Honduras | Nummer 463 - Januar 2013

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Menschenrechte, Widerstandsbewegung und ein gescheiterter Staat zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs

Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen gleicht Honduras einem Pulverfass, das längst entzündet wurde und nur auf den nächsten großen Knall wartet. Trotz oder gerade wegen der Vielzahl an ungelösten lokalen und landesweiten Konflikten und den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und politischen Morden fordert die Widerstandsbewegung FNRP weiterhin eine Neugründung des Landes. Dabei sieht sie sich mit einem gescheiterten Staat und einer einflussreichen Machtelite konfrontiert, welche die eigentliche Politik des Landes bestimmt.

Johannes Schwäbl

Knapp dreieinhalb Jahre ist es nun her, dass in Honduras der demokratisch gewählte Präsident Manuel Zelaya von Militärs verhaftet und außer Landes geschafft wurde. Die aktuelle Regierung unter dem Nationalisten Porfirio Lobo, der aus den Wahlen unter Militärbedingungen im November 2009 als Sieger hervorging, hat das Land in eine tiefe ökonomische und politische Krise gesteuert. Laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik CEPAL leben heute 67 Prozent der honduranischen Bevölkerung in Armut. Die selbsternannte „Regierung der Versöhnung“ weist eine noch höhere Zahl an Menschenrechtsverletzungen auf als die Übergangsregierung direkt nach dem Putsch. Honduras führt aktuell die Liste der weltweit höchsten allgemeinen Mordrate und der Journalist_innenmorde an – obwohl das Land sich nicht im Krieg befindet.
Auch der im Oktober vorgestellte Bericht der alternativen Wahrheitskommission, der sich mit den Menschenrechtsverletzungen im Zeitraum von Juni 2009 bis August 2011 befasst, wirft kein gutes Bild auf die Regierung Lobo. Eine Vielzahl der über 5.000 dokumentierten Fälle wurde direkt von staatlichen Sicherheitskräften ausgeführt und von staatlichen Institutionen angeordnet und gedeckt. Diese Politik der Menschenrechtsverletzungen setzt sich laut der Kommission bis heute fort und verschlimmert sich zunehmend. Neben der massiven Repression, die direkt nach dem Putsch begann und bis heute gegen Demonstrationen und Kundgebungen eingesetzt wird, nahmen im Laufe der Jahre auch die selektive Repression und politische Morde an Aktivist_innen der Widerstandsbewegung zu. Mit dem Näherrücken der Präsidentschaftswahlen im November 2013, befürchtet die Kommission in den kommenden Monaten einen weiteren Anstieg der politisch motivierten Gewalt. Die Aktivitäten von Gruppen, die sich der Methoden von Todesschwadronen bedienen, nehmen konstant zu und finden mit Zustimmung der Regierung statt, erklärte die Kommission. Wie groß die Verantwortung der Regierung Lobo für die Morde der paramilitärischen Gruppen wirklich ist, lässt sich nur schwer nachweisen. In jedem Fall trägt der honduranische Staat durch den mangelnden Willen und die Unfähigkeit zur Aufklärung dieser Morde zumindest eine Mitschuld. Die Täter_innen können sich bei der faktischen Straflosigkeit, die über 98 Prozent aller politisch motivierten Morde unaufgeklärt lässt, sicher fühlen.
Bereits vor dem Bericht der alternativen Wahrheitskommission war in Honduras bekannt, dass hinter einer großen Zahl der politischen Morde die extrem rechten und einflussreichen Großunternehmer_innen des Landes stehen. So machte der Anwalt Antonio Trejo Cabrera kurz vor seiner Ermordung im September die Großgrundbesitzer Miguel Facussé und René Morales für alles, was ihm zustoßen könnte, in einem öffentlichen Brief verantwortlich. Trejo vertrat mehrere Kleinbauern- und -bäuerinnenorganisationen in Gerichtsverfahren gegen Großgrundbesitzer_innen in der Region Bajo Aguán. Zuletzt hatte er ein Gerichtsurteil zugunsten der Kleinbauern- und -bäuerinnenorganisation MARCA erreicht. Durch das als historischer Meilenstein betrachtete Urteil bestätigte das Gericht die illegale Inbesitznahme mehrerer Fincas durch Großgrundbesitzer und sprach die Besitzrechte der Organisation MARCA zu.
Der mangelnde Wille und die Machtlosigkeit der Regierung, gegen die Interessen der einflussreichen Oligarchie vorzugehen, zeigen sich deutlich in den aktuellen Landkonflikten. Zum Beispiel in der Region Vallecito, wo sich mehrere Großgrundbesitzer Land der Garífunas illegal angeeignet haben. Die staatlichen Behörden zögerten eine von den afro-karibischen Indigenen geforderte Neuvermessung des Landes, das ihnen bereits gerichtlich zugesprochen worden war, immer wieder hinaus. Als die Garífuna-Organisation OFRANEH schließlich Ende August ein Protestcamp vor Ort organisierte, das sofort massiven Drohungen und Einschüchterungen durch private Sicherheitskräfte ausgesetzt war, schritten die staatlichen Behörden erst nach mehreren Tagen ein. Schließlich wurde die Neuvermessung durchgeführt – vermutlich aufgrund des starken internationalen Drucks auf die Regierung Lobo. Die privaten Sicherheitskräfte der Großgrundbesitzer_innen haben das Land allerdings noch nicht verlassen. Während des Protestcamps erklärte Miriam Miranda, Koordinatorin von OFRANEH: „Alles was uns schützt, ist unsere Identität als Garífunas und die dadurch vorhandene internationale Aufmerksamkeit. Bei jeder anderen Organisation hätte hier schon längst ein Massaker stattgefunden.“ Dass ihre Einschätzung vermutlich richtig ist, zeigen die Landkonflikte zwischen Kleinbäuerinnen und -bauern und Großgrundbesitzern in der nordhonduranischen Krisenregion Bajo Aguán. Dort wurden alleine im November sechs organisierte Kleinbauern ermordet. Insgesamt forderte der Konflikt in Bajo Aguán seit der Machtübernahme Lobos bereits mehr als 90 Todesopfer, die meisten von ihnen waren Kleinbäuerinnen und -bauern.
Wie in Vallecito, sieht sich die honduranische Regierung in manchen Konflikten gezwungen, dem großen Druck der sozialen Bewegungen und den internationalen Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen nachzugeben und einzulenken. Dadurch zieht die Regierung Lobo wachsenden Unmut der wirtschaftlichen und politischen Elite auf sich und verliert zunehmend deren Gunst. Durch die Korruption und den immensen Einfluss der Oligarchie auf alle drei Staatsgewalten, das Militär und die Medien, ist die aktuelle Regierung äußerst instabil und schwach. Dies zeigte sich im Oktober, als der Präsident und sein Sicherheitsminister persönlich die Ministerin für Menschenrechte Ana Piñeda und den Vorsitzenden des nationalen Agrarinstituts César Ham darüber informierten, dass Pläne zu ihrer Ermordung existieren. Zur gleichen Zeit wurde auch Rafael Alegría, Vorsitzender der internationalen Organisation Via Campesina in Honduras, von Präsident Lobo über Pläne zu seiner Ermordung informiert. Bei einem Gespräch im Haus des Präsidenten soll dieser gesagt haben, dass dieselben Personen, die den Mord an dem Anwalt Trejo in Auftrag gaben, bereits einen Anteil für den Mord an Alegría bezahlt hätten und der Präsident nichts mehr zu seinem Schutz tun könne.
Bereits seit längerem sprechen Beobachter_innen von einer geplanten Destabilisierung der Regierung Lobo und der Möglichkeit eines weiteren Putsches vor den Wahlen 2013. Dadurch sollen, wie bereits 2009, die starken sozialen Bewegungen geschwächt und ein möglicher Wahlsieg der neugegründeten Partei LIBRE verhindert werden.
Die neue Partei, die aus Teilen der Widerstandsbewegung Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP) hervorging, stellt eine ernsthafte Bedrohung für das existierende Zweiparteiensystem und die Privilegien der herrschenden Oligarchie dar. Dass jene nicht bereit sind, ihre Macht freiwillig abzugeben und dafür vor nichts zurückschrecken, zeigt sich auch an der erneuten Zunahme der politischen Morde an LIBRE-Aktivist_innen in den letzten Wochen.
Obwohl LIBRE für viele Honduraner_innen die reale Hoffnung auf eine Änderung der Machtverhältnisse im Land darstellt, gibt es innerhalb der Widerstandsbewegung geteilte Meinungen über die Chancen auf einen Wahlsieg. Teile der Widerstandsbewegung, die für einen außerparlamentarischen, basisdemokratischen Prozess zur Neugründung des Landes eintreten und sich im Espacio Refundacional zusammengeschlossen haben, kritisierten von Anfang an eine Teilnahme an den Wahlen. Unter den aktuellen Voraussetzungen könne der Wahlprozess nicht fair verlaufen. Wichtige staatliche Institutionen, wie das nationale Wahltribunal, befinden sich fest in der Hand der nationalen und der liberalen Partei. Auch die großen landesweiten Medien, die bereits den Putsch 2009 unterstützten, positionieren sich klar gegen LIBRE. Neben einem groß angelegten Wahlbetrug befürchten viele Beobachter_innen weitere Morde an Aktivist_innen. Der durch den Putsch abgesetzte ehemalige Präsident Manuel Zelaya berichtete im Oktober bei einem Interview im costaricanischen Radio ADN von Indizien für Mordpläne an ihm und seiner Ehefrau Xiomara Castro, die als Präsidentschaftskandidatin für LIBRE bei den Präsidentschaftswahlen antritt.
Die Gründung der Partei LIBRE im Oktober 2011 hat die Konflikte innerhalb des breiten Bündnisses FNRP, das aus dem Widerstand gegen den Putsch entstanden ist, verschärft. Die Allianz der Widerstandsbewegung, die aufgrund ihres hohen Mobilisierungspotentials sehr wichtig für die sozialen Kämpfe in Honduras ist, zeigte sich in den letzten Monaten zunehmend handlungsunfähig. Den Grund dafür sehen viele Aktivist_innen darin, dass die Koordination der FNRP überwiegend aus Anhänger_innen des parlamentarischen Weges besteht, die ihre Kräfte aktuell fast ausschließlich in den Wahlkampf der Partei stecken. Anfang November wurde daher in der Stadt El Progreso ein landesweites Treffen der Widerstandsbewegung organisiert, um die FNRP als Bündnis wieder zu stärken. Auf der Versammlung wurde mehrfach betont, dass ein Austausch der aktuellen Koordination nötig sei und die sozialen Bewegungen wieder unabhängiger von LIBRE agieren müssen.
Selbst wenn die LIBRE-Kandidatin Xiomara Castro die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte, bedeutet dies noch lange keinen endgültigen Schritt zur Neugründung des honduranischen Staates. Voraussichtlich wird sich die Partei dann mit einer oppositionellen Mehrheit im Kongress auseinandersetzen müssen, die das Regieren sehr erschweren und ständige Zugeständnisse einfordern wird. Die traditionellen Machtstrukturen, die 2009 gegen die in Ungunst gefallene Regierung Zelayas putschten, werden sich nicht ohne weiteres auflösen lassen. Zudem wird sich LIBRE mit den bestehenden innerparteilichen Interessenkonflikten auseinandersetzen müssen. Denn obwohl ein erheblicher Teil der neuen Partei aus den sozialen Bewegungen kommt, bilden ehemalige Anhänger_innen der Liberalen Partei heute eine einflussreiche Parteiströmung. Selbst einige ehemalige Putschbefürworter_innen haben ihren Weg in die Reihen der Partei gefunden. Letztlich werden LIBRE und Xiomara Castro große Schwierigkeiten haben, die in sie gesetzten Hoffnungen der Wähler_innen zu erfüllen. Eine wirkliche und bitter nötige Veränderung der sozialen und politischen Situation in Honduras und der Erfolg LIBRES wird deshalb stark vom Druck auf der Straße abhängen, den die sozialen Bewegungen, im Zweifelsfalle auch gegen opportunistische Teile innerhalb von LIBRE, aufrecht erhalten müssen.

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