Kolumbien | Nummer 323 - Mai 2001

Wieder keine Verhandlungen in Kolumbien

Nationale Befreiungsarmee (ELN) beklagt fehlenden Friedenswillen der kolumbianischen Regierung

Während der Friedensprozess zwischen kolumbianischer Regierung und Guerillagruppen mit beinahe gesetzmäßiger Regelmäßigkeit ins Stocken gerät, verfolgen die Ultrarechten weiterhin ihre Strategie der Destabilisierung. Erneut fallen Paramilitärs am Vorabend der Verhandlungen in die als “Schutzzone” deklarierten Hochburgen der ELN-Guerilla ein.

Tommy Ramm, Harald Neuber

Zum zweiten Mal seit Anfang März hat die Armee der Nationalen Befreiung (ELN) am 19. April weitere Verhandlungen mit der kolumbianischen Regierung unter Andrés Pastrana auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Gegenüber einem nationalen Radiosender erklärte Pablo Beltrán, Sprecher und Nr. 3 der Rebellengruppe, dass sich die Regierung keine Mühe mache, den Friedensprozess ernsthaft anzugehen. „Aus diesem Grund sehen wir uns gezwungen, den Dialog auf unbestimmte Zeit auszusetzen“, so Beltrán. Zudem sehe sich die ELN in der Lage, auf einen neuen Präsidenten zu warten, der 2002 gewählt wird, da man mit Pastrana nicht verhandeln könne. Für den wäre es ein Rückschlag, hatte er sich doch bei seiner Wahl 1998 den Friedensprozess mit der Guerilla auf die Fahnen geschrieben.
In Momenten des Fortschritts blockieren jedoch jedes Mal wieder militärische und paramilitärische Offensiven eine Weiterentwicklung der Verhandlungen. Man geht seit geraumer Zeit davon aus, dass sich die guevaristische ELN in einem labilen militärischen Zustand befindet. Bevor man politische Zugeständnisse machen muss, versucht man es also zunächst mit Waffengewalt. Im März startete die Armee mit 3.000 Soldaten ihre „Operation Bolívar“. Ziel: Zerstörung von Drogenlabors, Paramilitärcamps sowie Guerillastellungen in der Region Sur de Bolívar. Logisch war dieses Manöver nicht zu erklären, wollte man doch im selben Moment auf politischer Seite zu einer Einigung kommen. Der Kollaps liess nicht lange auf sich warten. Die Guerilla setzte die Gespräche aus, da sie eine breitangelegte Antiguerilla-Offensive vermutete.
Auf Initiative von ausländischen Diplomaten und Beobachtern konnte der Prozess nach über drei Wochen wieder aufgenommen werden. Da sich ausländische Diplomaten als Mediatoren einschalteten, war eine positive Entwicklung nun absehbar. Dass auch sie auf den harten Boden der kolumbianische Realität geholt würden, eher nicht: Kurz vor der Osterwoche starteten ultrarechte Paramilitärs eine Offensive in der Serranía de San Lucas, dem Stammgebiet der ELN. Eine kleine Ortschaft, die für einen Treffpunkt zwischen Guerilla, Regierung und internationalen Vermittlern eingeplant war, wurde von den Paramilitärs besetzt. Weitere Gespräche mussten daraufhin verschoben werden.
„Bis Ende Ostern werde ich die Zentralkommandantur der Elenos eingenommen haben“, kündigte der Chef der Bäuerlichen Selbstverteidigung (AUC), Carlos Castaño, an. Zwei Wochen lieferten sich rund 300 seiner Kämpfer und mindestens ebenso viele Guerilleros der ELN heftige Gefechte. Dass die Paras von der vorangehenden Armeeoperation profitiert haben, entspricht den gegenseitigen Verbindungen. Auch während der Kämpfe war weit und breit kein Soldat zu sehen, der gegen die Paras hätte vorgehen können.

Para-Staat in Sur de Bolívar?

Wie stark die ELN, der etwa 5.000 Bewaffnete zugerechnet werden, in den letzten Wochen tatsächlich geschwächt wurde, lässt sich schwer sagen. Der Sitz der Kommandantur wurde zwar nicht eingenommen, Kritiker des Friedensprozesses behaupten jedoch, die Guerilla würde eine entmilitarisierte Zone nur dazu nutzen wollen, sich wieder militärisch zu verstärken. Eine These, die auch bei Teilen der in dem Gebiet ansässigen Zivilbevölkerung auf fruchtbaren Boden fällt. Die Meinung der Menschen gegenüber einer Guerilla-Zone ist gespalten. Teils jedoch nur deshalb, weil die Paramilitärs zivile Organisationen lenken und nicht zuletzt Bauern zum Protest gegen die ELN gezwungen haben sollen. “Sollte Pastrana diesen Kampf um die ELN-Zone aufgeben, gibt er Castaño das Signal, dass er gewonnen hat. Dann gibt es einen Para-Staat und einzige Autorität und Regierung wäre dann Castaño“, betonte Gewerkschaftspräsident Eduardo Garzón unlängst. Ähnlich äusserte sich der Kongressabgeordnete und Ex-Guerillero der M-19, Antonio Navarro Wolf: „Wegen ein paar Quadratkilometern Land setzen wir den Friedensprozess auf’s Spiel“, beklagte er.
Ganz offensichtlich. Bei einem Treffen der Präsidenten der Andenstaaten machte Präsident Pastrana Mitte April den Vorschlag, dass man auch in Venezuela oder Europa verhandeln könne. Venezuelas Präsident Hugo Chávez fuhr auf gleicher Schiene und lud die ELN zu Verhandlungen in seinem Land ein. Die ELN selber steht solchen Verhandlungen im Ausland aber kritisch gegenüber. Schließlich gilt weiterhin die Idee, einen Nationalkonvent abzuhalten, an dem Vertreter der gesamten Zivilbevölkerung beteiligt sein würden. Die aber lassen sich kaum alle nach Caracas oder Madrid verschiffen.
Wahrscheinlicher ist zudem, dass Pastrana zwar Verhandlungen mit der ELN sucht, die aber früher oder später auf eine Entwaffnung der Gruppe hinauslaufen sollen. Um so überraschender war eine Aktion, die von der ELN in der zweiten Aprilwoche im Nordosten des Landes lanciert wurde. Sie nahmen auf einen Schlag 101 Arbeiter der US-amerikanischen Erdölfirma OXY als Geiseln. Gleichzeitig mit ihrer Ankündigung, der Friedensprozess sei suspendiert, ließen sie aber selbige wieder frei. Ein Zeichen der Schwäche?

Blutige Ostern in Kolumbien

Auch außerhalb der Diskussion um eine ELN-Zone deutet alles darauf hin, dass sich die Fronten verhärten werden. Besonders im Umgang mit den Paramilitärs, die in den letzten drei Jahren um 83 Prozent auf etwa 10.000 Kämpfer angewachsen sind. Nach der wohl blutigsten Osterwoche seit Jahren in dem lateinamerikanischen Land kündigte die ELN an, mit den revolutionären Streitkräften Kolumbiens, der FARC-Guerilla eine gemeinsame Strategie gegen die Paramilitärs zu entwickeln. Über 70 Bauern wurden über die Feiertage von den Paramilitärs ermordet. Am 11. April drangen AUC-Einheiten in den kleinen Ort La Naya in der südwestlichen Provinz Cauca ein und brachten 29 Menschen um. Man benutzte nicht Feuerwaffen, sondern Motorsägen. Einem 18-jährigen indigenen Mädchen trennten sie in äußerster Brutalität zuerst die Hände und dann den Kopf ab.
Noch eine Woche zuvor forderte die Interamerikanische Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten von der kolumbianischen Regierung, die Mitglieder von indigenen und afroamerikanischen Kommunen umgehend einem besseren Schutz vor solchen Übergriffen zu unterstellen. Eine sinnlose Forderung. Die Aktionen der AUC reihen sich somit in die 145 Massaker ein, die allein in diesem Jahr in Kolumbien von den Paras verübt wurden. 769 Menschen wurden ermordet, was eine Verdopplung zum Vorjahreszeitraum bedeutet.
Diese Entwicklung ist dem von beiden Seiten zwar angestrebten, aber zunehmend schwindenden Vertrauen nicht förderlich. Daher setzt man zunehmend auf internationale Unterstützung. Nicht nur bei verstärkt stockenden Verhandlungen mit der ELN-Guerilla, auch bei den FARC konnten auf diese Weise Erfolge erzielt werden. Als Mitte Februar die Friedensgespräche mit dieser zweiten Gruppe nach mehrmonatiger Pause wieder aufgenommen wurden, war auch eine Delegation europäischer Diplomaten zugegen. In der „Hauptstadt“ der von den FARC kontrollierten entmilitarisierten Zone gipfelte dieses Engagement in einem Treffen einer internationalen Delegation mit dem Oberkommando der FARC am 7. März. Erstmals war nach Angaben der alternativen Nachrichtenagentur AANCOL auch ein Vertreter der Deutschen Botschaft zugegen. In der Abschlusserklärung zeigten sich die Diplomaten in Übereinstimmung mit der FARC zu „mehr Engagement im kolumbianischen Friedensprozess“ bereit.

Mehr Engagement aus Europa

Das kann nun alles oder nichts bedeuten. Nach Meinung von Alberto Martinez, dem Europavertreter der Guerilla will man den Einfluss der internationalen Gemeinschaft auf jeden Fall. Doch die „Souveränität und Selbstbestimmung“ Kolumbiens muss dabei gewahrt bleiben. Das zeugt von einer Vorsicht, die auch in der deutschsprachigen Ausgabe der Zeitschrift der FARC, Resistencia, bestätigt wird. Die illegalen Anpflanzungen, die Auslandsschulden und das Landproblem haben bei den Verhandlungen absolute Priorität, jedoch „werden wir uns der Frage nach internationalen Garanten des Friedensprozesses erst dann zuwenden, wenn Einigkeit über diese zentralen Punkte herrscht“. Damit wird der zunehmend isolierte Andrés Pastrana einmal mehr unter Druck gesetzt.
Der 46-Jährige hadert nicht mit seinem Schicksal und machte sich zuletzt nach Europa auf. In Begleitung einer hochrangigen Regierungsdelegation traf er am 27. und 28. April in Berlin auch mit der Bundesregierung zusammen. Gerhard Schröder ließ sich nicht lumpen und nahm den Amtskollegen mit militärischen Ehren in Empfang. Bei Menschenrechtsorganisationen, wie der FIAN, stieß das übel auf. Armin Paasch, Leiter der Agrarreformkampagne bei FIAN, beklagte eine mangelnde Initiative der Regierung Pastranas auf dem Gebiet der Menschenrechte.Wer sich in Kolumbien für sie einsetze „steht schon mit einem Bein im Grab“. In Anbetracht der ständig wachsenden Zahl von Opfern paramilitärischer Gewalt wäre „Halbmast statt militärischer Ehren“ angebracht gewesen.
Doch auch wenn man vermuten mag, dass sich Pastrana in Anbetracht deutscher Soldaten Hoffnung auf Gelder mit ähnlichen Zielvorgaben gemacht haben könnte: In Berlin hatte man andere Pläne. Bis Ende kommenden Jahres werden dem südamerikanischen Land zwar 40 Millionen Mark zur Verfügung gestellt werden – zehn Millionen mehr als in den vergangenen zwei Jahren –, die Gelder aber sollen ausschließlich zivilen Zwecken dienen: Krisenprävention, Schutz der Menschenrechte und Umweltschutz sollen im Zentrum der bilateralen Kooperation stehen. Bei Arbeitsessen zwischen Schröder und Pastrana seien „Lage und Perspektiven Kolumbiens“ erörtert worden, hieß es aus dem Außenministerium lapidar.
Ähnlich, nur stand hier die Menschenrechtslage im Mittelpunkt, war das bei Bundesaußenminister Joseph Fischer und seinem Amtskollegen Guillermo Fernández de Soto. Auch danach hüllte man sich auf deutscher Seite auf die Bitte nach anders gewichteter Unterstützung hin weitgehend in Schweigen. Da half auch Pastranas Bemühen nicht, den in der Europäischen Union zunehmend kritisierten Plan Colombia als „zu 80 Prozent aus zivilen Projekten“ bestehend anzupreisen.

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