Nummer 476 - Februar 2014 | Sachbuch

Weit am Tor vorbei

Drei aktuelle Sachbücher über Fußball in Brasilien lassen Fragen offen – und die Leser_innen weitgehend enttäuscht zurück

2014 blickt die Welt auf Brasilien – und ganz besonders alle, die sich für Fußball interessieren. Der zu erwartende Brasilienhype begann schon mit der Frankfurter Buchmesse, wo Brasilien im Oktober 2013 Gastland war. Natürlich gab es auch Neuerscheinungen zum Thema Fußball in Brasilien, von denen drei hier kurz vorgestellt werden.

Thomas Fatheuer

Brasilien – Land des Fußballs von Martin Curi war sicherlich der Kandidat für ein neues Standardwerk über den brasilianischen Fußball. Curi lebt seit 2002 in Brasilien, hat Fußballthemen wissenschaftlich bearbeitet und zahlreiche Artikel zum Thema veröffentlicht. Der Ball lag für ihn auf dem Elfmeterpunkt – und der Torwart war abgelenkt. Leider schoss der Autor den Ball weit am Tor vorbei.
Curis Buch erweckt Erwartungen, die es nicht erfüllen kann. Der Autor kennt das Sujet gut und will sichtlich kein seichtes Buch schreiben, sondern der engen Verknüpfung von Fußball und sozialem Leben in Brasilien nachspüren und dabei auch vor Interpretationen und Reflexionen nicht zurückschrecken. Aber diesem Anspruch wird der Autor nicht gerecht. Offensichtlich in der Absicht, unterhaltsam zu schreiben, verliert sich der Curi zu oft in belanglosen Ausführungen etwa zu den Schwierigkeiten, ein Interview mit einem Star wie Romário zu bekommen, und vergisst darüber die Analyse. Die Beschreibung der WM- und Olympiavorbereitungen in Rio zeigen deutlich den begrenzten politischen Horizont des Autors. Aufgrund der Aktionen der Drogenbanden sei die Situation im Jahre 2010 endgültig untragbar geworden, so dass der Gouverneur von Rio de Janeiro beschlossen habe, die Favelas zu besetzen – so Curis Version von der Einrichtung der Befriedungspolizei in den Favelas von Rio. „Man mag die Vorgehensweise der brasilianischen Polizei kritisieren, doch zweifelsohne kann es auf der anderen Seite nicht sein, dass es Bereiche in einem Land gibt, in denen der Staat nicht das Gewaltmonopol ausübt.“ Leider erfahren die Leser_innen nichts über die Vorgeschichte, kein Wort über den brutalen Krieg der Polizei gegen die Favelas und ihre Bewohner_innen. Das substanzlose Schwa­dronieren Curis über ein so zentrales Thema im Vorfeld der WM ist leider für viele Teile des Buches symptomatisch. Wer sich bis zu Seite 261 vorgekämpft hat, muss Sätze wie diesen verkraften: „Hier zeigt sich die extreme soziale Ungleichheit Brasiliens, bei der Angehörige finanzschwacher Schichten häufig dem Gutdünken der Mächtigen ausgeliefert sind.“
Die bis an die Grenze der unfreiwilligen Komik unbeholfenen Formulierungen machen die Lektüre des Buches nicht einfacher. Wer will wirklich Sätze wie diese lesen: „In Bezug auf den Fußball, wie auch auf den Mythos Brasilien im Allgemeinen beherrschen viele Vorurteile unsere Vorstellungen. Das liegt einerseits an den Brasilianern selbst, aber auch an den europäischen Bobachtern“. Tja, da ist man doch im Allgemeinen in Bezug auf das Buch von Curi geneigt, selbiges unbeherrscht in hohen Bogen in den Müll zu schmeißen. Aber, zwei Kapitel lohnen doch die Lektüre – trotz des stilistischen Elends. Über die brasilianische Fankultur und den Frauenfußball weiß Curi einiges zu berichten, das sonst nicht zu lesen ist. Insbesondere das Kapitel über die Fankultur erweitert den Blick über die übliche Fixierung auf die Nationalmannschaft der Männer hinaus.
Anders als bei Curis Veröffentlichung weckt die zweite Neuerscheinung des Werkstatt Verlages keine hohen Erwartungen. Brazil 2014 – Die WM im Land der Fussball-Verrückten von ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Ex-Botschafter Bernd Wulffen ist offensichtlich als leicht lesbare Lektüre für das Massenpublikum gedacht. Unzählige kleine Fehler weisen das Buch als journalistischen Schnellschuss aus. Dies beginnt schon beim Titel. Wohl kaum ist die Schreibweise des brasilianischen Landesnamens mit „Z“ eine sprachhistorische Anspielung auf die ungeklärte Schreibweise in Brasilien selbst vor der Orthographiereform von 1911, sondern eher Resultat der deutscher Symbiose aus öffentlich-rechtlichem Journalismus mit diplomatischem Geschick. Und aus der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia, die Salvador heißt, wird San Salvador – ein Fehler der zeigt, dass weder die Autor_innen noch das Lektorat über besondere Brasilienkenntnisse verfügen.
Besonders peinlich ist, dass gleich zu Beginn des Buches behauptet wird, Ghiggia habe die beiden Tore für Uruguay im entscheidenden Finalrundenspiel von 1950 geschossen. Dabei hatte er lediglich das 2:1 erzielt. Nun, wer über solche Fehler hinwegsehen kann, ist mit dem Buch keineswegs schlecht bedient. Es bietet einen flüssig geschriebenen, schön bebilderten und facettenreichen Überblick über den brasilianischen Fußball.
Besonders erfreulich ist dabei, dass bei der Vorstellung der bedeutendsten brasilianischen Spieler auch in Deutschland eher unbekanntere Stars wie Vavá („die Stahlbrust“) eingeschlossen werden. Und ein ganz besonderes Lob verdient der Hinweis auf Nando, der als einziger brasilianischer Profifußballer als Verfolgter des Militärregimes anerkannt wurde. Auch über das Thema innere Sicherheit findet sich immerhin der Hinweis, dass es sich bei der Drogenmafia um Strukturen handelt, „die keinefalls sauber vom Staat zu trennen sind“ – ein Gedanke, der weit über das unreflektierte Räsonieren Curis über das „Gewaltmonopol“ hinausgeht. Als unterhaltsamer und doch nicht naiver Überblick ist Brazil 2014 insbesondere durch die hervorragende Bebilderung durchaus gelungen.
Samba tanzt der Fussballgott – schon beim Namen regt sich der Widerwille, das Buch von Mirco Drewes zu öffnen. Illustration und ein Klappentext, der einen „messerscharfen Einblick in die runde Seele Brasiliens“ verspricht, lassen das Schlimmste befürchten. Aber, die Lektüre wird dann doch zu einem überraschenden Vergnügen. Drewes erhebt keine großen theoretischen oder gesellschaftskritischen Ansprüche und hat ein durchaus unterhaltsames Buch über die Geschichte der brasilianischen Nationalleidenschaft geschrieben. Auf fast 300 Seiten ohne Bilder in handlichem Kleinformat wird ein kleines Panoptikum entfaltet, das ganz fußballzentriert ist und nicht gleich eine Gesellschaftstheorie mitliefern will. Im Buch findet sich nichts Neues, aber es bietet einen guten Überblick über Geschichte, Stars und Mythen. Auf dem glatten Boden der Stereotypie vermeidet Drewes Peinlichkeiten. Aber das Buch ist wohl nur für wirkliche Fußballfans, die auch noch geduldige Leser_innen sind, verdaulich.

Martin Curi // Brasilien: Land des Fußballs // Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2013 // 352 Seiten /19,90 Euro // www.werkstatt-verlag.de

Bernd Wulffen, Katrin Müller-Hohenstein // Brazil 2014. Die WM im Land der Fussballverrückten // Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2013 // 256 Seiten // 19,90 Euro // www.werkstatt-verlag.de

Mirco Drewes // Samba tanzt der Fußballgott. Brasiliens Fußball zwischen Genie und Wahnsinn // Vergangenheitsverlag // Berlin 2013 // 300 Seiten // 12,90 Euro // www.vergangenheitsverlag.de

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