Kuba | Nummer 404 - Februar 2008

Wandel mit angezogener Handbremse

Kubas InterimsStaatschef Raúl Castro versucht der Insel einen Modernisierungskurs zu verordnen. Sein Bruder lässt ihm noch nicht freie Hand

Kuba verändert sich. Allerdings passt das Tempo des Wandels, den Fidel Castros kleiner Bruder Raúl eingeleitet hat, vielen KubanerInnen nicht. Ihnen geht es zu langsam und dafür scheint der kranke Comandante persönlich verantwortlich zu sein. Noch hält er die Hand über die heiligen Kühe seiner Revolution.

Knut Henkel

„Mit Raúl wird es mehr Pragmatismus und eine wirtschaftliche Öffnung geben, von der auch wir Kubaner profitieren werden“, prognostizierte Oscar Almiñaque, ein kubanischer Ökonom, im Juli 2006. Überzeugt war der Hochschullehrer, der sein Auskommen längst mit der privaten Zimmervermietung bestreitet, damals, dass es unter Fidels Bruder weniger Kontrollen und mehr Service von staatlicher Seite geben würde. 18 Monate später hat sich an den grundsätzlichen Strukturen in Kuba wenig geändert. „Hier ist vieles hochbürokratisch, ineffizient und teuer. Ich zahle Preise wie in Hamburg, erhalte aber den Service von Burkina Faso“, schimpft Juan de Marcos González. Der Musiker, der vor zehn Jahren den Buena Vista Social Club gemeinsam mit Ry Cooder aus der Taufe hob, schüttelt verärgert die langen, graumelierten Rastalocken. Vor drei Jahren hat er mit DM Ahora das erste unabhängige Plattenlabel in Kuba gegründet, doch aufgrund der vielen Hürden auf der Insel arbeitet er mehr im Ausland als in Havanna. Ein Grund für die Schwierigkeiten ist die Tatsache, dass kubanische UnternehmerInnen in Kuba schlicht nicht vorgesehen sind, der andere ist die himmelschreiende Ineffizienz auf der Insel.
Der hat der jüngere der Castro-Brüder den Kampf angesagt – ganz offiziell und seitdem ist die Vokabel Effizienz wieder in den kubanischen Sprachschatz aufgenommen worden. Mehr Leistung wird eingefordert und bei Androhung von Strafe – auch eingeklagt. Ein Novum in Kuba, wo das Fernbleiben von der Arbeit in den letzten 15 Jahren zum Volkssport wurde. Schließlich hat doch jeder Kubaner und jede Kubanerin etwas anderes zu tun, denn angesichts der lumpigen Gehälter muss man sich schließlich um andere Einnahmequellen kümmern. Das ist noch immer so, wie Omar Everleny Pérez unumwunden zugibt. „Eine durchschnittliche vierköpfige Familie braucht etwa 1.600 Peso (ca. 50 Euro) im Monat, um über die Runden zu kommen. Doch kaum ein Haushalt kommt bei einem Durchschnittslohn von 400 Peso auf diese Summe“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Havanna. Ein wesentlicher Grund, weshalb viele KubanerInnen nebenbei auf eigene Rechnung arbeiten, wodurch die Ineffizienz in vielen Betrieben längst systemimmanent ist. Das weiß auch Raúl Castro, doch anders als sein Bruder will er an diesen Strukturen etwas ändern. Seit Januar 2007 gibt es ein Gesetz, das bei wiederholter Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit Entlassung droht – ein Novum in der kubanischen Geschichte. Auch den FunktionärInnen weht mittlerweile ein kräftiger Wind entgegen. So kritisierte die Zeitung der kommunistischen Jugend Juventud Rebelde im November die „erdrückende Einmütigkeit“ und die „Ignoranz und Lauheit“ der FunktionärInnen. Ungewöhnlich deutliche Töne, denen das Gesetz 246 folgte. Harsche Strafen für FunktionärInnen, die ihre Aufgaben nicht erfüllen, sieht es vor und ist ein deutliches Signal an die Kader. Dass es von ganz oben kommt, daran herrscht in Kuba kein Zweifel, denn anders als der große Bruder steht Raúl Castro für effiziente Strukturen und für Pragmatismus. Sein zentraler Machtbereich, die Armee, gilt als Kubas Paradeinstitution. Dort wurden bereits Ende der 1980er Jahre marktwirtschaftliche Managementmethoden eingeführt und die revolutionären Streitkräfte finanzieren sich durch ein Geflecht von Unternehmen, darunter auch die Tourismusholding Gaviota, selbst. Aufmerksam hat der im Gegensatz zu seinem charismatischen Bruder eher blasse 76-jährige darauf geachtet, dass die Versorgung der SoldatInnen stimmt. Das hat ihm ein hohes Maß an Loyalität innerhalb der Institution beschert und diesen Ansatz verfolgt Raúl Castro auch als Interimsstaatschef. „Bohnen statt Kanonen“ ist ein Slogan, den der glänzende Organisator schon in den 1990er Jahren inmitten der tief greifenden Wirtschaftskrise des Landes prägte und unter seiner Regie soll sich die Revolution endlich auch an den Esstischen der KubanerInnen beweisen.
Dazu sind strukturelle Reformen in der Landwirtschaft nötig, die Raúl Castro erstmals im Dezember 2006 ankündigte. Doch auch über ein Jahr später warten die KubanerInnen noch auf den großen Wurf. Das bisherige Ausbleiben ist ein Indiz für Auseinandersetzungen hinter den Kulissen, denn längst wird in den Forschungsinstituten Kubas offen über die Landfrage debattiert. „Die Ackerfläche dem, der sie bebaut“, heißt die Devise hinter vorgehaltener Hand. Mit Raúl ist die anvisierte Agrarreform, von der vor allem Kleinbauern- und bäuerinnen profitieren sollen, vorstellbar. Mit Fidel hingegen kaum, argumentieren kubanische AgrarexpertInnen, die lieber anonym bleiben wollen. Allem Anschein zufolge hält der kranke Comandante seine Hand über die heiligen Kühe der Revolution. Eine kostspielige Eitelkeit, denn allein im letzten Jahr musste Kuba für mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar Lebensmittel aus den USA und anderen Ländern ordern. Mehr als 240 Millionen US-Dollar als ursprünglich kalkuliert. Das sorgt genauso wie die Erwartungshaltung der Bevölkerung für beachtlichen Reformdruck, die Raúl persönlich noch anheizt. Mehrfach hat er für strukturelle Reformen geworben, auf die niedrigen Löhne verwiesen und an die KubanerInnen appelliert, zu kritisieren, was ihnen an ihrer Revolution nicht gefällt. Dabei geht der Staatschef mit gutem Beispiel voran und verweist selbst auf interne Defizite wie den katastrophalen öffentlichen Nahverkehr. Mittlerweile haben die staatlich kontrollierten Medien nachgezogen und sprechen vermehrt hausgemachte Defizite an. Neue Töne in Kuba, die auch dem Comandante auf seinem Krankenbett nicht verborgen bleiben dürften. Ohnehin ist der politische Diskurs unter der Ägide des zumeist in beigefarbener Uniform auftretenden Raúl Castro wesentlich weniger ideologisch gefärbt. Auch die aufwändigen Propaganda-Kampagnen, die den Alltag der KubanerInnen bis zum Tag der Notoperation im Juli 2006 prägten, sind ersatzlos gestrichen worden. Signale aus dem Büro des Armeechefs, der – anders als sein Bruder – kein Problem damit hat, die Bühne mit anderen zu teilen. Regelmäßig übernehmen Mitglieder des Führungskollektivs wie Vizepräsident Carlos Lage oder Außenminister Felipe Pérez Roque wichtige nationale und internationale Termine an Stelle des Interimsstaatschefs. Der zieht hinter den Kulissen die Fäden und unter seiner Regie hat sich Kuba so weit verändert, dass kaum ein Kubaner noch an die Rückkehr des máximo líder Fidel Castro in die Machtzentrale glaubt, so Omar Everleny Pérez. Selbst die anstehenden Parlamentswahlen werden daran nichts ändern, obwohl der Comandante dort noch einmal auf den Wahllisten steht. „Fidel Castro will oder kann seine unzähligen Ämter nicht mehr antreten. Er hat öffentlich verkündet, dass er den Weg für Jüngere freimacht“, so Everleny. Für die Insel geht damit eine Ära zu Ende, auch wenn der Comandante als elder statesman der Revolution erhalten bleibt. Die wird sich jedoch wandeln müssen, wie die aktuelle Parole zeigt, die in Havanna plakatiert ist. „Revolution bedeutet all das zu ändern, was geändert werden muss“. Ein Zitat vom Comandante, das den Weg für echte Reformen weist. Auf die warten viele KubanerInnen wie Oscar Almiñaque und Juan de Marcos González; andere haben längst die Geduld verloren und kehren der Insel den Rücken wie die steigenden Auswanderungszahlen belegen.

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