Nummer 464 - Februar 2013 | Venezuela

Warten auf Chávez

Die Amtsvereidigung des venezolanischen Präsidenten verschiebt sich aufgrund seines krankheitsbedingten Kubaaufenthalts

Seit dem 8. Dezember hat sich der venezolanische Präsident Hugo Chávez nicht mehr öffentlich gezeigt. Die für den 10. Januar vorgesehene Vereidigung wurde nach hitzigen Diskussionen verschoben. Derzeit ist unklar, ob der Staatschef seine neue Amtszeit wird antreten können. Für eventuelle Neuwahlen hat er mit dem langjährigen Außenminister Nicolás Maduro selbst seinen Wunschnachfolger präsentiert.

Tobias Lambert

Gerüchte kursierten bereits seit Langem. Am 8. Dezember trat der venezolanische Präsident Hugo Chávez vor die Kamera, bestätigte, dass seine Krebserkrankung wieder aufgetreten sei und kündigte eine weitere Operation in Kuba an. Bis zu seiner Wiederwahl am 7. Oktober 2012 galt seine Erkrankung als vorerst überwunden. Die rigide Informationspolitik der Regierung hatte jedoch stets Raum für Spekulationen gelassen. Daran, dass der Eingriff dieses Mal komplizierter sein könnte als bei den drei Operationen zuvor, ließ Chávez keinen Zweifel. Erstmals äußerte er sich öffentlich zu seiner möglichen Nachfolge: „Die Revolution hängt nicht von einer Person ab“, versicherte Chávez in seiner Fernsehansprache und bat die venezolanische Bevölkerung darum, falls nötig, den derzeitigen Vizepräsidenten Nicolás Maduro als seinen Nachfolger zu unterstützen.
Der frühere Busfahrer und Gewerkschafter wurde 1998 als Abgeordneter von Chávez‘ Wahlplattform Bewegung für die Fünfte Republik (MVR) in die Nationalversammlung gewählt. Zwischen 2005 und 2006 war der heute 50-Jährige Parlamentspräsident, bevor Chavez ihn zum Außenminister machte. Während Chávez die meisten Minister_innen regelmäßig austauschte, übte Maduro, der mit Generalstaatsanwältin Cilia Flores verheiratet ist, das Amt bis vor kurzem aus. Kurz nach den Präsidentschaftswahlen im Oktober hatte Chávez ihn zu seinem Vizepräsidenten ernannt.
Die medizinische Behandlung in Kuba genehmigte die Nationalversammlung mit den Stimmen der Opposition. Am 11. Dezember wurde Chávez operiert. Der Eingriff sei „kompliziert“ gewesen, ließ die Regierung verlauten. Die Anhänger_innen des Präsidenten reagierten mit Solidaritätsbekundungen und öffentlichen Massengebeten, die Chávez einmal mehr die Aura eines Heiligen verliehen. Die Regionalwahlen vom 16. Dezember, bei denen sich die Opposition gute Chancen ausgerechnet hatte, gewann das Regierungslager bei einer vergleichsweise geringen Wahlbeteiligung von etwa 54 Prozent überaus deutlich. 20 der 23 Gouverneursposten gingen an die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), die somit mehrere bisher von der Opposition regierte Staaten zurückgewinnen konnte. Einen wichtigen Erfolg konnte die Opposition jedoch im zentralen Staat Miranda erzielen. Hier setzte sich Henríque Capriles Radonski, der bei den Präsidentschaftswahlen gegen Chávez unterlegene Oppositionskandidat, gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Elías Jaua durch. Die Regionalwahlen verschwanden aufgrund von Chávez‘ Erkrankung jedoch rasch wieder aus den Schlagzeilen. Dessen Gesundheitszustand verschlechterte sich nach der erfolgreichen Operation offenbar. Wie die Regierung mitteilte, leide Chávez an Atemwegsproblemen, sein Zustand sei aber stabil. Die Abwesenheit des Präsidenten sorgte für hitzige Diskussionen darüber, ob es Neuwahlen geben müsse oder nicht. Denn laut venezolanischer Verfassung ist die Vereidigung eines gewählten Präsidenten immer für den 10. Januar nach den Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Es zeichnete sich bereits Ende Dezember ab, dass Chávez zu diesem Termin nicht würde anreisen können. Die Position des Chavismus war eindeutig: Der Präsident könne sich die Zeit nehmen, die zu seiner Genesung nötig sei. Die Vereidigung sei eine „reine Formalität“ und könne zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Obersten Gericht (TSJ) nachgeholt werden, erklärte Vizepräsident Maduro. Die Option einer späteren Vereidigung hatte Parlamentspräsident Diosdado Cabello bereits im Dezember ins Spiel gebracht. Generalstaatsanwältin Cilia Flores beteuerte, eine Vereidigung sei nicht zwingend am 10. Januar nötig, da Chávez ja bereits Präsident sei.
Artikel 231 der venezolanischen Verfassung sieht vor, dass die Vereidigung an diesem Datum vor der Nationalversammlung erfolgen soll. Im gleichen Artikel wird jedoch die Vereidigung vor dem TSJ als Möglichkeit genannt, sollte diese vor dem Parlament wegen eines „plötzlich auftretenden Grundes“ nicht möglich sein. Ein konkretes Datum wird für diesen Fall nicht genannt.
Führende Politiker der Opposition pochen jedoch darauf, dass es innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen geben müsste, da Chávez am 10. Januar nicht vereidigt wurde.
Die Opposition beruft sich mehrheitlich auf Artikel 233 der Verfassung. Demnach müssen innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen abgehalten werden, sollte ein Präsident vor der Vereidigung oder innerhalb der ersten vier Jahre seiner Amtszeit versterben oder aus anderen Gründen dauerhaft ausfallen. Tritt dieser Fall bereits vor der Vereidigung ein, übernimmt der Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte bis zu den Wahlen. Als Grund für eine „absolute Abwesenheit“ wird unter anderem die „dauerhafte physische oder mentale Geschäftsunfähigkeit“ genannt. Diese muss aber von einem Ärzteteam festgestellt werden, das vom Obersten Gericht ausgewählt wird. Eine temporäre Abwesenheit ist dem Präsidenten nach Erlaubnis durch die Nationalversammlung für 90 Tage gestattet, mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung um weitere 90 Tage.
Es gibt aber auch Stimmen innerhalb der Opposition, die den Regierungsdiskurs stützen. Der Verfassungsrechtler Hermann Escarrá etwa bezeichnete es als „gravierenden Fehler“, von einer absoluten Abwesenheit zu sprechen. Auch der im Oktober unterlegene Präsidentschaftskandidat der Opposition, Henrique Capriles Radonski, sprach sich nicht grundsätzlich gegen eine spätere Vereidigung aus. Das TSJ folgte am 9. Januar der chavistischen Interpretation der umstrittenen Verfassungsartikel. Aufgrund der internen Mehrheitsverhältnisse hatte das Oberste Gericht in den vergangenen Jahren stets die Positionen der Regierung vertreten. In Lateinamerika wurde das Vorgehen von praktisch allen Regierungen und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) abgenickt. Am Tag der eigentlich vorgesehenen Vereidigung rief die PSUV zu einer massiven Kundgebung in Solidarität zu Chávez auf. Mehrere Staatschefs reisten an, darunter Pepe Mujíca aus Uruguay, Evo Morales aus Bolivien und Daniel Ortega aus Nicaragua. Andere Länder schickten hochrangige Vertreter_innen.
Die Entscheidung, wie es in Venezuela politisch weitergehen wird, könnte sich noch einige Monate hinziehen. Die internen Spannungen, die den unterschiedlichen Strömungen des Chavismus nachgesagt werden, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum seriös einzuschätzen. Maduro und Cabello, die innerhalb der PSUV jeweils für den linken und rechten Flügel stehen, üben in der Öffentlichkeit demonstrative Geschlossenheit. Nüchtern betrachtet kann die Opposition mit der Situation gut leben, auch wenn sie gegen Chávez‘ Verbleib im Amt mobilisiert und kritisiert, dass die wichtigen Entscheidungen nun in Havanna getroffen würden. Bei kurzfristigen Präsidentschaftswahlen wäre sie aufgrund schwacher Inhalte und der starken Mobilisierung, die Chávez‘ schwere Erkrankung auslöst, aller Voraussicht nach auch gegen Maduro chancenlos. Laut Darstellung der Regierung trifft Chávez auch am Krankenbett noch Entscheidungen. So ernannte er etwa Mitte Januar Elías Jaua zum neuen Außenminister. Zuletzt äußerte sich Maduro wieder optimistischer über Chávez‘ Gesundheitszustand. Er rechne damit, dass dieser innerhalb von ein paar Wochen nach Venezuela zurückkehre.

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