Literatur | Nummer 485 - November 2014

Wer links lebt, lebt gefährlich

Hernando Calvo Ospinas autobiographisches Werk gibt Einblicke in die Repression der 1980er Jahre in Ecuador und Kolumbien

Ina Wehr

1985 in Quito. Ein Kommando der kolumbianischen Guerilla des Movimiento 19 de Abril (Bewegung 19. April) M-19 und der AVC (Alfaro Vive Carajo, Stadtguerilla) entführt einen wohlhabenden ecuadorianischen Geschäftsmann. Von dem Zeitpunkt an, da die Entführung bekannt wird, beginnt eine allgemeine Repression gegen die sozialen, politischen und gewerkschaftlichen Organisationen, die in Opposition zur Regierung Febres Cordero stehen. Die Sicherheitsdienste beginnen die Verfolgung von in Ecuador wohnhaften Kolumbianer_innen, die sie als politisch links stehend ansehen. Agent_innen der chilenischen Diktatur, des US-amerikanischen FBI sowie auch Kolumbianer_innen beteiligen sich an der Jagd. Hernando Calvo Ospina ist ein bekannter Kritiker der kolumbianischen wie ecuadorianischen Regierung und Mitherausgeber einer linken Zeitung La Berraquera sowie Mitglied des seit 1982 bestehenden CESCO (Centro de Estudios Columbianos), des Zentrums für Kolumbianische Studien, und leistet politische Solidaritätsarbeit. Für die Regierung gehört Calvo, wie auch seine Compañer@s des CESCO, zur kolumbianischen Guerilla und sie glaubt, sie würden auch die Guerilla Ecuadors unterstützen.
Genau da setzt Calvos Buch an. Der kolumbianische Journalist und Autor lebt heute als politischer Flüchtling in Paris und schreibt unter anderem für die Le Monde Diplomatique.
1985 studiert er in Quito Journalistik, wird 1985 festgenommen und verschwindet. Kurze Zeit später wird sein Compañero Marino ebenfalls verhaftet. Die beiden treffen sich in den Händen der SIC wieder, der ecuadorianischen Polizei-Spezialeinheit, die von 1984 bis1988 viele Menschen verschwinden ließ. Nach tagelanger Folter ist es für Calvo das größte Glück, seinen Verbündeten wieder zu sehen. Obwohl die gegebenen Umstände auch für Marino Qual und Folter bedeuten. Dass sich beide in der gleichen schrecklichen Situation befinden, gibt ihnen Kraft. Nach zwölf Tagen werden sie in das Gefängnis von Quito verlegt. Calvo gewährt dem Leser durch seine Beschreibungen einen Einblick in den Gefängnisalltag. Trotz der negativen Erlebnisse, kann er dem Gefängnisleben durchaus positive Seiten abgewinnen. Er freundet sich mit Insassen an und behauptet sich, wobei ihm sein Ruf als gefährlicher Guerillero zugute kommt. Auch darf ihn seine Familie besuchen. Die ökumenische Menschenrechtsorganisation CEDHU (Comisión Ecuménica de Derechos Humanos) wird auf den Fall Hernandos und Marinos aufmerksam und schaltet sich ein. Diese Unterstützung und die Unterstützung durch ihre Familien helfen ihnen durchzuhalten. Eine internationale Kampagne zur Freilassung Calvo Ospinas und Marinos kann schließlich durch die vielen Solidaritätsbekundungen genug Druck ausüben.
Calvos überraschend optimistischer und humorvoller Erzählstil verbindet geschickt die Beschreibung der damaligen politischen Situation mit seinen eigenen Erlebnissen, die nicht eben wenig miteinander verknüpft sind. So werden politische Zusammenhänge verdeutlicht und der Einfluss der repressiven Politik auf sein gesamtes weiteres Leben sichtbar. Dabei besitzt er anscheinend eine grundlegend positive Einstellung zum Leben, denn selbst die Foltererfahrungen oder der Gefängnisaufenthalt können ihn nicht bezwingen. Er behält seine politische Einstellung bei, bleibt auf seinem Kurs, weil er weiß, dass er richtig liegt. Eine spannende und aufschlussreiche Lektüre, die Einblicke in die damalige Zeit und in den ecuadorianischen Gefängnisalltag gewährt.
Politisch und juristisch aufgearbeitet sind die Geschehnisse noch immer nicht. Seit 2008 versucht eine Wahrheitskommission in Ecuador unter Präsident Rafael Correa die Menschenrechtsvergehen und das Verschwindenlassen seitens der SIC von 1984 bis 1988 aufzudecken.

Hernando Calvo Ospina // Sei still und atme tief // Zambon Verlag // Frankfurt/Main 2013 // 220 Seiten // 12 Euro // www.zambon-verlag.de

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