Mexiko | Nummer 399/400 - Sept./Okt. 2007

Wasser für Guadalajara – Zu welchem Preis?

Fehlende Studien hindern die Regierung des Bundesstaates Jalisco nicht an der Durchsetzung des Arecediano-Staudammprojektes

Im mexikanischen Bundesstaat Jalisco mangelt es an sauberem Trinkwasser. Seit 2003 plant die lokale Wasserkommission (CEA) daher den Bau eines Damms, der den Fluss Santiago aufstauen soll. Es geht um die Wasserversorgung Guadalajaras, der zweitgrößten Stadt des Landes. Doch das Projekt birgt große Risiken.

Simone Schnabel

Am Morgen des 20. Juni stürmen Angestellte der Regierung Jaliscos das Grundstück von Guadalupe Lara. Es ist das einzig verbliebene Haus eines ehemaligen Dorfes inmitten eines sattgrünen Flusstals am Rande der Metropole Guadalajaras. Als letzte Bewohnerin im unter Naturschutz stehenden Oblatos-Huentitlán-Canyon wurde Guadalupe Lara – kurz Lupita – zum Symbol des lokalen Widerstandes gegen ein gigantisches Staudammprojekt der Regierung. Jahrelang verteidigte sie das Recht auf Gesundheit und sauberes Trinkwasser für die mehr als vier Millionen EinwohnerInnen Guadalajaras. Jene illegale Enteignung von Lupitas Grundstück, das eigentlich unter dem Schutz zweier Dekrete des Bundesgerichtshofs steht, soll den Weg frei machen für den Bau des Arcediano-Staudamms.
Das seit 2003 geplante und höchst umstrittene Megaprojekt soll allen Kritiken und fehlenden Studien zum Trotz die Versorgung der BewohnerInnen Guadalajaras mit Trinkwasser für die nächsten 30 Jahre sichern. Der 125 Meter hohe Damm wird das Wasser des Santiago stauen, um mit einem hohen Energieaufwand 10,4 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus dem Tal des Canyon in die 580 Meter höher gelegene Kläranlage und von dort in das Versorgungsnetz der Stadt zu pumpen.
Dabei ist das Vorhaben, das bereits die früheren BewohnerInnen des Tals zur Umsiedlung zwang, nicht nur von ökologischer Seite höchst umstritten. Hauptsorge sind die gesundheitlichen Risiken, die auf die VerbraucherInnen des hochgradig verschmutzten Flusswassers zukommen könnten. Der Santiago passiert auf den circa 50 Kilometern von seinem Ursprung im Chapalasee bis zur Stadt zahlreiche Industriegebiete und Siedlungen an der Peripherie, deren Abwässer ungeklärt in den Fluss geleitet werden. Bisherige Wasseranalysen, wie beispielsweise von der Environmental Law Alliance (ELAW), bestätigen die Verschmutzung mit hochgiftigen Substanzen und Schwermetallen wie Chrom, Kobalt, Quecksilber, Blei und Arsen, die unter anderem zu Störungen des Nerven- und Reproduktionssystems und Krebs führen können. Ein Film der in Guadalajara ansässigen Nichtregierungsorganisation Instituto Mexicano para el Desarrollo Comunitario (IMDEC) dokumentiert die Auswirkungen in Juanacatlán, einem unmittelbar an den Fluss grenzenden Dorf. Dort liegt die Zahl der an Leukämie erkrankten BewohnerInnen und mit Missbildungen geborenen Säuglingen erschreckend höher als der nationale Durchschnitt.
Noch fehlen technische Studien und Pläne darüber, wie und zu welchem Preis die Qualität des Trinkwassers zur Versorgung der Bevölkerung gesichert und die Ausfilterung sämtlicher Giftstoffe und Schwermetalle durch das Klärwerk über der Schlucht realisiert werden könnte. Öffentlichen Schätzungen zufolge würde das Projekt aber mindestens 300 Mio. US-Dollar kosten.
Ebenso wenig löst das Arcediano-Projekt die Übernutzung des Chapalasees im Süden des Bundesstaates, derweil noch Mexikos größtes Süßwasserreservoir und drittgrößter See Lateinamerikas. Der Chapalasee bildet gemäß Angaben des lokalen Wasserversorgers SIAPA mit einem Anteil von 60 Prozent die Hauptquelle für die Trinkwasserversorgung der tapatíos/as, wie die BewohnerInnen Guadalajaras auch genannt werden. Der stetig sinkende Wasserpegel ist Ursache zahlreicher politischer Konflikte zwischen den insgesamt fünf an den See und das Flusstal Lerma-Chapala angrenzenden Bundesstaaten. Die Vielzahl der Nutzer und die nötige Menge zur Versorgung Guadalajaras sei, laut Salvador Peniche von der Universität Guadalajaras, angesichts der Größe des Sees nicht Ursache des Problems. Allein durch leckende Rohre einer veralteten Infrastruktur gehen schätzungsweise 40 Prozent des Wassers auf dem Weg in die Stadt verloren. Solange diese nicht saniert sind, kann es keine nachhaltige Trinkwasserversorgung geben. Neben der infrastrukturellen Sanierung fordern ExpertInnen wie Arturo Gleason ebenso die Nutzung des Regenwassers. Zwar ist die Regenzeit auf drei Monate im Jahr beschränkt, in dieser kurzen Zeit fällt jedoch eine Wassermenge, die jedes Jahr zahlreiche Überschwemmungen im urbanen Raum verursacht. Das Regenwasser in Guadalajara wird nicht für die weitere Nutzung aufgefangen sondern mit den von der Stadt produzierten Abwässern vermischt.
Auch der Bau des Arcediano-Staudammes wird weder die nachhaltige Trinkwasserversorgung der Stadt sichern, noch das derzeitige Missmanagement im Wassersektor lösen können. Es gibt bereits Kampagnen, die zum Wassersparen aufrufen. Fakt ist jedoch, dass der durchschnittliche Wasserverbrauch in Stadtteilen mit hohem Einkommen bei 250 Liter pro Tag und EinwohnerIn liegt, während in der kontinuierlich wachsenden Peripherie Guadalajaras die Versorgung mit privaten, teilweise auch kommunalen Tanklastern nur unzureichend gewährleistet wird. Die BewohnerInnen dort zahlen einen sehr viel höheren Preis für eine ungleich geringere Menge und fragwürdige Qualität als im Zentrum der Metropole.

Trinkwasser ist knapp – davon betroffen ist nicht nur Guadalajara im Zentrum Mexikos, sondern viele andere Städte in wasserarmen Regionen einkommensschwacher Bundesstaaten, vor allem des Südens. Doch liegt die Ursache dafür nur bedingt an mangelnden Ressourcen, als vielmehr an einem ineffizienten bis korrupten Wassermanagement, wie das Beispiel Guadalajaras zeigt. Die UN-Millenniumsentwicklungsziele sehen die Halbierung der Zahl der Menschen ohne Wasserversorgung und Abwasserentsorgung bis 2015 vor. Ein Ziel, das nur gemeinsam mit AkteurInnen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft erreicht werden kann. Einige Schritte in diese Richtung sind bereits getan. So wurde das Projekt 2006 als Fall des lateinamerikanischen Wassertribunals, einer Parallelveranstaltung zum vierten Weltwasserforum in Mexiko-Stadt, aufgenommen. Dort wurden auch Forderungen nach einem sofortigen Planungsstopp laut, solange keine Studie zu gesundheitlichen Risiken vorliege. Der Baubeginn wurde mittlerweile auf Anfang 2008 verschoben. Aktuell schaltete sich das Tribunal im Juli als Vermittlungsinstanz der Gespräche zwischen Nichtregierungsorganisationen und der lokalen Regierung ein. Ende August schließlich hat sich die Wasserkommission hinsichtlich einiger Forderungen von Seiten der Panamerikanischen Gesundheitsbehörde – darunter eine Studie über kontaminierende Substanzen im Santiagofluss und deren Kontrolle sowie eine entsprechend technische Planung des Klärwerks – kooperationsbereit gezeigt. Mit der illegalen Enteignung von Lupitas Grundstück im für den Staudamm vorgesehenen Baugebiet scheint das von lokaler Regierung und CEA favorisierte Megaprojekt noch nicht die letzte Hürde genommen.

Wer gegen den Arcediano-Damm aktiv werden möchte, schreibt auf englisch oder spanisch an agua@imdec.org

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