Nummer 462 - Dezember 2012 | Venezuela

Wahlsieg mit Tücken

Die Präsidentschaftswahl in Venezuela hat Chávez klar gewonnen, bei den anstehenden Regionalwahlen könnte die Opposition jedoch Auftrieb erhalten

Steht er persönlich zur Wahl, ist er nach wie vor unschlagbar. Mit etwa 55 Prozent der Stimmen wurde der venezolanische Präsident Hugo Chávez am 7. Oktober im Amt bestätigt. Sein Herausforderer Henrique Capriles Radonski kam auf gut 44 Prozent. Chávez, der 1999 seinen ersten Amtseid schwor, kann somit bis 2019 im Präsidentenpalast Miraflores bleiben. Die Opposition schaut dennoch optimistisch in die Zukunft.

Tobias Lambert

Es seien „die perfekte Schlacht und der perfekte Sieg“ gewesen, feierte der alte und neue venezolanische Präsident Hugo Chávez seinen Wahlerfolg. Nun beginne eine „neue Ära der bolivarianischen Revolution“. Mit 55,08 Prozent der Stimmen hatte er sich bei den Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober deutlich gegen seinen Herausforderer Henrique Capriles Radonski durchgesetzt. Die Wahlbeteiligung war mit über 80 Prozent die bisher höchste seit Chávez‘ Amtsantritt 1999. Capriles erkannte die Niederlage an aber hob die hohe Zahl der erhaltenen Stimmen hervor. Die Bemühungen der Opposition würden „eines Tages Früchte tragen“.
Das Ergebnis kommt keineswegs überraschend. Zwar berichteten kurz vor der Wahl viele Medien weltweit von einer Pattsituation. Fast alle seriösen Umfrageinstitute hatten den Amtsinhaber jedoch über Monate hinweg klar vorne gesehen. Vereinzelte Institute versuchten mit geschönten Umfragen kurz vor der Wahl anscheinend, das Blatt doch noch zugunsten Capriles zu wenden. Viele Medien verbreiteten die fragwürdigen Zahlen ohne nähere Prüfung. Die vermeintliche Wende in der Wählergunst passte wohl zu gut ins Bild: Immerhin hatte sich Capriles im Wahlkampf in den Augen vieler Beobachter_innen erstaunlich gut geschlagen. Er präsentierte sich als gemäßigter Kandidat des breiten Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD), dem die alten Eliten und etliche Parteien angehören, die neoliberale Positionen vertreten. Unter dem Schlagwort „Fortschritt“ stilisierte sich der 40-jährige als der jüngere und vitalere Kandidat gegenüber dem 58-jährigen Chávez, dessen Gesundheitszustand nach der vorerst überstandenen Krebserkrankung einige Fragezeichen aufwirft. Capriles mied die direkte verbale Konfrontation mit dem Amtsinhaber und suchte eine inhaltliche Nähe zum ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luíz Inácio Lula da Silva. Letzterer selbst sprach sich allerdings öffentlich für Chávez‘ Wiederwahl aus.
Ohne Zweifel ist es für die Chavist_innen ein großer Erfolg, nach knapp 14 Jahren, die der bolivarianische Prozess nun bereits andauert, noch immer mehrheitsfähig zu sein. Im Vergleich zu 2006, als die Opposition nur notdürftig geeint mit dem blassen Kandidaten Manuel Rosales gerade einmal 37 Prozent erreichte, konnten sich die Regierungsgegner_innen diesmal deutlich an Zuspruch erfreuen. Zwar steigerte Chávez sein bisheriges Rekordergebnis von 7,3 Millionen Stimmen 2006 auf fast 8,2 Millionen Voten 2012. Die Opposition konnte sich jedoch von 4,3 Millionen auf dieses Mal fast 6,6 Millionen Stimmen verbessern. Bei den Parlamentswahlen 2010 hatte sie mit etwa 5,3 Millionen Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis erzielt. Chávez holte in 21 der 23 Bundesstaaten sowie im Hauptstadtdistrikt jeweils die Mehrheit der Stimmen. Lediglich in den westlichen Staaten Mérida und Táchira unterlag er seinem Herausforderer. Damit gewann der Präsident außer in Táchira in allen Bundesstaaten, die von der Opposition regiert werden, auch im nördlichen Küstenstaat Miranda, wo Capriles 2008 zum Gouverneur gewählt wurde. Bei den Wahlen 2006 hatte Chávez allerdings noch in sämtlichen Bundesstaaten gewonnen.
Sollte die Opposition ihre Einheit bewahren, kann sie durchaus optimistisch in die Zukunft blicken. Denn die Frage, was nach Chávez kommt, ist völlig offen. Die venezolanische Verfassung sieht vor, dass es innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen gibt, sollte ein Präsident während der ersten vier Amtsjahre versterben oder aus anderen Gründen dauerhaft ausfallen. Eine Vertiefung des bolivarianischen Prozesses ohne die Person Chávez ist aber nach wie vor schwer vorstellbar, über personelle Alternativen wird nicht offen diskutiert. Eine kollektive Führung des Prozesses, die die heterogenen bolivarianischen Kräfte zusammenhalten könnte, wurde bisher nicht aufgebaut.
Gerade die Basisbewegungen sind mit der Umsetzung der Regierungspolitik in vielen Fällen nicht einverstanden, kritisieren eine ausufernde Bürokratie und opportunistische Funktionär_innen, die an der Übertragung von Macht nach unten kein Interesse haben. Viele offenkundige Probleme wie etwa die verbreitete Korruption, Kriminalität oder Wohnungsnot wurden von der Regierung schlicht zu lange ignoriert. Chávez gilt für Viele immer noch als alleiniger Garant dafür, dass Positionen überhaupt von unten nach oben durchdringen. Auch werden die vielen Erfolge seiner Regierungszeit, wie die Fortschritte im sozialen Bereich und die Einbeziehung der marginalisierten Unterschichten, direkt mit seiner Person, weniger mit anderen Politiker_innen assoziiert. Nach seiner Wiederwahl stellte Chávez wie erwartet die Regierung um und mahnte vehement mehr Effizienz an. Die kommende Amtszeit sollte „die beste aller Chávez-Regierungen“ werden.
Einen Denkzettel könnte das bolivarianische Lager aber bereits in Kürze erhalten. Der Wahlkampf geht beinahe unvermindert weiter, da am 16. Dezember dieses Jahres Regionalwahlen anstehen. Bei den letzten Regionalwahlen 2008 gewann die Opposition in fünf Bundesstaaten sowie dem Hauptstadtdistrikt. Durch Parteiaustritte von zwei Gouverneuren kontrolliert die Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) derzeit nur noch 15 Gouverneursposten. Bei den anstehenden Wahlen könnte die Opposition neben den von ihr bereits regierten Staaten noch weitere gewinnen. Außerhalb der Präsidentschaftswahlen ist die Wahlbeteiligung deutlich niedriger und die Popularität von Chávez strahlt längst nicht unmittelbar auf „seine“ Kandidat_innen ab. In mehreren Staaten wie etwa dem westlichen Mérida und dem südlichen Bolívar sind die von der Regierungspartei aufgestellten Kandidat_innen an der Basis umstritten. Die Kandidat_innen der PSUV wurden im Gegensatz zur Wahl 2008 von oben bestimmt, während die Opposition im vergangenen Februar offene Vorwahlen durchgeführt hatte. Das Problem einer hohen Wahlenthaltung könnte allerdings auch der Opposition schaden, wenn viele ihrer Anhänger_innen nach der verlorenen Präsidentenwahl aus Enttäuschung zu Hause bleiben sollten. Capriles selbst muss die Rolle des Wahlkämpfers noch eine Weile weiterspielen. Er steht nun in Miranda zur Wiederwahl, wo er auf den bisherigen Vizepräsidenten Elías Jaua treffen wird.

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