Nummer 486 - Dezember 2014 | Peru

Wenn ein Unternehmen zum Staat im Staat wird

Interview mit der Menschenrechtsaktivistin Ruth Luque Ibarra über die Bergbaupolitik im peruanischen Espinar

Die Bergbaustadt Espinar liegt im Süden Perus. Anfang 2012 kamen bei massiven Protesten zwei Menschen ums Leben, mehr als neunzig wurden verletzt. Daraufhin wurde ein Dialog zwischen Regierung, Unternehmen (Glencore/Xstrata) und Zivilgesellschaft initiiert. Die LN sprachen mit Ruth luque Ibarra über die Errungenschaften und Grenzen dieses Dialogs und die aktuelle Situation in Espinar.

Interview: Knut Henkel

Welche Bilanz ziehen Sie nach dem 2012 initiierten Dialog zwischen dem schweizerischen Unternehmen Glencore/Xstrata, Regierung und Zivilgesellschaft?
Ausgesprochen positiv ist, dass die Regierung die Proteste ernst genommen hat. Es hat in Peru noch nie einen Schlichtungsprozess gegeben, in dem derart viele staatliche Organisationen eingebunden waren. Ihre Aufgabe ist, die Herkunft der Schwermetalle zu klären, die in Flüssen und Wasserquellen gefunden wurden. Zudem wächst die Partizipation der Zivilgesellschaft und die langfristige Stärkung von Strukturen auf lokaler Ebene – die Institutionalisierung. In Espinar gibt es zwar eine Bergbautradition, aber keine Tradition von regulierenden staatlichen Institutionen, die dem Bergbau oder besser den jeweiligen Unternehmen auf die Finger schauen. Die Gesprächsrunde hat diesbezüglich für Initiativen gesorgt

In Lima favorisiert der Umweltminister den Dialog von Espinar als Modell für andere Regionen mit Bergbaukonflikten, begrüßen Sie dies?
Ich sehe da keinen Modellcharakter, da es nicht geschafft wurde die zentralen Probleme, die Ursachen des Konflikts, zu lösen. Man hat zwar Wasser-, Boden- Luft- und auch Urinproben genommen, aber bis heute können die staatlichen Institutionen der Bevölkerung nicht gegenübertreten und sagen: Wir haben das Problem der Kontaminierung beseitigt. Es ist unstrittig, dass es eine Kontaminierung gibt, dass Tiere mit Deformationen zur Welt kamen, aber bis heute sind die Ursachen nicht geklärt und keine Lösungen gefunden.

Eine zentrale Forderung der Demonstranten war eine höhere Beteiligung der Region an den Gewinnen des Unternehmens?
Ja genau, aber da hat sich der Staat vornehm zurückgehalten und darauf verwiesen, dass die Stadtverwaltung, die Gemeinden direkt mit dem Unternehmen verhandeln sollten. Druck von Seiten der Regierung wäre aber nötig gewesen, um da Fortschritte zu erzielen.

Warum?
Weil das Unternehmen Xstrata, welches mittlerweile von Glencore übernommen wurde, de facto wie ein Staat im Staat auftritt. Es gibt Vorwürfe, dass das Unternehmen lokale Wortführer besticht, ihnen Arbeitsplätze anbietet, sie auf ihre Lohnliste setzt und so die öffentliche Meinung manipuliert. Auch dieses Thema wurde im Zuge des Dialogs ausgespart, der zudem in Spanisch stattfand und nicht in Quechua, der Sprache der Mehrheit der ansässigen Bevölkerung in der Region. Das ist ein zentrales Defizit des Dialogprozesses, denn so war es für große Teile der Bevölkerung nicht möglich dem Dialog zu folgen.

Gab es denn für die breite Zivilgesellschaft überhaupt die Möglichkeit am Dialog teilzunehmen?
Eigentlich nicht, denn es wurden sehr viele technische Details besprochen, unter Experten, denen die Bevölkerung nicht folgen konnte. Zudem fanden die Gespräche ohnehin hinter verschlossenen Türen statt. Es gab kaum Optionen für die Teilnahme und das hat aus meiner Perspektive Frustration in der Bevölkerung, oder zumindest in Teilen, hervorgerufen. Der leitende Vertreter von Glencore/Xstara, Oscar Delgado, behauptet, dass die Mine nicht für die Kontaminierung des Flusses Salado verantwortlich sei.

Das habe natürliche, geologische Ursachen. Was halten Sie von dieser Darstellung – Ihre Organisation hat doch auch Wasserproben zur Analyse eingereicht?
Ein elementares Problem der Untersuchungen ist, dass sie eben nicht angeben, woher die Kontaminierung kommt, wo die Ursachen der Verunreinigung liegen. Es wird klar benannt, dass 53 Prozent der Wasserquellen kontaminiert sind und auch wie stark, aber eben nicht woher. Das ist ein Defizit, welches sich auch in den Berichten des Umweltministeriums wiederholt. Die Studien zur Herkunft der Kontaminierung sind auch heute noch nicht abgeschlossen und deshalb lassen sich die Ergebnisse bisher so oder so interpretieren. Das ist legitim und wird von Seiten des Unternehmens genauso wie von Seiten der Zivilgesellschaft praktiziert.

Allerdings gibt es auch eine Geldstrafe gegen Glencore/Xstrata wegen der Verseuchung von Weideflächen aus dem Januar 2014. Ein Indiz für Umweltvergehen?
Diese Geldstrafe ist die Konsequenz des fahrlässigen Umgangs mit Schwermetallen – dieser ist belegt. Was uns aber noch deutlich mehr Sorgen macht, sind die Abraumhalden in der Nähe von Dörfern und Wasserquellen. Die stammen nicht erst aus der Zeit von Xstrata, sondern auch schon von BHP Billiton, aber die Indizien häufen sich, dass sie nicht dicht sind und das dort kontaminiertes Sickerwasser austritt. Davon ist die Gemeinde Paco-Paco betroffen und die Frage ist, wer ist für die Folgen verantwortlich, wer kümmert sich um diese Altlasten und wie geht es dort weiter? Die Demonstranten warfen dem Unternehmen auch die Kontaminierung von Wasserquellen vor. Wie steht es um die heutige Wasserversorgung in Espinar?
Fakt ist, dass immer noch große Teile der ländlichen Bevölkerung nicht über Trinkwasser verfügen. Viele Haushalte haben nur für ein, zwei oder drei Stunden pro Tag Wasser und sind daher darauf angewiesen, Wasser aus natürlichen Quellen zu entnehmen – sprich aus Flüssen und Quellen. Diese sind aber größtenteils mit Schwermetallen belastet. Das ist ein echtes Problem, dem sich die Regierung nicht stellt
.
Warum gibt es von Seiten der Politik so wenig Bereitschaft die Ursachen der Kontaminierung grundsätzlich zu klären?
Der peruanische Staat basiert auf dem Bergbau – man glaubt in den Ministerien daran, dass die Rohstoffpolitik allein Peru eine bessere Zukunft bescheren kann. Das ist ein Mythos, der in Peru verbreitet ist. Rückläufige Investitionen werden schnell als Bedrohung wahrgenommen. Und Umweltskandale oft eher als potentieller Dämpfer für Investitionen als ein Risiko für die Bevölkerung gesehen. Das ist eine verquere Logik.

Können Sie für diese Politik ein konkretes Beispiel nennen?
Als in Espinar 2012 Wasserproben entnommen wurden und unsere Organisation Gegenproben entnahm, wiesen unsere Proben andere Werte auf, als die der staatlichen Organisationen. Wir konnten damals nur zwei Gegenproben nehmen, weil das sehr kostspielig ist. Trotzdem wurde uns von staatlicher Seite umgehend unterstellt, dass das von uns beauftragte Labor nicht die notwendigen Standards erfülle, statt der Sache auf den Grund zu gehen
.
Aber der Staat hat doch eigentlich eine Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung und nicht gegenüber den Unternehmen. Warum werden die Unternehmen nicht stärker kontrolliert, wie es andernorts der Fall ist?
Es gab mit dem Antritt der Regierung von Präsident Ollanta Humala viele Hoffnungen, dass es mehr Kontrolle und weniger Zugeständnisse an die einflussreiche Bergbaulobby geben würde. Gerade aus Bevölkerungskreisen, die von politischer Partizipation größtenteils ausgeschlossenen waren, kam die Hoffnung, nun mehr gehört zu werden.
Doch das trat in der Praxis nicht ein, denn die wenigen staatlichen Organisationen im Bereich des Umweltschutzes agieren nicht unabhängig, sondern hängen von den Ministerien ab. Sie verfügen in aller Regel nicht über einen eigenen Etat und sind weisungsgebunden.
Auf der anderen Seite ist es schwierig in Peru über diese Themen und Herausforderungen zu diskutieren – es gibt eine weitgehende Polarisierung und Kritiker werden schnell als Bergbaufeinde und Entwicklungsgegner bezeichnet.

So wie der ehemalige Bürgermeister von Espinar, Oscar Mollohuanca, der kriminalisiert wurde und gegen den noch immer ein Prozess läuft?
Ich glaube, dass es in Peru, aber auch in anderen Staaten, immer schwerer wird seine Meinung frei zu äußern und gegen Missstände zu protestieren. Oscar Mollohuanca wollte einen neuen Bezug zwischen Bergbau und Bevölkerung – und in seiner ersten Amtszeit hat er eine Rahmengesetzgebung durchgesetzt.
Drei Prozent der Umsätze gingen fortan in einen regionalen Entwicklungsfonds – das wurde damals noch mit dem Unternehmen BHP Billiton ausgehandelt und von Xstrata so übernommen. Mit der Ausweitung der Mine sollte nun ein neue Rahmengesetzgebung ausgehandelt werden, zu deutlich besseren Konditionen für die Bevölkerung. Dagegen gab es dann massiven Widerstand. Auch von der Politik, die dafür sorgte, dass gegen Oscar Mollohuanca ermittelt wurde, dass er als Aufwiegler und Rädelsführer kriminalisiert und in Inca – nicht im naheliegenden Cusco – vor Gericht gestellt wurde.

Die Beweislage gegen ihn scheint bisher jedoch recht dünn, oder?
Ja, aber das Interesse ihn zu verurteilen scheint sehr groß. Es gibt einflussreiche Kreise hinter der Anklage.In der Mine Antapaccay ist Oscar Mollohuanca unter den Ingenieuren ein rotes Tuch, weil er es gewagt hat, eine Gewinnbeteiligung von rund 30 Prozent für die Region einzufordern. Ist das ein Vergehen in Peru?
Eigentlich nicht und Xstrata hat ja auch argumentiert, dass die Quote zu hoch ist, angesichts sinkender Rohstoffpreise. Allerdings hat sich mit der Übernahme von Xstrata durch Glencore auch einiges verändert. Meinen Informationen zufolge ist Glencore nicht gewillt, freiwillig etwas für die Region zu zahlen, um sich hier etwas neues aufzubauen und sich auf die Situation nach dem Abzug der Mine einzustellen.

Wie könnte Ihrer Meinung nach eine Lösung des Problems, eine Zukunft für die Region aussehen?
Der Staat müsste mehr Präsenz in der Region zeigen, sich engagieren, Emissionen und Einleitungen der Mine überwachen. Die Leute müssen mehr Sicherheit haben, das ist die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen zwischen Unternehmen und Bevölkerung. Auf der anderen Seite fehlt es immer noch an Gesundheitseinrichtungen in der Region und es häufen sich die Beschwerden, dass die Kontaminierung der Luft durch die Mine Antapaccay und deren Sprengungen zunimmt. Da könnte man ansetzen.

Ruth Luque Ibarra
ist Soziologin und arbeitet bei der in Cusco ansässigen Menschenrechtsorganisation Derechos Humanos sin Fronteras (Menschenrechte ohne Grenzen), welche von Misereor unterstützt wird. Zuvor hat sie für eine kirchliche Entwicklungsorganisation in Sicuani und Espinar gearbeitet.

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