. Gemeinsam wurde dann ein propagandistisches Klima geschaffen, in dem es bei Bekanntwerden des Hilfestopps so scheinen mußte, als würden die “Warnungen” von César sich bewahrheiten.
In der öffentlichen Debatte in Nicaragua ist das auch genauso verstanden worden. Als Verantwortliche für die Mittelsperrung werden Alfredo César und der republikanische US-Senator Jesse Helms gesehen, der schon in der Vergangenheit bei Besuchen Violeta Chamorros in den USA auf eine härtere Gangart gegen die SandinistInnen gedrängt hatte.

Druck und Gegendruck

Der Zeitpunkt des Hilfestopps war auch deshalb entscheidend, weil das Geld dringend für eine im Juni fällige Zinszahlung an den Internationalen Währungsfonds benötigt wurde. Ein Ausfall dieser Zahlung hätte den Stopp weiterer internationaler Gelder bewirken können, der angesichts des hohen Finanzbedarfs zu Beginn der Regenzeit, wenn in der Landwirtschaft die Aussaat ansteht, katastrophale Folgen haben könnte. Zwar sind durch vorgezogene Finanzierungen aus anderen internationalen Quellen diese Gefahren zunächst abgewendet worden. Doch reagierte die nicaraguanische Gesellschaft prompt. Auf dem Schwarzmarkt schnellte der Dollarkurs, seit nunmehr fünfzehn Monaten stabil, von 5,15 auf 5,50 Córdobas pro Dollar nach oben. Supermarktketten brachen Stabilitätsabkommen mit der Regierung: Der Preis für Speiseöl stieg innerhalb kurzer Zeit um 15 %.
Die Regierung mobilisierte nationale und internationale politische Kräfte, um gegen den Stopp der Hilfe zu protestieren. Die zentralamerikanischen PräsidentInnen nutzten ihr lange geplantes Gipfeltreffen am 4. und 5. Juni, um die USA eindringlich zur Fortführung der Hilfe an Nicaragua aufzufordern. Zwei Tage zuvor hatten sich bereits die zentralamerikanischen Wirtschaftsminister “besorgt” über die Aussetzung der Hilfe geäußert.
Auch in Nicaragua kritisierten die meisten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft den Schritt des Kongresses. Kardinal Obando y Bravo sprach sich für die Wiederaufnahme der Hilfe aus, ebenso wie der somozistische Bürgermeister von Managua, Arnoldo Aleman. Letzterer hat auch kaum eine andere Wahl, denn gerade seine Verwaltung ist eine der Hauptempfängerinnen von US-Hilfe.
Geteilter sind die Ansichten im nicaraguanischen Parlament. Ein von der Präsidentin eingebrachter Resolutionsentwurf wäre zunächst fast an der Weigerung von Parlamentspräsident César gescheitert, ihn überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Aber auch in der Abstimmung schlossen sich nur 52 von 92 Abgeordneten der Erklärung an – große Teile der U.N.O.-Fraktion stimmten dagegen. Diese verfaßten stattdessen einen “offenen Brief” an Violeta Chamorro, in dem es unter anderem heißt:
Wir “wenden uns erneut an Sie, in tiefer Sorge über die außerordentlich ernste Lage, die in Nicaragua entstanden ist aufgrund des destabilisierenden und archaischen Verhaltens führender Mitglieder der FSLN, die nach wirtschaftlichen Vorteilen und wachsender Teilhabe an der Macht streben, und infolge der geduldigen und beschwichtigenden Haltung Ihrer Regierung gegenüber der FSLN. […] Das Verhalten Ihrer Regierung, die jedes Maß verloren hat, und über Präsidialminister Antonio Lacayo ständig und öffentlich politische Kontakte zu FSLN-Generalsekretär Daniel Ortega und dem Chef des Sandinistischen Volksheeres, General Humberto Ortega, pflegt, untergräbt die demokratische Grundordnung unseres Staates. […] All dies hat das demokratische Image Ihrer Regierung befleckt und ist der Grund für die Entscheidung des US-Kongresses, die die so notwendige internationale Hilfe für unser Land blockiert.” (Quelle: Monitor-Dienst 110/92)
Und wieder funktionierte das alte System: Offenkundig unter Bezugnahme auf diesen Brief, in dem an anderer Stelle vom “Entstehen einer neuen Diktatur in Nicaragua” die Rede ist, bewirkte der Rechtsaußen-Senator Helms mit einem Brief an die Führung der “US-AID”, die die Projekthilfe für Nicaragua kanalisiert, daß nunmehr auch diese einen Betrag von sechzehn Millionen Dollar gestoppt hat. Der nicaraguanische Minister Erwin Krueger zu Jesse Helms: “Er akzeptiert nicht, daß wir den Konflikt hier politisch und nicht militärisch gelöst haben, wie er sich das gewünscht hätte.

Trübe Aussichten

Bei Redaktionsschluß ist nicht abzusehen, wie das Dilemma enden wird. Zwar berichten Quellen, daß der 100-Millionen-Stopp bereits Anfang Juli aufgehoben werden könnte, doch ist dies bislang nicht bestätigt. Hält die Aussetzung an, muß befürchtet werden, daß die Inflationsbekämpfung, einzig sichtbarer Erfolg der Chamorro-Wirtschaftspolitik, bald zusammenbrechen wird. Schließlich basiert die Stabilität des Córdobas nicht auf einer gefestigten Produktion, sondern auf der Finanzierung der Währung durch internationale Gelder. So hat Finanzminister Pereira auch schon angekündigt; wenn die Hilfe ausbliebe, müßten Steuern erhöht und öffentliche Investitionen gestoppt werden. Seine Beschwichtigung klingt jedoch fast zynisch: “Wir werden die geplanten 5 % Wachstum nicht erreichen, aber die Situation wird nicht viel schlechter.” Vielleicht hat er recht: Viel schlimmer kann’s nicht mehr werden. Und doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Ein nicht zuletzt aus taktischen Gründen des US-Wahlkampfes unternommener Schritt bringt die Stabilisierungsbemühungen eines ganzen Landes ins Wanken.
Wer politisch als Sieger aus dem Konflikt vorgeht, ist noch nicht ausgemacht. Wieder rücken Regierung und FSLN gegen die Hardliner der U.N.O. enger zusammen, doch hat die Kritik an dieser “Doppelregierung” neue internationale Foren gefunden. Ob sich der Versöhnungskurs gegenüber den SandinistInnen, der zur Durchsetzung des neoliberalen Modelles notwendig ist, angesichts dieser Anfeindungen wird halten können, steht permanent zur Disposition. Schon kursieren Gerüchte, die nicaraguanische Rechte plane die Durchführung einer Volksabstimmung über Neuwahlen noch vor Ende der Legislaturperiode 1996.

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