Ecuador | Nummer 385/386 - Juli/August 2006

Was kommt nach dem Achtelfinale?

Aus für den Oxy-Konzern und ein unklarer Kurs des Landes vor den Wahlen

Während sich die Menschen im ganzen Land über das Erreichen des Achtelfinales bei der zweiten Fußball-WM-Teilnahme der ecuadorianischen Selección begeistern, geht die Politik weiter: Der US-amerikanische Erdölproduzent Oxy wurde im Mai aus dem Land geworfen und die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA liegen auf Eis. Die Regierung von Alfredo Palacio hat mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erdölproduktion vereinbart. Und innerhalb der Andengemeinschaft (CAN) sucht Ecuador die Zusammenarbeit mit der EU. Es ist derzeit völlig offen, wohin Ecuador nach den Wahlen im Oktober steuert.

Jonas Henze/LN

Nachdem der US-amerikanische Erdölkonzern Oxy (Occidental Petroleum Corporation) im November letzten Jahres 40 Prozent seines Fördervertrages ohne Zustimmung der ecuadorianischen Regierung an die kanadische Firma EnCana verkauft hatte, entschied die Regierung von Präsident Palacio Mitte März, die Vereinbarungen mit der Occidental wegen dieses Vertragsbruchs zu annullieren. Die Entscheidung fiel in einem angespannten politischen Klima: Auf der einen Seite protestierten Indígenaorganisationen wiederholt sowohl gegen ein geplantes Freihandelsabkommen mit den USA als auch gegen Oxy, auf der anderen Seite setzten sich die Industrie- und Handelskammern sowie VertreterInnen der US-Regierung vehement dafür ein.
Nach dem Beschluss wurden alle Fördergebiete der Occidental in den Provinzen Sucumbíos und Orellana, inklusive der Anlagen, an den staatlichen ecuadorianischen Erdölkonzern Petroecuador übergeben. Petroecuador übernahm damit eine Produktionskapazität von monatlich 100.000 Barrel. Hierauf reichte die Occidental bei einem Schiedsgericht in New York eine Schadensersatzklage über eine Milliarde Dollar ein. Die ecuadorianische Regierung erklärte ihrerseits das Gericht für nicht zuständig und zeigte sich von der Illegalität des Vorgehens des Konzerns überzeugt.
Nach der Entscheidung der Vertragsannullierung verkündete die sozialistische Partei PSE (Partido Socialista Ecuatoriano), die Verträge hätten schon seit langem aufgekündigt werden müssen. „Der Staat hat 220 Tage gebraucht, um die Auflösung zu erklären und hat so ungefähr 834 Millionen US-Dollar verloren“, kritisierte Víctor Granda von der PSE. Die sozialdemokratische Izquierda Democrática (ID) schlug eine Neustrukturierung von Petroecuador vor, um die fortwährende politische Instrumentalisierung zu beenden und dem Staatskonzern unternehmerische Unabhängigkeit zu verschaffen. Damit sollte das Problem der Kapazitätsengpässe der Raffinerien von Petroecuador gelöst werden, welche die zusätzlichen 100.000 Barrel Öl täglich gar nicht verarbeiten konnten.

Von Chavéz umschmeichelt

Wohl aus diesem Grund ließ sich die Regierung Palacio dann Ende Mai auf eine Kooperation mit Venezuela ein. Bei einem Besuch des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez in Quito wurden zwei Abkommen zur Kooperation bei der Erdölverarbeitung unterzeichnet. Die durch Hugo Chávez angestoßene Zusammenarbeit zwischen Ecuador und Venezuela sieht die Konstruktion einer binationalen Raffinerie vor, sowie die Verarbeitung von täglich 100.000 Barrel Rohöls durch den staatlichen venezolanischen Erdölkonzern PDVSA (Petróleos de Venezuela S.A) für ein Jahr. Diese als Übergangslösung gedachte Zusammenarbeit erfolgt zu sehr günstigen Konditionen seitens der PDVSA.
Hugo Chávez versteht diese Unterstützung Ecuadors als Investition in sein Integrationsmodell für Südamerika ALBA (Alternativa Bolivariana para las Américas). „Wenn ich mit Chávez verhandeln muss – oder mit den Präsidenten Fox oder Uribe –, um 200 Millionen Dollar zu sparen, glauben Sie mir, das werde ich machen”, stellt dagegen der ecuadorianische Energieminister Iván Rodríguez die Motivation seiner Regierung klar. Indes hatte Rodríguez schon Mitte Mai erklärt, Ecuador prüfe, ob sich eine Rückkehr in die einflussreiche Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) lohne. Ecuador war von 1973 bis 1992 Mitglied dieser Organisation und 1992 ausgetreten. Venezuela, als derzeit einziges lateinamerikanisches OPEC-Mitglied, sprach sich für eine Rückkehr Ecuadors aus.
Als Reaktion auf die Auseinandersetzungen um die Oxy liegen die bereits zuvor suspendierten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (TLC) zwischen Ecuador und den USA weiter auf Eis. Obwohl sich die ecuadorianische Regierung um eine Fortsetzung der Verhandlungen bemüht, schließt die US-Regierung dies zur Zeit aus.

Strategisches Schlingern

Derweil trafen sich am 13. Juni die Präsidenten der nach dem Ausscheiden Venezuelas in der Andengemeinschaft (CAN) verbliebenen Mitglieder Kolumbien, Peru, Bolivien und Ecuador in Quito. Gemeinsam wurde an die USA appelliert, ein im Dezember auslaufendes und unter anderem den zollfreien Export von 5.600 Produkten in die USA regelndes Abkommen zu verlängern. Sowohl die ecuadorianische als auch die bolivianische Regierung sind an einer Verlängerung der Vereinbarung interessiert, da Bolivien keinen Freihandelsvertrag mit den USA möchte und Ecuador nach den unterbrochenen TLC-Verhandlungen momentan ebenfalls keine anderen Handelsvorteile besitzt.
Ein weiteres Thema des CAN-Gipfels war die beabsichtigte stärkere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. CAN und die EU beabsichtigen, Verhandlungen über ein gemeinsames Assoziationsabkommen aufzunehmen.
Insgesamt scheint Ecuador durch die Kündigung des Oxy-Vertrages, die Kooperation mit dem bolivarianischen Venezuela, die eventuelle Rückkehr in die OPEC und die beabsichtigte Zusammenarbeit der Andengemeinschaft mit der Europäischen Union eine größere Unabhängigkeit von den USA anzustreben. Ob die Regierung Palacio damit eine Annäherung an die panamerikanische Politik von Hugo Chávez anstrebt, ist jedoch fraglich. Bisher versucht sie durch eine Art Schlingerkurs, wirtschaftliche Vorteile unter Wahrung der eigenen Unabhängigkeit möglichst weitgehend zu nutzen und dabei den nach wie vor wichtigsten Partner USA nicht zu vergraulen.

Prozente für die Unbekannten

Während Alfredo Palacio an allen Fronten gleichzeitig kämpft, bereitet sich das Land auf die Präsidentschaftswahlen am 15. Oktober vor. Derzeit gelten zwei Kandidaten als aussichtsreich, den Regierungspalast zu erobern: Der von den Sozialdemokraten (Izquierda Democrática) und einem „Netzwerk Ethik und Demokratie” (Red Etica y Democracia) nominierte ehemalige Sozialist León Roldós führt mit 20 Prozent in einer Anfang Juni veröffentlichten Umfragen von Cedatos-Gallup das Feld der Kandidaten an, dicht gefolgt von dem populistischen Álvaro Noboa, einem der reichsten Männer Ecuadors, der mit seiner Bananera Noboa und der Export-Marke „Bonita” rund die Hälfte des Bananenmarktes in Ecuador beherrscht. Er würde derzeit 19 Prozent der Stimmen erhalten. Weniger aussichtsreich sind die Kandidaturen der rechtsgerichteten Cynthia Viteri mit 14 Prozent, des linksgerichteten Rafael Correa mit acht Prozent und des Populisten Marco Proaño Maya mit vier Prozent. Zur Zeit ist noch unklar, ob der im April 2005 gestürzte Ex-Präsident Lucio Gutiérrez zur Wahl zugelassen wird: Bei einer Teilnahme käme dieser auf 15 Prozent, während Roldós mit 18 Prozent und Noboa mit 17 Prozent dichter bei ihren VerfolgerInnen lägen.
Zu beachten ist, dass gleichzeitig fast zwei Drittel der Befragten angegeben haben, noch unentschlossen zu sein. Als Grund hierfür gilt vor allem, dass die KandidatInnen und ihre Programme den Menschen noch weitgehend unbekannt sind. Hinzu kommt das weit verbreitete Misstrauen gegenüber dem politischen System und seinen RepräsentantInnen.
In diesen Zahlen ist zudem der Kandidat des Indígena-Dachverband CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), Luis Macas noch nicht berücksichtigt: Die Entscheidung von Pachakutik, des politischen Arms der CONAIE, ihren Sprecher Macas als ersten eigenen Präsidentschaftskandidaten seit 30 Jahren aufzustellen, wurde Ende Mai bekanntgegeben. Der Verband entschied sich für einen eigenen Kandidaten, da dieser mit der Unterstützung anderer Kandidaten, wie dem geschassten Ex-Präsidenten Gutiérrez, schlechte Erfahrungen gemacht hat. Die CONAIE versucht nun, mit verschiedenen sozialen und politischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Neben der Einberufung einer konstituierenden Versammlung hat sie vor allem die Verstaatlichung des Öls und eine Landreform im Programm.
León Roldós, der Bruder des 1981 bei einem Flugzeugunglück umgekommenen Ex-Präsidenten Jaime Roldós, arbeitet derweil daran, sein Profil öffentlich zu schärfen: In Tokio, wo der Kandidat auf Einladung der japanischen Regierung kürzlich weilte, erklärte Roldos seine politische Nähe zur chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet. Er negierte die Notwendigkeit, sich zwischen den zwei Alternativen Bush oder Chávez entscheiden zu müssen und fügte hinzu, er wolle mit allen Regierungen Beziehungen unterhalten, die seinem Land ökonomische Vorteile brächten.
Der Ausgang der Wahlen hängt diesmal vor allem vom Wahlverhalten der vielen unentschiedenen WählerInnen ab. Bis dahin interessiert die EcuadorianerInnen nur, ob ihre Selección das Achtelfinale übersteht.

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