Migration | Nummer 464 - Februar 2013

Vorwärts oder zurück?

Lateinamerikanische Migrant_innen auf der Suche nach Auswegen aus der spanischen Wirtschaftskrise

Die europäische Finanzkrise hat in Spanien massive Auswirkungen. Nach wie vor ist fast ein Viertel der Bevölkerung arbeitslos. Besonders hart trifft die Krise auch die vielen Migrant_innen aus Lateinamerika, die einst ihre Heimat mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa verlassen hatten. Verschiedene Organisationen und Programme nehmen sich der prekären Situation der Migrant_innen an und versuchen, Auswege aus der Krise zu schaffen.

Anke Raffenbeul

Die Cafeteria Vivalto liegt in Badalona, einem Vorort von Barcelona. Sie ist José Cornejo Ventocillas und Rocio Muguruza Díaz‘ ganzer Stolz. Vor zwei Jahren, im Juli 2011, haben die beiden Peruaner_innen sie eröffnet. Rocio arbeitete damals nur noch stundenweise, in ihrer Freizeit klapperte sie Banken und gemeinnützige Organisationen ab, auf der Suche nach Unterstützung. Irgendwann fragte sie auch beim Roten Kreuz an und stieß dort auf das Proyecto Impuls@.
Dieses Projekt wurde 2004 vom Roten Kreuz ins Leben gerufen. Eine Initiative, die sozial benachteiligte Unternehmensgründer_innen unterstützen soll. In erster Linie richtet diese sich an Immigrant_innen, da diese in der Regel mehr Schwierigkeiten im Berufsleben haben. Aber natürlich werden auch Spanier_innen beraten und unterstützt, wenn sie um Hilfe bitten.
Das Rote Kreuz fördert die zukünftigen oder jungen Unternehmer_innen mit Schulungen und gibt Hilfestellung bei den Anträgen für Mikrokredite an die Banken. Seit 2001 werden in Spanien solche Mikrokredite von bis zu maximal 25.000 Euro vergeben, mit deren Hilfe für viele Unternehmensgründer_innen die Selbstständigkeit ermöglicht werden kann. Die Zahl der Unternehmensgründer_innen im Projekt Impuls@ sei in den letzten Jahren gleichwertig geblieben, so Sandra Camús, eine der Mitarbeiterinnen des Projektes, da habe die Krise keine bedeutenden Veränderungen hervorgerufen. Allerdings habe sich die Krise auf die Vergabe der Mikrokredite ausgewirkt, diese werden inzwischen nur noch selten bewilligt. Außer­dem wird das Projekt im nächsten Jahr von Kürzungen betroffen sein, wie auch sonst überall im spanischen Sozialwesen eingespart wird. Für das Jahr 2013 sind im Projekt Impuls@ Kürzungen von 43 Prozent geplant. Noch ist nicht bekannt, wo die Einsparungen ansetzen, wie viele Arbeitsstunden, oder Arbeitsplätze betroffen sind. Noch weiß man im Roten Kreuz deshalb nicht, welche Weiterbildungen und Förderungen im nächsten Jahr angeboten werden können.
Das Projekt endet jedoch nicht mit der erfolgreichen Geschäftsgründung, sondern begleitet die Unternehmer_innen auch noch nach den ersten Schritten. Mindestens die ersten zwei Jahre werden sie vom Roten Kreuz beraten und betreut, denn dies ist der Zeitraum, in dem viele neugegründete Unternehmen wieder schließen müssen. Im Jahr 2011 waren es zirka 120 Personen, die das Projekt Impuls@ aufsuchten. 14 von ihnen konnten ihr Projekt letztendlich mit Hilfe des Roten Kreuzes umsetzen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl sogar um mehr als das Doppelte gestiegen, von sechs auf 14. Die Statistiken für das Jahr 2012 sind noch nicht bestätigt, doch es waren wohl um die acht bis neun Personen, so Sandras Schätzung. Zu den 14 erfolgreichen Unter­nehmer_innen aus dem Jahr 2011 gehören Rocio und José mit ihrer Cafeteria.
Als Rocio und José den Entschluss eine Cafeteria zu eröffnen fassen, sind sie bereits einige Jahre in Spanien. Rocio kam 2001 illegal nach Spanien. Später folgt ihr José. Da ihm ein Touristenvisum verweigert wird, heiraten die beiden kurzerhand, denn Rocio ist inzwischen legal in Spanien. Das war 2007. José findet schnell Arbeit, auch wenn er stark überqualifiziert ist. Doch mit der Wirtschaftskrise wird die Situation schwieriger. Früh fangen beide an zu sparen und machen sich als Subunternehmer_innen für Josés Arbeitgeber selbstständig. Doch als dieser seine Firma schließen muss, lohnt sich das Geschäft nicht mehr – auch wenn sie es bis heute nebenbei betreiben. Rocio arbeitet zu dem Zeitpunkt zwölf Stunden am Tag in einer Cafeteria für 900 Euro im Monat. Der Entschluss, eine eigene Cafeteria zu eröffnen festigt sich. Und Rocios damaliger Chef, den beide als guten Freund bezeichnen, unterstützt sie sogar in dieser Entscheidung.
Eine der wenigen Initiativen des spanischen Staates, Bürger_innen aus der Arbeitslosigkeit zu helfen, ist die „Capitalización del paro“. Dies bedeutet, dass die_der Betroffene sich zur Gründung eines Unternehmens sein Arbeitslosengeld auszahlen lässt. Rocio geht diesen Weg und lässt sich ihr Geld auszahlen. Die beiden legen alles Ersparte zusammen und bitten sogar ihre Eltern in der Heimat um Unterstützung. 60 Prozent des benötigten Geldes können sie aufbringen. Was jetzt noch fehlt bekommen sie als Mikrokredit, den sie mit Unterstützung des Roten Kreuzes beantragen und in erstaunlich kurzer Zeit zugesagt bekommen. Abgesehen von der „Capitalización del paro“, gibt es noch eine weitere Hilfe des Staates, eine einmalige Erstattung bereits getätigter Ausgaben der ersten Monate. Dieses Geld ist Rocio im Dezember 2011 bewilligt worden. „Ich habe noch gesagt, das ist unser Weihnachtsgeschenk“, lacht José. 5.000 Euro sollen ihnen ausgezahlt werden. Bis jetzt haben sie keinen Cent gesehen.
Man sagt, dass man nach drei bis fünf Jahren erkennt, ob sich ein Geschäft durchgesetzt hat. Ob es ein Verlustgeschäft war, oder Gewinn bringt. Rocio und José sind mit ihrer Cafeteria noch keine zwei Jahre selbstständig. Die Kosten werden inzwischen vom Geschäft getragen, „Aber wir verdienen keinen Euro extra für uns, alles wird sofort von den Ausgaben geschluckt.“ Rocio wirkt ein wenig abgekämpft. Jeden Tag arbeiten die beiden von morgens bis abends. „Manchmal verkaufen wir lediglich einen Kaffee den ganzen Tag“, so José. Aber sie stehen zu ihrer Entscheidung, bereuen nichts und blicken entschlossen in die Zukunft. „Man muss jetzt weiterkämpfen“, so Rocio. Trotzdem: “Wenn ich deutsch könnte, hätte ich mich schon längst auf den Weg gemacht!”, meint sie. Und auch José sind solche Gedanken nicht fremd: “Da ist diese Stimme in meinem Kopf, dass ich jetzt in Peru leicht Arbeit als Ingenieur finden könnte”.
So oder ähnlich denken viele Immigrant_innen und auch Einheimische. Laut dem Nationalen Statistikinstitut (INE) haben zwischen Januar und September dieses Jahres 420.150 Personen Spanien verlassen. Am stärksten war die Abwanderung in Katalonien, aus dem 149.000 Personen ausgewandert sind, 138.000 davon waren Immigrant_innen. Viele wandern in Nordeuropäische Länder aus, wo sie sich bessere berufliche Chancen ausrechnen.
Seit dem Beginn der Krise zwischen 2008 und 2011 sind in Spanien 2,2 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, so die Studie „Auswirkungen der Krise auf die Immigrantenbevölkerung“ von der Internationalen Organisation der Migra­tionen (OIM). Doch während 11,5 Prozent der spanischen Arbeiter_innen ihre Stelle verloren, war die Migrant_innenbevölkerung stärker betroffen. 15 Prozent der Lateinamerikaner_innen und der Immigrant_innen aus dem restlichen Europa verloren ihren Arbeitsplatz, unter den afrikanischen Immigrant_innen waren es 21 Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrifft 18,4 Prozent der Spanier_innen, ist dagegen bei den Afrikaner_innen mit 39,1 Prozent doppelt so hoch. Die Lateinamerikaner_innen sind mit 28,5 Prozent Arbeitslosigkeit die am schwächsten betroffene Gruppe unter den Immigrant_innen.
Trotz der deprimierenden Situation für viele Spanier_innen hat der Rassismus nicht in auffälliger Weise zugenommen. „Die Leute haben verstanden, dass weder die Krise noch die Arbeitsmarktprobleme die Schuld der Immigrant_innen ist, die ihnen die Arbeit wegnehmen, sondern dass das wirtschaftliche System, die Banken und die großen Firmen verantwortlich sind“, meint Javier Bonomi, Präsident von Fedelatina (Federación de Entidades Latinoamericanas de Cataluña) und Koordinator des Programms für die Freiwillige Nachhaltige Rückkehr. Aber den Immigrant_innen bietet sich noch eine andere Möglichkeit: die Rückkehr in die Heimat. Seit einigen Jahren werden von staatlicher Seite Anreize für eine Rückkehr in die Heimatländer angeboten. Man kann hier die „Capitalización del paro“ beantragen und sich sein Arbeitslosengeld auszahlen lassen, wenn man sich im Gegenzug verpflichtet, Spanien zu verlassen. Auf den ersten Blick ein verlockendes Angebot, aber wenn man sich zu diesem Schritt entschließt, muss man alle spanischen Papiere, wie Krankenversicherung und Führerschein abgeben und man darf für mindestens drei Jahre nicht wieder einreisen.
Die Räume von Fedelatina sind im Altstadtviertel von Barcelona zu finden. Schon an der Tür auf der Straße weist ein Schild auf die Informationsveranstaltung an diesem Nachmittag hin. Wenn man durch die große Tür von der Straße hereinkommt betritt man einen langen Flur. Auf der linken Seite ist eine kleine Rezeption, rechts gegenüber stehen ein paar Stühle. Die Stühle sind alle besetzt, einige Besucher_innen stehen auch. Ein gutes Dutzend Lateinamerikaner_innen sind gekommen, um sich über den Retorno Voluntario Sostenible, die “Freiwillige Nachhaltige Rückkehr“ zu informieren. Ein Paar ist mit ihren zwei kleinen Töchtern gekommen. Sie alle suchen nach Auswegen aus der schwierigen Situation in Spanien.
Nach einer Weile wird die Gruppe von Jara Esbert-Pérez, Leiterin des Projektes, in den kleinen Vortragsraum am Ende des Flurs gebeten. Jara begrüßt die Gruppe und stellt Javier und sich selbst vor, bevor sie beginnt über die „Freiwillige Rückkehr“ zu reden.
Zuerst erklärt Jara die verschiedenen Programme, die es in Spanien und Katalonien gibt, und die Immigrant_innen verschiedenster Nationen die Möglichkeit einer Rückkehr in die Heimatländer bieten. Denn nicht jeder erfüllt die Kriterien für die Freiwillige Nachhaltige Rückkehr, und so sollen den anderen weitere Möglichkeiten und die dazugehörigen Kontaktdaten angeboten werden, damit sie das Treffen nicht ratlos verlassen müssen. Und wirklich kommen die Nachfragen. Der Vater der beiden kleinen Mädchen möchte wissen, welche Programme für ihn und seine Familie in Frage kämen, da seine Frau Italienerin sei. Und ein junger Mann erkundigt sich, ob sich seine erworbene spanische Staatsangehörigkeit auf die Freiwillige Rückkehr auswirke.
Jara kommt auch auf psychologische Betreuung zu sprechen, die bei den wenigsten Programmen gewährleistet ist. Denn oft fühlt sich die rückkehrende Person als Versager. Wollte man nicht etwas erreichen, Geld verdienen, die Familie in der Heimat unterstützen? Und nun die erfolglose Rückkehr? „Ganz genau!”, flüstert eine Kolumbianerin in der letzten Reihe zustimmend.
Es gibt vieles, auf das man achten muss, wenn man die Freiwillige Rückkehr als Möglichkeit in Betracht zieht. Man muss sich der Konsequenzen bewusst sein, vor allem, dass einem die Wiedereinreise für drei Jahre verwehrt wird. Aber auch technische Dinge müssen bedacht werden, denn bei vielen Programmen muss man das Land innerhalb kurzer Zeit verlassen und gleichzeitig selbst für das Flugticket aufkommen, was viele Rückkehrer_innen auf einmal vor nicht bedachte finanzielle Probleme stellt. Das Projekt der Freiwilligen Nachhaltigen Rückkehr wird in diesem Jahr zum ersten Mal durchgeführt. Es wird von der Europäischen Union und der Organisation der Iberoamerikanischen Staaten für Bildung, Wissenschaft und Kultur (OEI) getragen und in vier europäischen Ländern – Spanien, Portugal, ltalien und England – durchgeführt, wiederum in Zusammenarbeit mit sechs Lateinamerikanischen Ländern: Bolivien, Ecuador, Brasilien, Kolumbien, Peru und Paraguay. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss also aus einem dieser sechs Länder sein. Sie_Er muss sich in einer situacion irregular befinden, was bedeutet, dass sie_er weder Arbeit hat noch Arbeitslosengeld bekommt, zwischen 25 und 45 Jahre alt ist, und über ein gewisses Bildungsniveau verfügt.
Die Ausgewählten durchlaufen einen strengen Auswahlprozess. Nachdem sie die Informationsveranstaltung besucht haben, können sie gleich im Anschluss ein Antragsformular ausfüllen. Wenn sie die Kriterien erfüllen, werden sie zu verschiedenen persönlichen Gesprächen und Treffen eingeladen. Sind alle Hürden genommen, beginnt die dreimonatige Ausbildung in Barcelona, die online geplant ist, wobei Fedelatina auch Präsenzveranstaltungen bieten möchte. Schließlich dann die Rückkehr ins Heimatland. Das Projekt kommt hierbei für das Flugticket auf. Vor Ort dann sind weitere zwei bis drei Monate Online-Ausbildungen geplant, bis man mit Hilfe des Ministeriums für Arbeit und verschiedenen anderen Organisationen in den Arbeitsmarkt eingegliedert wird. Die Ausbildungen werden in Sektoren wie Konstruktion, Technologie und Kommunikation, Tourismus und Gastronomie, Handel, Kundenbetreuung, Kinderbetreuung, Altenpflege und Hauswirtschaft angeboten, sowie Kleingewerbe. „Kundenbetreuung zum Beispiel“, so erklärt Jara, „wir alle hier wissen, dass unsere Anrufe an diverse Callcenter nach Lateinamerika weitergeleitet werden. Da sind diejenigen von euch im Vorteil, die hier ein wenig Katalanisch gelernt haben. Denn wenn ihr dort mit ‚Bon dia‘ statt ‚Buenos Días‘ antwortet, habt ihr schon mal einen Pluspunkt.“
„Wichtig ist die Nachhaltigkeit!“, erklärt Jara später, „alle Ausbildungen sind auf die Sektoren ausgerichtet, in denen Arbeitskräfte fehlen“. Doch nicht nur beruflich werden die Rückkehrer_innen weitergebildet, auch auf die Situation in ihrem Heimatland werden sie vorbereitet. Wie zum Beispiel dort inzwischen das Gesundheitssystem funktioniert, oder wie hoch die Lebenshaltungskosten sind. Das Projekt klingt vielversprechend. Jara und Javier routieren zurzeit, das Auswahlverfahren läuft noch und da das Projekt noch in den Kinderschuhen steckt gibt es natürlich besonders viel zu tun. 30 Personen sollen in ganz Spanien in das Programm aufgenommen werden, die Anlaufpunkte sind Madrid und Barcelona. Im März 2013 sollen die Projektteilnehmer_innen voraussichtlich in ihre Heimatländer zurückkehren. Wo sie hoffentlich schnell und erfolgreich reintegriert werden, denn die Rückkehr nach Europa wird ihnen vorerst verwehrt sein.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren