Kolumbien | Nummer 465 - März 2013

Vorläufiger Meilenstein

Trotz Gerichtsurteil geht der Landkonflikt in der kolumbianischen Gemeinde Las Pavas weiter

Die Gemeinde Las Pavas gewinnt im Landrechtsstreit gegen ein Palmölunternehmen. Der Präzedenzfall weckt bei Bäuerinnen und Bauern in ganz Kolumbien die Hoffnung, dass ihnen ihr gestohlenes Land zurückgegeben wird. Doch der positive Gerichtsentscheid kontrastiert mit den anhaltenden Repressalien durch das Unternehmen und den tatenlos zuschauenden Behörden vor Ort.

Jann Duri Bantli

Die Gemeinde von Las Pavas bekommt Recht. Das kolumbianische Institut für ländliche Entwicklung Incoder teilte Mitte November 2012 mit, die 2661 Hektar Land der Finca Las Pavas im Nordosten Kolumbiens an die Bauernorganisation Asocab zu übertragen. In ihrem mehr als sechsjährigen Kampf um die Landtitel haben die Bäuerinnen und Bauern somit einen Meilenstein erreicht. Allerdings hat der aktuelle Besitzer, die Palmölfirma Aportes San Isidro, gegen das Urteil Einspruch eingelegt, was einen definitiven Entscheid nochmals um Jahre hinauszögern wird.
„Dieser Beschluss ist von großer Bedeutung für die Kleinbauern in Las Pavas und Kolumbien“, sagt Misael Payares, einer der Vorsitzenden von Asocab. Der gewaltlose Widerstand von Las Pavas gilt als Präzedenzfall im Kampf gegen den Ausverkauf des Landes an transnationale Unternehmen. Dem Urteil des Incoder wird deshalb Beispielcharakter eingeräumt. Die Regierung Santos kündigte ein Programm der Landrückgabe an. Bauern und Bäuerinnen in ganz Kolumbien, die im Laufe des gewaltsamen Konfliktes vertrieben und enteignet worden sind, hoffen, nun endlich entschädigt zu werden.
Der Beschluss des Incoder resultierte aus einer weiteren Inspektion vor Ort, bei der es um die Besitzfrage der letzten drei Grundstücke ging. Zuvor sind schon elf Grundstücke als brachliegend deklariert worden. Brachland gehört dem Staat und darf per Gesetz ausschließlich an Kleinbauern und -bäuerinnen zur Nutzung, aber nicht an Private verkauft werden. Zudem wies das Verfassungsgericht einen Einspruch von Aportes San Isidro gegen das Urteil T-267 aus dem Jahr 2011 ab. Dieses Urteil besagt, dass die Kleinbäuerinnen und -bauern von Asocab als Landvertreibungsopfer das Recht haben, das Gebiet der Finca so lange zu bewohnen und zu bewirtschaften, bis das Incoder im Landrechtsstreit einen Entschluss gefasst und diesen umgesetzt hat.
Die positiven Nachrichten aus Bogotá kontrastieren jedoch mit der angespannten Situation auf dem Feld, wo Aportes San Isidro systematisch gegen das Urteil T-267 verstößt. „In Kolumbien gilt das Gesetz nur für die einen“, beklagt sich Luis Carlos Mercado, ein Mitglied von Asocab. „Das Verfassungsgericht und das Incoder entscheiden zu unseren Gunsten, aber die palmeros setzen nach wie vor alles daran, uns vom Gebiet zu vertreiben!“ Die Kleinbauern und -bäuerinnen werden täglich bedroht und mit gezückten Waffen am Arbeiten gehindert. Auf ihren zur Saat vorbereiteten Feldern pflanzt das Unternehmen stattdessen Palmen an. Die wenigen Ernten werden systematisch zerstört. „Am 31. Dezember haben sie den Zaun meiner Parzelle durchschnitten und eine Viehherde in das Maisfeld getrieben. Innerhalb eines Tages war die ganze Ernte dahin“, erzählt Robelio Puerta Peña.
Seit mehreren Monaten blockiert Aportes San Isidro die öffentliche Zufahrtsstraße auf die Finca mit zwei Toren. Dies zwingt die Bauern und Bäuerinnen dazu, einen großen Umweg zu machen. Die Polizei schaut dem Treiben des Unternehmens tatenlos zu. Sogar das Innenministerium hat gegenüber den rechtlichen Vertreter_innen der Gemeinde zugegeben, dass gegen die Macht der regionalen Oligarchen nichts unternommen werden könne. Die kolumbianische Menschenrechtsorganisation Pensamiento y Acción Social übt in diesem Zusammenhang heftige Kritik an der Regierung: „Bis heute gibt es kein staatliches Programm zum kollektiven Schutz von ganzen Gemeinden. Die Kleinbauern von Asocab werden den Drohungen und Attacken durch das Unternehmen weiterhin schutzlos ausgeliefert sein.“
Die fehlenden Sicherheitsmaßnahmen für die Gemeinde haben einen direkten Einfluss auf deren Ernährungslage. Wer nicht erntet, produziert keine Nahrungsmittel und hat dementsprechend nichts zu essen. Die von dem Palmölunternehmen angewandte Strategie des systematischen Aushungerns scheint vollends aufzugehen. „Unter Hunger Widerstand zu leisten, ist sehr schwierig. Die Menschen verlassen das Dorf auf der Suche nach Alternativen. Das wiederum schwächt die Organisation“, erklärt Payares.
Auch wenn viele Kleinbäuerinnen und -bauern es satt haben, zu säen obwohl die Saat mit großer Wahrscheinlichkeit zerstört wird, haben einige die Hoffnung nicht verloren. So auch Puerta Peña: „Wir werden uns neu organisieren und in kleinen Gruppen von zehn bis fünfzehn Personen arbeiten. Tag und Nacht wird jemand auf der Parzelle sein und die Saat beziehungsweise die Ernte schützen.“ Puerta Peña hat wie viele der Kleinbauern und -bäuerinnen keine andere Wahl. Er besitzt kein weiteres Land. Momentan sichern Hühner das Überleben seiner siebenköpfigen Familie: „Mit dem Geld der Eier kaufen wir uns ein bisschen Reis, zudem gehe ich fischen. Manchmal frage ich mich, von wo meine Frau das Essen herzaubert. Aber irgendetwas haben wir bisher immer auf dem Teller gehabt.“ Das Dorf zu verlassen kommt für ihn nicht in Frage. „Ein Bruder hat mir zwar angeboten, mit meiner Familie in die Region La Guajira zu ziehen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen und kämpfe um diese Parzelle!“
Das Palmölunternehmen erhebt vor dem Incoder mit dem Argument Einspruch, die Kleinbauern und -bäuerinnen seien sogenannte falsche Vertriebene und hätten daher kein Anrecht auf die Landtitel. Währenddessen versuchen die rechtlichen Vertreter_innen von Asocab den Prozess zu beschleunigen. „Wir fordern vom Staat, dass er das Einspruchsverfahren abkürzt, weil das Unternehmen die Grundrechte der lokalen Bevölkerung aufs Gröbste verletzt, und sofort mit der Überschreibung der Landtitel beginnt. Ansonsten wird es zwischen fünf und zehn Jahre dauern, bis ein definitiver Entschluss feststeht“, sagt Vanessa Estrada.
Der Fall der landlosen Bauern und Bäuerinnen von Las Pavas sorgte vor dreieinhalb Jahren in Europa für Aufruhr. Verschiedene Medien berichteten von der illegalen Vertreibung von 123 Bauernfamilien zugunsten eines Konsortiums von Palmölfirmen. Darunter war ein Tochterunternehmen von Daabon Organics, Biopalmölzulieferer für The Body Shop, Alnatura, Rapunzel und Biosuisse. Payares hatte daraufhin die Möglichkeit, die Situation seiner Gemeinde vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Genf zu schildern. Der nationale und internationale Druck auf Daabon Organics nahm in der Folge zu. Eine vor Ort eingesetzte Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass die Region aus ökologischen und sozialen Gründen für die Palmölmonokultur nicht geeignet ist. Schließlich kündigte The Body Shop die Zusammenarbeit mit Daabon Organics auf. Am 22. März 2011 zog sich Daabon aus Las Pavas zurück und überließ ihren Anteil der Firma Aportes San Isidro, die seither als Alleinbesitzer fungiert.
Die Finca Las Pavas befindet sich im Delta des Río Magdalena im Nordosten Kolumbiens, einer der fruchtbarsten Zonen des Landes. In den 1980er Jahren kaufte der frühere Besitzer Jesús Emilio Escobar unter dubiosen Umständen verschiedene Gebietsstücke von den lokalen Kleinbäuerinnen und -bauern auf, um darauf extensive Viehzucht zu betreiben. Mit dem Tod seines Neffen Pablo Escobar und dem Ende des Drogenkartells von Medellín im Jahr 1993 verließ der Besitzer die Finca. In der Folge wurde das Gebiet wiederum von den Bäuerinnen und Bauern aus der angrenzenden Gemeinde Buenos Aires landwirtschaftlich genutzt und es wurde reichlich Mais, Yucca und Reis produziert. Dies änderte sich um die Jahrtausendwende. Damals nahmen paramilitärische Einheiten, von Großgrundbesitzern finanziert und durch die staatlichen Behörden unterstützt, die bis dahin von der Guerilla des ELN kontrollierte Region ein. An der Zivilbevölkerung wurden Gräueltaten verübt, Morde und Verschwindenlassen gehörten zum Alltag. Paramilitärs tauchten wiederholt auf dem Großgrundbesitz von Las Pavas auf und vertrieben die Bäuerinnen und Bauern unter der Androhung von Gewalt. Dass diese ihre Drohungen in die Tat umsetzen würden, bewiesen die Leichenteile, die im durch das Dorf führenden Fluss trieben.
Im Jahr 2006 reichte die Vereinigung Asocab bei Incoder ein Gesuch auf Übertragung der Landtitel ein. Doch Escobar verkaufte das Gebiet wenige Monate später an das Konsortium El Labrador. Dieser Verkauf wurde von den staatlichen Behörden fälschlicherweise abgesegnet. Im Juli 2009 kam es nach dem Entscheid eines lokalen Richters zu einer abermaligen Vertreibung der Bäuerinnen und Bauern, diesmal durch den Staat. Sie zogen sich in das fünf Kilometer entfernte Buenos Aires zurück, wo mit der Unterstützung nationaler und internationaler Organisationen der gewaltlose Widerstand weitergeführt und ausgebaut wurde. Zu jenem Zeitpunkt griffen europäische Medien den Fall auf und brachten ihn neu ins Rollen. Der Prozess vor dem Incoder wurde neu aufgerollt und auf staatlicher Ebene gegen die Vertreibung Einspruch eingelegt. Nachdem das Verfassungsgericht mit dem Urteil T-267 zugunsten der Bauern und Bäuerinnen entschieden hatte, kehrten im April 2011 116 Familien ein weiteres Mal nach Las Pavas zurück, wo sie seither ausharren und auf konkrete Handlungen aus Bogotá warten.
Die ungleiche Landverteilung ist ein strukturelles Problem und der Auslöser für die sozialen Missstände und Konflikte in Kolumbien. Die Guerilla der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) hat sich vor fünfzig Jahren aus diesem Grund für den bewaffneten Kampf entschieden. Heute steht die Forderung nach einer Agrarreform ganz oben auf der Agenda der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC. Ein langfristiger und nachhaltiger Frieden ist nur möglich, wenn den Millionen von Binnen-vertriebenen Landtitel zugesprochen und diese vom Staat auch eingehalten und geschützt werden. Menschenrechtsorganisationen begrüßen den positiven Entscheid im Fall von Las Pavas. Allerdings vermuten sie, dass die Regierung von Präsident Santos ihr groß angekündigtes Programm der Landrückerstattung bei solchen einzelnen Beispielen belassen wird, statt es umfassend umzusetzen.

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