Lateinamerika | Nummer 462 - Dezember 2012

Wer umzingelt wen?

Die Generalversammlung der Interamerikanischen Pressegesellschaft SIP in São Paulo provozierte Proteste

Auf der Generalversammlung der Interamerikanischen Pressegesellschaft SIP trafen sich Lateinamerikas bedeutendste Zeitungsverlage und Mediengruppen. Für viele ein Stelldichein von „Konglomeraten“, aber auch Vertreter_innen eher linker Presseerzeugnisse nahmen an dem Treffen teil. Während im noblen Konferenzhotel vor dem „neuen kontinentalen Autoritarismus“ gewarnt wurde, verschafften sich vor dem Tagungsort Medienaktivist_innen lautstark Gehör und forderten das „Recht auf Kommunikation“ ein.

Nils Brock

Das Renaissance Hotel im Zentrum São Paulos, in dem sich die Interamerikanische Pressegesellschaft SIP Mitte Oktober zu ihrer 68. Generalversammlung traf, ist ein exklusiver Tagungsort. Und gekommen war auch nicht irgendwer, sondern Vertreter_innen von Lateinamerikas bedeutendsten Zeitungsverlagen und Mediengruppen. Dass es sich schlichtweg um ein Stelldichein von „Konglomeraten“ gehandelt habe, wie einige kritische Nachrichtenagenturen titelten, stimmt so nicht ganz. Denn unter den über 1.300 Mitgliedern der SIP befinden sich neben auflagenstarken rechten Meinungsmacher_innen wie dem brasilianischen Rede Globo, der argentinischen Gruppe Clarín oder Chiles Tageszeitung Milenio durchaus auch links davon positionierte Presseerzeugnisse, wie etwa Página12 aus Argentinien oder die mexikanische Tageszeitung El Universal. Davon war in den Vorträgen des Treffens allerdings nicht viel zu spüren. Die Wortführer_innen beschränkten sich zumeist darauf, sich als alleinige Verteidiger_innen der Presse- und Meinungsfreiheit zu stilisieren und all jene zu rügen, die diese gefährdeten.
Als die aktuell „größte Gefahr Lateinamerikas“ wurde ausgerechnet das im Jahr 2009 verabschiedete neue argentinische Mediengesetz beschrieben, das am 7. Dezember dieses Jahres in Kraft treten soll. Dass die Gruppe Clarín wegen ihres hohen Marktanteils im Mediensektor dann wahrscheinlich einige Radio- und TV-Konzessionen abgeben muss, wird nicht als pluralititätsstiftend, sondern als „undemokratische Aggression“ bewertet. „Es handelt sich um den entfesselten Konfrontationskurs einer Regierung gegen eine Mediengruppe, um sie in ihrem Handeln einzuschränken und so zu garantieren, dass sich nur noch eine regierungsnahe Presse halten kann“, resümierte etwa Gustavo Mohme, Vorsitzender der SIP-Kommission für Presse- und Informationsfreiheit. Die SIP wird deshalb auch eine Mission nach Argentinien entsenden, um ihrem Mitglied in den nächsten Wochen beizustehen.
Dass von dem argentinischen Mediengesetz (siehe LN 442) nur „Freunde der Casa Rosada“, also dem argentinischen Regierungssitz, profitieren würden, dessen Amtsinhaberin zu einer „immer eifrigeren Schülerin des Caudillo Hugo Chávez“ werde und „zum finalen Schlag gegen die Clarín-Gruppe“ aushole, wie die brasilianische Tageszeitung O Globo polterte, war auf der Tagung der SIP Konsens. Entwertet wurden mit solchen Anschuldigungen und den gebetsmühlenartigen Warnungen vor einem „neuen kontinentalen Autoritarismus“ auch die wenigen analytischen Momente der Veranstaltung. Dazu gehörte beispielsweise der Beitrag von José Miguel Vivanco von Human Rights Watch, der Brasiliens Regierung vorwarf, gegen die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) zu arbeiten. Auf eine Anfrage der CIDH zu möglichen Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene beim Bau des Belo Monte Staudamms habe die Regierung „mit dem Abzug ihres Botschafters und der Einstellung ihrer Mitgliedszahlungen“ reagiert.
Auch die problematisierte ungleiche Verteilung öffentlicher Werbung und die damit verbundene Bevorzugung „regierungstreuer Medien“, die Einschüchterung von investigativen Journalist_innen in Fällen politischer Korruption, die in Mexiko seit Beginn des „Kriegs gegen die Drogen“ ermordeten oder verschwundenen Berichterstatter_innen oder auch die Zensur unabhängiger Medien in Kuba sind der Presse- und Meinungsfreiheit zweifellos abträglich und wurden zurecht angeprangert. Doch der ideologische Unterton, der diese unterschiedlichen Themen auf dem SIP-Treffen bündelte und sie mit den politischen und ökonomischen Verlustängsten kommerzieller Medien gleichsetzte, war nicht zu überhören.
In dem gemeinsamen Kommuniqué „Botschaft an SIP: Schluss mit dem Schwindel“ stellten Schriftsteller_innen, Journalist_innen und Menschenrechtsorganisationen die Legitimität der SIP in Frage und „lehnen die neuerliche Hochstapelei ab“, bei der es „jene Regierungen auf die Anklagebank setzen“ wolle, „die sich der Verantwortung gestellt haben, in Richtung einer Demokratisierung der Information voranzuschreiten“. Diese unter anderem von dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und dem spanischen Publizisten Ignacio Ramonet unterzeichnete Erklärung reduziert das Problem der Presse- und Meinungsfreiheit jedoch auf einen Konflikt zwischen konservativen „großen Familienunternehmen, die den Mediensektor konzentrieren und monopolisieren“, und den von progressiven Regierungen ausgelösten „Winden des Wandels in unserer Region“.
Ob die Verhängung von Haftstrafen gegen Journalist_innen wegen Amtsbeleidigung, wie dies die SIP der ecuadorianischen Regierung in mehreren Fällen vorwirft, ein sonderlich demokratischer Luftzug ist, sei dahin gestellt. Vielmehr überrascht an dem Kommuniqué jedoch, dass es ebenfalls nicht über eine synonyme und ungenaue Verwendung der Begriffe Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit hinauskommt. Denn gerade daraus schöpft die Selbstdarstellung der SIP bis heute ihre argumentative Stärke. Die Demonstrant_innen, die sich am 16. Oktober vor dem Renaissance Hotel versammelten, schienen diesen Umstand dagegen sehr wohl vor Augen zu haben. João Brant, einer der Koordinatoren des Nationalen Forums für die Demokratisierung der Kommunikation (FNDC) stellte klar: „Die Freiheit, für die wir kämpfen, ist die Freiheit aller und nicht etwas, dessen Grenzen von den Medienmonopolen gezogen werden.“
Anders als das Anti-SIP-Kommuniqué kritisieren Medienaktivist_innen und zivilgesellschaftliche Bündnisse in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern den engen Begriff der Pressefreiheit, der nicht einfach mit dem weitergehenden individuellen Grundrecht der Meinungsfreiheit zusammenfällt. Wenn die SIP deshalb eine „Umzingelung der Freiheit in Lateinamerika“ ausmacht, dann lässt sich angesichts der konzentrierten Medienmärkte und der unverhältnismäßig hohen Nutzung von Radio- und TV-Frequenzen durch private Unternehmen durchaus fragen, wer eigentlich wen in der Zange hat.
Vor dem Renaissance Hotel forderten Medienaktivist_innen und zivilgesellschaftliche Bündnisse wie das FNDC deshalb auch explizit ein „Recht auf Kommunikation“ ein, das sich nicht in einem pluralen Informiertwerden von Print- und elektronischen Medien erschöpft, sondern auch einen breiten gesellschaftlichen Zugang zu bestehenden und erwachsenden Kommunikationsmitteln umfasst. Nicht die „Freunde der Casa Rosada“, sondern Community-Radios sind die potentiellen Nutznießer_innen von Argentiniens neuem Mediengesetz. Und trotz einzelner autoritärer Ausfälle gegen Journalist_innen wird auch in Ecuador in diesem Bereich gerade intensiv an einem neuem Gesetz gearbeitet, das die Medienproduktion pluralisieren wird.
Doch von diesen Entwicklungen war weder auf der SIP etwas zu hören, noch findet sich in den 43 Millionen gedruckten Zeitungsexemplaren, die ihre Mitglieder täglich vereint in Lateinamerika distribuieren, dazu eine kontinuierliche Berichterstattung. Angesichts dieser „Nachrichtensperre“ sei es an der Zeit, „dass sich die brasilianische Regierung endlich den 20 Punkten stellt, die von einem zivilgesellschaftlichen Bündnis als Grundlage für eine neue Mediengesetzgebung“ formuliert wurde, fordert Adriana Oliveira vom Gewerkschaftsverband CUT. Diese sehen unter anderem nicht nur Maßnahmen gegen Monopole im Mediensektor, sondern auch Garantien für eine unabhängige und vielfältige Medienproduktion vor.

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